Rote-Beete-Saft auf dem In-Ear und Peach Melba in der FU-Mensa

Berlin, 25. Juni 2024, 20:12 | von Paco

Ich hatte heute morgen schon einen großen Topf ukrainischen Borschtsch vorgekocht. Dabei war irgendwie ein bisschen Rote-Beete-Saft auf meinen linken In-Ear gelangt. Der Tropfen war inzwischen getrocknet und leuchtete so schön karminrot, dass ich ihn nicht abwischen mochte, und mit gesprenkeltem Ohr saß ich dann in der U7 und hörte die heutige »Drinnies«-Folge (»95 Kilo Schienbein«).

Da ging es unter anderem um Speisen, die von selbst eine Haut bilden:

»Wenn sich bei eurem Gericht eine Haut bildet, dann stimmt da irgendwas nicht. (…) Für mich ist das ein Aggregatszustand von Essen, den ich nicht möchte. (…) Iiih, das Essen will sich selber schützen und sich selber eine Haut zulegen, so wie bei Ikea die Soße vom Köttbullar.« (nach Min. 21:30)

In der FU-Mensa stand heut wieder »Pfirsisch Melba-Pudding« auf dem Speiseplan – unser Teamdessert –, historisch gesehen eine systemgastronomische Schwundstufe der »Pêche Melba«, die der Meisterkoch Auguste Escoffier um 1892 anlässlich des Besuchs der australischen Sopranistin Nellie Melba am Londoner Royal Opera House kreierte.

Cortázars erster veröffentlichter Roman »Los premios« spielt ja auf diesem mysteriösen Kreuzfahrtschiff, das relativ kurz nach der Abfahrt in Buenos Aires einfach so auf dem Ozean stehen bleibt. Jedenfalls, auf der Menükarte der Schiffsküche steht eben auch die Coupe Melba, Miguel hat das Zitat schnell mal rausgesucht:

»La voz de Atilio Presutti se alzó sobre las demás para celebrar con entusiasmo la llegada de una copa Melba.«

Nachmittags war ich unterwegs zu einem Termin, als ich erfuhr, dass er kurzfristig ausfallen musste, und in einer Übersprungshandlung trat ich in den nächstgelegenen Laden – einen Kiosk. Ich schnappte mir einfach so mal wieder eine FAZ. In dem Café gleich nebenan schlug ich wie immer auf gut Glück die Zeitung auf, landete geübterweise im Feuilleton, und las dann auf Seite 14 direkt den Artikel von Thomas Combrink über das Forschungsmuseum Schöningen, das in Niedersachsen an der Grenze zu Sachsen-Anhalt liegt.

Hauptexponate sind die Speere aus der Altsteinzeit, die im nahen stillgelegten Braunkohletagebau gefunden wurden. Das Alter der hölzernen Wurfinstrumente wird auf 300.000 Jahre geschätzt und das ist natürlich der Clou: »Die hohe Bedeutung der Artefakte liegt in der Tatsache, dass Holz ein vergängliches Material ist und sich nur in seltenen Fällen über einen langen Zeitraum erhält.«

Ich nahm einen Schluck des bestellten Pritzelwassers. Mein Blick ruhte beim Trinken auf einem Senior zwei Tische weiter, der hatte eine faszinierende Gestik, erinnerte mich an eine Stelle in Antonia Baums Roman »Siegfried« aus dem letzten Jahr. Die Erzählerin und ihre Stiefoma Hilde treffen im Café Krone die Schmidtbauers, und der Herr Professor Schmidtbauer »lächelte, nicht für die Leute um ihn herum, sondern für sich, wie jemand, der nichts mehr zu erledigen hat« (S. 59f.).

Dann schnell noch vor allen andern nach Hause und die Herdplatte mit dem Borschtsch auf 3 gestellt.
 

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