Mehr Buchstaben! Bessere Buchstaben! Ein Interview mit Bernhard Heckler

Frankfurt/M., München, 11. September 2025, 20:00 | von Charlemagne

Der Umblätterer: Nachdem es beim letzten Gespräch schon so gut funktioniert hat, auch hier erst einmal ganz locker rein ins Gespräch: lieber Bernhard, wie geht’s Dir und wo erreicht dich unser Fragenkatalog?

Bernhard Heckler: Danke, alles bestens. Mein zweiter Roman erscheint gerade, während ich das hier beantworte, das ist ja nicht ganz schlecht. Ich sitze während eines Urlaubstags zuhause am Schreibtisch und bearbeite diesen Fragenkatalog, und das gerne. In Sachen Urlaub auch machen bin ich eher ein Lowperformer.

Der Umblätterer: Moritz von Uslar (Grüße!) hat mir neulich meine Frage, warum das Feuilleton so langweilig sei, völlig zu Recht um die Ohren gehauen. Deine Lobeshymne auf die neuen Kurzgeschichten von Heinz Strunk und vor allem deine zwei Texte zu Ferdinand von Schirach beweisen, wie recht er damit hatte. Größtes Glück: mit den eigenen Texten den Zeitgeist treffen und zum Schwingen bringen?

Bernhard Heckler: Freut mich, dass die Texte gefallen. Wenn ich mich um eine Sache aufrichtig bemühe beim Schreiben, dann darum, nicht zu langweilen. Den Zeitgeist treffen und zum Schwingen bringen: Das klingt allerdings nach dem größtmöglichen publizistischen Glücksfall, mir tun solche warmen Worte gut, ich stehe nämlich oft im Rumpf der Galeere meines Selbstanspruchs mit der Peitsche hinter mir und befehle mir im Takt der Hiebe: Mehr Buchstaben! Bessere Buchstaben! Also: Danke für die Milde mit mir.

Der Umblätterer: Noch mal einen kleinen Schritt zurück. Du bist Jahrgang 1991 – welche Rolle hatte das Feuilleton, hatte Zeitgenossenschaft, als du aufgewachsen bist, und welche hat es heute?

Bernhard Heckler: Ich weiß nicht genau, wie man aktive Zeitgenossenschaft betreibt: Ich versuche, einigermaßen gut durchzukommen, seit 1991. Seit ich im Feuilleton arbeite (meine Stelle ist gleichermaßen Zufallsprodukt und ein großer Glücksfall, ich würde sagen, die Festanstellung im SZ-Feuilleton hat mein Leben über Nacht um 150 Prozent verbessert), kriege ich bestimmte Kulturbereiche und das Reden über sie bewusster mit, ohne dass sich für mich dadurch groß was ändern würde. Ich konsumiere gleich gern und gleich leidenschaftlich Filme und Bücher, wie ich das mit 15 getan habe, nur dass ich jetzt meine fünf Cent dazugebe, und dabei versuche, eine gewisse Verantwortung für das Besprochene zu übernehmen, seit ich mitbekommen habe, dass die besagten fünf Cent tatsächlich mitunter wahrgenommen, sogar gelesen werden. Für mich ein erstaunlicher Umstand. Ach so: Das Feuilleton lese ich erst seit ungefähr zehn Jahren, davor habe ich drei Viertel der Texte nicht verstanden, wenn ich es mal versucht habe, und bin selbstverständlich davon ausgegangen, dass das an meinem eigenen Unvermögen liegt. Dass die Texte vielleicht manchmal einfach scheiße waren, auf die Idee bin ich nie gekommen.

Der Umblätterer: Heutzutage kann man sich vor Meinungen nicht mehr retten, die sogenannte Meinungshoheit (des Kritikers, der Zeitungen, der etablierten Formate, etc. pp.) ist nicht mehr. Wie geht es Dir als Autor und Literaturkritiker damit?

Bernhard Heckler: Sehr gut. Ich finde den Bedeutungsverlust der Feuilletons und die Auffächerung der Rezeption null bedrohlich und demokratisch einwandfrei. Ferdinand von Schirach würde sagen: Die Wahrheit ist eben auch nur noch eine Meinung unter vielen. Ich persönlich finde es mitunter einigermaßen anstrengend, zu allem immer eine Meinung haben zu müssen, aber das bringt der Beruf halt mit sich.

Der Umblätterer: Gleichzeitig sind die Grenzen offener, die Gatekeeper schwächer, die Möglichkeiten fast unendlich. Du schreibst übers Vapen, begleitest Jan Böhmermann auf dem E-Roller und setzt dich kritisch mit der neuen Vereinshymne der Bayern (Grüße aus Frankfurt, Pokalsieger 2018!) auseinander. Wie kommst Du auf diese Themen und wie schwer ist es, sie unterzubringen?

Bernhard Heckler: Die Themen entstehen meistens aus unserer täglichen Ressortkonferenz, manche bringe ich ein, manche werden mir zugetragen, und ich versuche dann, das Beste daraus zu machen. Das Unterbringen ist glücklicherweise nicht sehr schwer, weil die Tageszeitung mit mal drei, mal vier, mal sechs Seiten Feuilleton ja jeden Tag gefüllt werden muss, und in meinem Ressort herrscht eine große Offenheit, quasi alles feuilletonistisch zu behandeln, solange der Text gut genug ist. Das ist an den meisten Tagen ein ehrlich beglückendes Arbeitsumfeld.

Der Umblätterer: Und jetzt, lieber Bernhard, wie geht’s weiter, what’s next?

Bernhard Heckler: Als nächstes versuche ich, meinen Roman mit dem Titel DIE BESTE IDEE DER WELT (elevator pitch: Eine Gruppe von Außenseitern versucht, eine Wrestling-Show aufs Münchner Oktoberfest zu bringen) einigermaßen gut unter die Leute zu bringen, und im Idealfall endlich Millionär zu werden. Ansonsten versuche ich es dann mit dem dritten Buch wieder. Und dann mit dem vierten, und so weiter. Und ich schreibe natürlich auch weiterhin mindestens vier Texte pro Woche für das SZ-Feuilleton: keep the engine running!

Der Umblätterer: Herzlichen Dank!

Bernhard Heckler: Herzlichen Dank auch von mir, für die aufmerksamen Fragen.
 

Corneille-Kanon

Berlin, 8. Juli 2025, 11:00 | von Niwoabyl

Ich war neulich mit Paco im Engelbecken und nachdem wir einige brennende Themen diskutiert hatten, kamen wir wieder mal auf (Pierre) Corneille zu sprechen. Jedenfalls überlegten wir, welche Stücke zum Corneille-Kanon gehören sollten.

Ich hatte meine Titelliste auf einem zufällig daliegenden Bierdeckel der Klosterbrauerei Andechs festgehalten, und Paco hatte mir einen reinen alten Sorbonne-Geist attestiert. Als ich dann wieder zu Hause war, hab ich ein bisschen in alten Lehrbüchern gestöbert (https://obtic.huma-num.fr/obvil-web/corpus/ecole/), um zu schauen, was die dazu zu sagen haben:

– Léon Feugère, 1866 (Sekunda): Horace, Cinna.

– Léon Feugère, 1867 (Rhetorik, also Prima): Polyeucte, Rodogune.

– Gustave Merlet, 1872 (»Cours moyen et supérieur«): Le Menteur, Le Cid, Polyeucte.

– F.-L. Marcou, 1881 (Tertia, Sekunda, Rhetorik): Hier wird’s jetzt überraschend! Rodogune, Don Sanche, Agésilas. Ich bin ganz begeistert! Ich vermute, dass die bekannteren Sachen einfach vorausgesetzt wurden. Aber selbst dann, was für eine Auswahl. Don Sanche ist ein sehr spätes barockes Stück (»comédie héroïque«), 1649 schon ziemlich aus der Mode. Der französische Wikipedia-Eintrag spricht Bände (https://fr.wikipedia.org/wiki/Don_Sanche_d’Aragon). Agésilas ist wirklich der Gipfel: An das Stück erinnert man sich eigentlich nur (aber das recht gut) wegen eines spöttischen Vierzeilers von Boileau, der so dem alternden erfolglosen Corneille den epigrammatischen Gnadenstoß verpasste:

Après l’Agésilas,
Hélas !
Mais après l’Attila,
Holà !

Marcous Fußnote sagt dann auch, er wolle dem hinabgestoßenen Corneille Justiz widerfahren lassen (»ce que pouvait Corneille déchu«). Coole Ansage jedenfalls.

– Albert Cahen, 1912 (»Premier cycle«, also vielleicht Sexta bis Tertia?): Nicomède, Le Menteur.

Zu den Stücken, die nur zitiert und nicht direkt zur Lektüre empfohlen werden, zählen noch Pompée und Sertorius, auch ziemlich überraschend, von denen weiß ich so gut wie nichts. Mich erstaunt aber am meisten, dass gar keiner L’Illusion Comique zitiert. Im 20. Jahrhun­dert avancierte das Stück sicher zum beliebtesten und vor allem am häufigst gespielten unter den nicht-tragischen Werken von Corneille.

Der »Matamore« aus L’Illusion ist sicher die bekannteste französische Verkörperung des Miles Gloriosus. Wurde das Stück vergessen und wiederentdeckt? Oder eine Weile absichtlich verschmäht? Eigentlich hätte es den Romantikern gefallen müssen, es hat was Shakespearehaftes an sich, eine uneindeutige Komödie, die das Theater selbst thematisiert, wahrlich eine Seltenheit im französischen Kontext.

Im klassischen Lehrbuch »Lagarde et Michard« aus dem Jahr 1951, das heute immer noch gedruckt wird, werden Le Cid, Horace, Cinna, Polyeucte ausdrücklich als bekannt vorausgesetzt und La Veuve (!), L’Illusion Comique, Psyché (gemeinsames Werk von Molière und Corneille), Rodogune, Nicomède und schließlich Suréna in Auszügen vorgestellt. (Suréna hat auch nur wenige vor dem 20. Jahrhundert interessiert, wurde aber dann wiederentdeckt und gefeiert.)

Ich weiß nicht, wie ernst es Paco damit meinte, dass er bald ein Corneille-Seminar veranstalten werde, aber ich bin gespannt auf die Stückeauswahl.
 

Interview mit Moritz von Uslar zu Meldungen aus dem Wald (MadW)

Frankfurt/M., Zürich, 26. Juni 2025, 08:47 | von Charlemagne

Der Umblätterer: Gar nicht einfach, in so ein Interview reinzufinden, daher vorneweg erstmal ganz locker: Wie geht’s Dir gerade, Moritz, und wo beantwortest Du diese Fragen?

Moritz von Uslar: Es geht: entsetzlich gut. Danke der Nachfrage. Sitze hinter geschlossenen Rollläden in Zürich-Seefeld. Draußen 32 Grad.

Der Umblätterer: Seit gut einem Jahr schreibst Du Deine Meldungen aus dem Wald. Fränkischer Alltag zwischen Borkenkäfer und Schützenverein. Wie bist Du da drauf gekommen, in den Wald zu gehen und für alle mitzuschreiben?

Moritz von Uslar: Ich denke ja, schon immer: Ideen werden überschätzt. Die wichtigen Dinge liegen logisch vor einem, praktisch unter dem Niveau des viel gesuchten guten Einfalls. Man muss nur zugreifen, sagen, was ist (Rudolf Augstein). Ich bin im Wald, ich möchte warm bleiben im Prozess des Schreibens, ich bin so weit von allem weg, dass sich das Beschreiben des Alltags wie Meldungen vom Mond anfühlt – ich schreibe also, folglich: Meldungen aus dem Wald.

Der Umblätterer: Du kannst deine Texte jetzt einfach raushauen, ohne Abgabetermine und Lektorat: angenehm easy oder fehlt Dir da jetzt was? Stichwort: Produktionsphantomschmerz?

Moritz von Uslar: Abgabetermine sind pervers und gleichzeitig gut und eben produktiv, genau – ich könnte Romane darüber verfassen, wie der böse Druck des Abgabetermins viel verhindert hat und gleichzeitig, eben oft unter Schmerzen, dabei hilft, Widerstände zu überwinden und überhaupt in den ersten Absatz hineinzufinden. Nach 35 Jahren Journalismus und Nahkampf mit dem Abgabetermin, bin ich derzeit offengestanden einfach nur froh darüber, dass es und wie gut es auch ohne äußeren Druck geht.

Der Umblätterer: Ganz egal, ob Du dich aus dem Flixbus, Berlin Mitte oder Tennessee meldest, man erkennt dich immer sofort wieder. Größtes Talent: einfach drauflosschreiben und wissen, der SOUND wird’s schon richten?

Moritz von Uslar: Interessant, früher, also bis in meine Zeit beim SZ-Magazin hinein (Neunzigerjahre), hätte ich gesagt: Es braucht nur Sound, was soll es sonst geben außer den Rhythmus, die Musikalität der Worte, etwas anderes trägt eh nicht. Heute, wo mir ein von Ihnen zitierter Sound attestiert wird und offenbar zur Verfügung steht, denke ich: Gäbe es eventuell auch wirklich etwas zu sagen? WAS will ich sagen? Für was wollen wir das ausnutzen, dass da Leute, die Leserinnen und Leser, für einen Moment bereit sind, dem Text zu folgen? Beim Tippen der Meldungen habe ich zuletzt wieder gemerkt, und es war ein schönes Gefühl, ich genieße das gerade sehr: Ich lasse mich gerne wegtragen, ich mag das, wenn dem Text der Wind in die Segel bläst und the boat einen Ruck nach vorne tut.

Der Umblätterer: Was ist das überhaupt, SOUND? Und: geht’s auch ohne?

Moritz von Uslar: Sicher geht es auch ohne. Aber ich würde sagen: Das Hirn anheizen, den Körper in Bewegung bringen, dancing to the music of words, das geht eben nur über Rhythmus, das geht nur über Musikalität.

Der Umblätterer: Welche Rolle spielt POP heutzutage? Was kann uns POP in unserer aktuellen Gegenwart noch sagen?

Moritz von Uslar: Ich verstehe die Frage nicht. Und zitiere dabei meinen Freund DJ Hell, dem nach jede Frage mit den immer selben drei Sprachfiguren beantwortet werden kann. Figur eins: Zu Recht. Figur zwei: Ich habe ein gutes Gefühl. Figur drei: Ich verstehe die Frage nicht. Die Antworten sind natürlich allesamt Zitate vom Fußball-Spielfeldrand, wo Sprechen unter enormem Effizienz- und Zeitdruck und in tosend lauter Geräuschkulisse stattfindet und der genervte Fußballprofi dem Reporter Frage und Antwort stehen muss.

Der Umblätterer: Letzte Woche hast Du deinen Abschied bei der Zeit gegeben. Im Gespräch mit Rainald Goetz (»Chateau Royal« in wrong, 2024, S. 331–359) hattest Du Deine Pause bereits angedeutet, vielleicht auch eine längere. War’s das jetzt mit dem Feuilleton für Dich?

Moritz von Uslar: Ich denke: Ja, das war es für mich erstmal mit dem Für-das-Feuilleton-der-Zeit-Schreiben. Mit dem Feuilleton – als Art des Denkens, Herangehens an Themen, Text und die vielen Unterthemen und Randthemen des Lebens – war es das natürlich nicht. Feuilleton ist für mich: von etwas Kleinem kommend ins Größere hineindenken. Fürs Feuilleton gilt auch: Kein Thema ist zu klein.

Der Umblätterer: Überhaupt, warum ist das Feuilleton mittlerweile so langweilig (sorry, sorry)?

Moritz von Uslar: Ist das nicht selbst ein wohlfeiler, schon tausend Mal gehörter und maximal uninspirierter Satz, die Klage über das angeblich langweilige Feuilleton? Gegenfrage: Welches Feuilleton ist gerade besonders langweilig, das der SZ, das der FAZ oder doch das der NZZ, wo ein gut aussehender, smarter 35-Jähriger neuerdings das Feuilleton leitet? (Sorry, der gut aussehende NZZ-Feuilletonchef beruht auf einer unsicheren Faktenlage, das gebe ich gerne zu, aber so etwas Ähnliches, unmittelbar gute Laune Machendes kam mir jüngst zu Ohren). Ich habe noch nie ein Feuilleton in der Hand gehalten, in dem nicht wenigstens ein interessanter Text stand, meistens waren es zweieinhalb lesenswerte Texte. Und, nicht zu unterschätzen: Auch die gescheiterten, uninspirierten, dahingeschlampten Feuilletons sind auf eine Art natürlich interessant. Auf der Basis, dass das Hirn lesend das ersetzt, was fehlt, bzw. gegen schwache Gedanken anzudenken versucht. Stimmt nicht? Noch mal alles anders? Okay.

Der Umblätterer: Fränkischer so called Alltag, Lob der Gartenarbeit, ein frühes Bier: sieht so das Glück aus?

Moritz von Uslar: Keine Ahnung. Fuck Glück.

Der Umblätterer: Und jetzt, lieber Moritz? What’s next?

Moritz von Uslar: Ich würde sagen erstmal: weiter machen. Mein Hauswart am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg – namentlich Harald Seewald, ein sehr guter Mann – sagte das immer zum Abschied nach Telefonaten, stets Handwerker-mäßig sehr kurz und sachlich und effizient gehalten, er hatte ja keinen Bock auf reden. Die Telefonate gingen immer los mit: »Watt will er?«, geil berlinerisch rausgeschnauzt. Und endeten mit: »Weitermachen, Moritz, weiiiiiiitermachen.« Mir hat das immer sehr eingeleuchtet. Und, in den Tag hinein, einen schönen Schwung mitgegeben.

Der Umblätterer: Zum Schluss noch die wirklich wichtigen Fragen. Dein liebstes fränkisches Wort?

Moritz von Uslar: Da gibt es: waafen. Heißt so viel wie: plaudern, fröhlichen Unsinn miteinander reden. Aber das Wort erklärt sich lautmalerisch ja ganz von selbst.

Der Umblätterer: Das beste fränkische Bier?

Moritz von Uslar: Das ist ja wurscht. Es gibt ja etwa 600 gute fränkische Biere, jedes 200-Seelen-Dorf in Oberfranken hat sein eigenes Bier, eins köstlicher als das andere. Die bayerischen Biere sind ein Witz gegen die fränkischen, das weiß ja auch jeder.

Der Umblätterer: Der größte lebende Franke?

Moritz von Uslar: Da würde ich sagen: Größe und Franke, das schließt sich – auf eine maximal wohltuende Art – gegenseitig aus.
 

Die Fußmatte

Berlin, 14. März 2025, 13:41 | von Paco

Jeder Morgen beginnt mit der Fußmatte, die sich in der Platane vor unserem Fenster verfangen hat.

Die Matte muss vor einigen Monaten aus einem der Stockwerke über uns – vielleicht aus Versehen, beim Ausschütteln – herabgesegelt sein. Gemeldet hat sich aber niemand, und jetzt hängt sie da so im Baum, perfekt gelandet auf einem Ast, von dem sie fifty-fifty in beide Richtungen herunterlappt.

Sie ist vom Fenster aus nicht zu greifen, knapp außerhalb Besenreichweite. Jeden Morgen beim Aufziehen der schweren Vorhänge blicke ich in ihr grauschwarzes Antlitz.

Wie immer lassen die Fußmattengedanken nach, sobald ich das Haus verlasse. In der U-Bahn lese ich eine Kurzgeschichte von Nelson Saúte: »O Enterro da Bicicleta«. Vor ein paar Tagen hat mir Miguel davon erzählt, der Text kam in einem Portugiesischseminar vor. Ich fand das lustig mit der Beerdigung des Fahrrads und er hat mir dann das PDF geschickt.

Also, in einem mosambikanischen Dorf wohnte ein Abgeordneter, der auf dem Weg zum Parlament in der Hauptstadt immer zunächst mit dem Fahrrad vom Dorf in das nächstgrößere Städtchen fuhr, von wo aus ihn der Bus (›machimbombo‹) zum nächstgelegenen Flughafen brachte. Die unerhörte Begebenheit besteht nun darin, dass der Abgeordnete eines Tages auf dem Weg zum Städtchen von einem Löwen gefressen wird, obwohl man in dieser Gegend vorher und nachher nichts je von Löwen gehört hat.

Übrig bleiben nur ein paar Fetzen – und sein Fahrrad. Der mit Abstand bedeutendste Dorfbewohner soll nun anständig bestattet werden. Einer meint, man müsse ein Mausoleum bauen, aber dann weiß niemand, was das eigentlich genau ist. Schließlich wird in einer feierlichen Prozession anstatt des vom Löwen gefressenen Abgeordneten dessen übrig gebliebenes Fahrrad beerdigt (»os homens da aldeia carregarem, compungidos, aquela enorme e disforme urna«). Danach trifft noch ein rätselhafter Bote ein, aber der ist so fix und alle, dass er ins Koma fällt und er niemandem mehr sagen kann, warum er so herbeigeeilt ist. Ende.

Das waren jetzt nur elf Seiten, muss mal demnächst weiter Nelson Saúte lesen.

Ich bin dann vor dem ersten Meeting des Tages kurz im Büro gewesen und habe bei dieser Gelegenheit den letzten Sugee-Keks aus der Box gegessen, die mir ein Kollege vor Monaten aus Singapur mitgebracht hat. Damit ist ein weiteres Langzeitprojekt zu seinem Ende gekommen, denn ich habe durchschnittlich pro Woche höchstens einen dieser butterigen melt-in-your-mouth cookies gegessen.

Als ich abends nach Hause komme, fällt mir sofort auf, dass etwas anders ist. Blick in die Platane, die Fußmatte ist spurlos verschwunden. Wie die Kastanie in Martin Mosebachs Roman »Was davor geschah«, einfach weg, und ich bleibe ein bisschen allein zurück. Fußmatte, mosambikanischer Abgeordneter, Sugee-Kekse – alle plötzlich nicht mehr da.
 

Erstaunliches aus dem Leben eines Umblätterers

Hamburg/Berlin/Leipzig, 27. September 2024, 12:19 | von Dique

Es ist Sonntag. Ich treffe mich mit Maltus vor der Kunsthalle und wir gehen direkt in die Blake-Ausstellung. In der Ankündigung hat gestanden, dass man hier »das erstaunliche Œuvre des englischen Zeichners und Grafikers« präsentieren würde.

Guter Teaser eigentlich. Wobei ich erwarten und hoffen würde, dass das Œuvre von fast jedem ausgestellten Künstler irgendwie auch und mindestens erstaunlich ist. Wenige Tage später werde ich zum Beispiel die Frans-Hals-Ausstellung in Berlin besuchen, dazu gleich mehr.

Back to Blake, wir betreten die Ausstellung, gelangen aber nicht direkt in den ersten Raum, sondern mehr oder weniger in den letzten, und anstatt Blake hängt hier vor allem das grafische Werk des Lokalmatadors Philipp Otto Runge, verantwortlich für die scheußlich schönen Hülsenbeck’schen Kinder, die inkarnierten Pausbacken. Was hat Runge in einer Blake-Ausstellung zu suchen, vielleicht erfahren wir es noch.

Nach ein paar Minuten schaffen wir den Reboot, beginnen in Raum 1 und gehen nun chronologisch William Blakes Werk ab. Neben den Zeichnungen und Grafiken von Blake wird auch dessen Umfeld beleuchtet (also Runge, haha), unter anderem mit Werken von Füssli und dem grooooßen John Flaxman, und wir können uns hier ein paar schöne Zeichnungen und Grafiken ansehen, auch zwei skulpturale Werke sind dabei.

Wir schwirren wie die Bienen um diese einfach nur herrlichen Flaxmans. Ich finde vor allem seine feinen Zeichnungen so großartig, oft zeichnet er Figuren mit nur einer Linie. Irgendwo, ich glaube in Friedlaenders »David to Delacroix«, habe ich mal gelesen, dass er während seines Parisaufenthalts nur wenig fand, das ihn begeisterte (wahrscheinlich war wenig Erstaunliches dabei), außer ein Gemälde von Ingres.

Bevor ich dann, wie gesagt, weiter zu Frans Hals nach Berlin reisen werde (Malle Babbe, ick hör dir trapsen!), gehe ich am Montag noch aufs LEFT TO DIE-Konzert. LEFT TO DIE bestehen aus ehemaligen Mitgliedern von DEATH, OBITUARY, EXHUMED und anderen Bands. Das Besondere ist, dass sie einfach nur mit den Songs der ersten beiden DEATH-Alben auf Tour gehen, also »Scream Bloody Gore« und »Leprosy«.

Klingt das gut, klingt das schlecht? Ich habe mich fachmännisch per YouTube informiert und konnte feststellen, dass das erstaunliche Œuvre von DEATH einfach herrlich runtergespielt wird. Ein lauschiger Abend, kurzentschlossen gehe ich ins »Knust«.

Dabei gehe ich fast nie auf Konzerte, vor allem nicht auf Metal-Konzerte, daher generelles Premierenfeeling. Und ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber ich bin dann beinah ein wenig überrascht, dass man hier komplett auf ein Klischee trifft. Schwarze Band-T-Shirt und Metalkutten, und wer noch Haare hat, der trägt sie lang. Jedenfalls alles supernett und easy.

Im »Knust« gibt es oben eine Galerie, wo man ganz ohne Schubserei die Musik genießen kann. Der Sound der Vorband ist leider furchtbar matschig und ich mache mir Sorgen, dass ich dann später die Songs von DEATH aus einem zusammengemanschten Brei heraus würde erahnen müssen. Das passiert aber nicht. LEFT TO DIE stehen toll auf der Bühne und spielen das Set runter. Ein paar Lichteffekte dazu und das ist alles. Sie beginnen mit »Choke on It«:

Choke on it
As your tongue goes down
Choke on it
Death is all around

Der Sound ist perfekt, kristallklar, crisp. Die Double Bass klickt wie zwei parallel geschaltete Singer-Nähmaschinen und die Stimme von Matt Harvey erinnert tatsächlich an Chuck Schuldiner, den ungekrönten und leider verstorbenen König des Florida Death Metal.

Ich muss hier nicht mehr viel erzählen, wenn man einmal auf dem Konzert einer geliebten Band war, deren Songs man auswendig kennt und regelmäßig unter der Dusche trällert, …

Their lives decay before their eyes
There is no hope of cure
Among their own kind they live
A life that’s so obscure
First an arm and then a leg
Deterioration grows
Rotting while they breathe
Death comes slow

… wird man nachvollziehen können, welcher Fun das ist, diese Songs full blast live zu hören.

Ich lehne nun da oben auf der Brüstung und genieße Song für Song, mit dümmlich-glücklichem Grinsen im Gesicht, wenn ich denke: OMG jetzt spielen sie »Forgotten Past«! und jetzt »Open Casket«! und irgendwann brülle ich dann in den Übergang zwischen zwei Stücken hinein »Pull the Pluuuuuuug!«

»Pull the Plug« ist der absolut beste Song des »Leprosy«-Albums, und nach dem nächsten Lied brülle ich noch mal und andere tun es mir gleich, alle im sinnlosen Schrei vereint wie die drei Gesellen in Rückerts Gedicht, wenn der Todesengel sie liegen sieht: »Er sah auf ihrem Munde / Die Spur des Wortes noch.«

»Pull the Plug« ist der letzte Song des Abends, die Zugabe, bevor die plugs gepullt werden, vielleicht hätten wir also gar nicht so toben müssen. Sie haben insgesamt nicht viel mehr als eine Stunde gespielt, ein richtig gutes Set, no messing around, no BS, einfach diese herrlichen Songs von DEATH runtergehauen. Matt Harvey erwähnt, dass es sich um einen Tribute für Chuck handelt, dem wir diesen ganzen Traum verdanken. Als der ganze Saal »Chuck, Chuck, Chuck!« brüllt, finde ich es ein bisschen befremdlich, so wie Leute, die im Kino klatschen, obwohl weder Filmteam noch Schauspieler anwesend sind, aber warum denn nicht.

Dann endlich weiter zu Frans Hals nach Berlin. Unmengen dieser herrlichen Portraits, viele bekannte Gemälde aus Amsterdam, London, Berlin, Dresden, schwarze Gewänder, Mühlsteinkragen und Spitze, ob um den Hals oder an Saum oder Manschette. In der Fülle ist die Wahrnehmung natürlich eine ganz andere, die Werke im direkten Vergleich, nebeneinander. Der lachende Kavalier aus der Wallace Collection in London ist ja dort der einzige Hals; hier unter all den anderen Hälsen gewinnt er an Dimension.

Ich studiere teils aus nächster Nähe, doch irgendwann sehe ich keine Pinselstriche mehr, nur noch lächelnde, ja lachende Menschen. Frauen, Männer, Kinder strahlen mich aus ihren großen Mühlsteinkragen an, und angesteckt von dieser ganzen guten Laune verlasse ich die Ausstellung durch eine der vielen Türen direkt in die Dauerausstellung und gehe zum x-ten Mal durch die wunderschöne Sammlung der Gemäldegalerie. Der Bilderbuch-Caravaggio, das erbsenessende Bauernpaar von Georges de la Tour, das erste bekannte Gemälde von Parmigianino, der Elsheimer, die Velázquez und eine der besten Madonnen mit Gurke von Carlo Crivelli.

Eigentlich bin ich in Berlin noch mit Paco verabredet, aber er hat an irgendeinem Badesee die Zeit vergessen, und so fahre ich direkt weiter nach Leipzig. Dort treffe ich am nächsten Tag John Roxton, den glücklicherweise lebenden, lebensfrohen und ungekrönten König der Massakerminiatur. Ich werde auf eine Kanalbootfahrt mit anschließendem Mittagessen eingeladen. John Roxton hat den Hals nicht gesehen, den Blake nicht und von LEFT TO DIE hat er noch nie gehört, und ich erzähle ihm das alles, und er erzählt vom letzten Bret Easton Ellis, von Iris Origo und Robert Byron, und wir sprechen über Gogol und über Rainald Goetz, denn JR hat mir freundlicherweise den Band »wrong« des großartigen Autors als Geschenk mitgebracht.

Auf dem Weg zum Treffen besuche ich noch schnell das Leipziger Museum der bildenden Künste, einfach um Klingers Beethoven und den Schmerzensmann von Meister Francke mal wieder zu sehen. Nach wie vor lebt das Museum vor allem von seinen Dimensionen, diesem mächtigen Betonklumpen mit Glaseinschüben, den monströs großen und schweren Holztüren, es lebt weniger von der Sammlung, die ich zumindest nicht als so erstaunlich bezeichnen würde wie das Werk von William Blake.
 

Rote-Beete-Saft auf dem In-Ear und Peach Melba in der FU-Mensa

Berlin, 25. Juni 2024, 20:12 | von Paco

Ich hatte heute morgen schon einen großen Topf ukrainischen Borschtsch vorgekocht. Dabei war irgendwie ein bisschen Rote-Beete-Saft auf meinen linken In-Ear gelangt. Der Tropfen war inzwischen getrocknet und leuchtete so schön karminrot, dass ich ihn nicht abwischen mochte, und mit gesprenkeltem Ohr saß ich dann in der U7 und hörte die heutige »Drinnies«-Folge (»95 Kilo Schienbein«).

Da ging es unter anderem um Speisen, die von selbst eine Haut bilden:

»Wenn sich bei eurem Gericht eine Haut bildet, dann stimmt da irgendwas nicht. (…) Für mich ist das ein Aggregatszustand von Essen, den ich nicht möchte. (…) Iiih, das Essen will sich selber schützen und sich selber eine Haut zulegen, so wie bei Ikea die Soße vom Köttbullar.« (nach Min. 21:30)

In der FU-Mensa stand heut wieder »Pfirsisch Melba-Pudding« auf dem Speiseplan – unser Teamdessert –, historisch gesehen eine systemgastronomische Schwundstufe der »Pêche Melba«, die der Meisterkoch Auguste Escoffier um 1892 anlässlich des Besuchs der australischen Sopranistin Nellie Melba am Londoner Royal Opera House kreierte.

Cortázars erster veröffentlichter Roman »Los premios« spielt ja auf diesem mysteriösen Kreuzfahrtschiff, das relativ kurz nach der Abfahrt in Buenos Aires einfach so auf dem Ozean stehen bleibt. Jedenfalls, auf der Menükarte der Schiffsküche steht eben auch die Coupe Melba, Miguel hat das Zitat schnell mal rausgesucht:

»La voz de Atilio Presutti se alzó sobre las demás para celebrar con entusiasmo la llegada de una copa Melba.«

Nachmittags war ich unterwegs zu einem Termin, als ich erfuhr, dass er kurzfristig ausfallen musste, und in einer Übersprungshandlung trat ich in den nächstgelegenen Laden – einen Kiosk. Ich schnappte mir einfach so mal wieder eine FAZ. In dem Café gleich nebenan schlug ich wie immer auf gut Glück die Zeitung auf, landete geübterweise im Feuilleton, und las dann auf Seite 14 direkt den Artikel von Thomas Combrink über das Forschungsmuseum Schöningen, das in Niedersachsen an der Grenze zu Sachsen-Anhalt liegt.

Hauptexponate sind die Speere aus der Altsteinzeit, die im nahen stillgelegten Braunkohletagebau gefunden wurden. Das Alter der hölzernen Wurfinstrumente wird auf 300.000 Jahre geschätzt und das ist natürlich der Clou: »Die hohe Bedeutung der Artefakte liegt in der Tatsache, dass Holz ein vergängliches Material ist und sich nur in seltenen Fällen über einen langen Zeitraum erhält.«

Ich nahm einen Schluck des bestellten Pritzelwassers. Mein Blick ruhte beim Trinken auf einem Senior zwei Tische weiter, der hatte eine faszinierende Gestik, erinnerte mich an eine Stelle in Antonia Baums Roman »Siegfried« aus dem letzten Jahr. Die Erzählerin und ihre Stiefoma Hilde treffen im Café Krone die Schmidtbauers, und der Herr Professor Schmidtbauer »lächelte, nicht für die Leute um ihn herum, sondern für sich, wie jemand, der nichts mehr zu erledigen hat« (S. 59f.).

Dann schnell noch vor allen andern nach Hause und die Herdplatte mit dem Borschtsch auf 3 gestellt.
 

Kafka, El Hotzo, Verabschiedungen

Berlin, 3. Mai 2024, 19:35 | von Paco

Mal ein kleiner Bericht von heute. Ich habe noch nie proaktiv Erdnüsse oder ähnliche Nussprodukte gekauft, stehe aber kurz davor, glaube ich. Und zwar geht mir der Nüsse kauende Kafka aus der gleichnamigen ARD-Serie nicht mehr aus dem Sinn.

Kafka, in der Bestbesetzung Joel Basman, dessen Finger sich in die Schale voll Nüssen versenken und ein paar davon in den Mund schaufeln, und dann geht es los, nach der Kaumethode von Horace Fletcher, kau kau schmatz, herrlich, endlos, auch beim Date mit Felice Bauer.

Aber was anderes, in letzter Zeit höre ich snippetweise in Podcasts rein, für die ich eigentlich gar keine Zeit habe, und das ist eine gute Sache, so wie man manchmal auf der Straße interessante Einzelsätze aufschnappt von Leuten, an denen man vorüberzischt.

So also kam ich zu einem Snippet aus dem Podcast von El Hotzo und Salwa Houmsi, das mich natürlich sofort erinnerte an die eine Stelle in »Faserland«, in der es heißt, dass, »wenn es keinen Krieg gegeben hätte«, dass dann »Deutschland so wie das Wort Neckarauen« wäre:

»Wenn der Freistaat Bayern so wäre wie das Wort ›einkehren‹, dann hätten wir kein Problem mit ihm.«

(Hotz & Houmsi: »Skincare-Propaganda«, 27. April 2024, ca. 57:55)

Was sonst noch, guter Empfang heute in der U3, da textete ich ein bisschen und fiel mit Josik in ein unvorhergesehenes Rabbit Hole, nämlich die Grußformeln, die man über das wunderbare Projekt correspSearch aus digitalisierten Briefen herausziehen kann, und so ging es dann hin und her:

  • »Nochmals um recht baldigen Bescheid bittend und mich aufs Wiedersehen freuend, mit herzlichen Grüssen« (Quelle)
  • »Mit der ganz untertänigsten Bitte an die Hohe Gräfliche Familie einen schönen Handkuss samt herzlichem Gruß entrichten zu wollen, unterzeichnet sich« (Quelle)
  • »Erhalten Sie mir Ihr wohlwollendes Andenken und Ihre Freundschaft, und nehmen Sie die Versichrung meiner ausgezeichnetesten Hochachtung und Ergebenheit an.« (Quelle)
  • »Empfangen Sie theuerster Freund die erneuerte Versicherung meiner ausgezeichneten und freundschaftlichen Hochachtung.«
    (Quelle)
  • »Es sind die Gesinnungen der vorzüglichsten Hochachtung und wahren freundschaftlichen Anhänglichkeit, mit denen ich verharre« (Quelle)
  • »Ich verbleibe mit tiefester Verehrung und Anhänglichkeit Ew. Königlichen Hoheit unterthanigstgehorsamster« (Quelle)
  • »Seien Sie herzlichst gegrüßt, auch von meiner Frau, die sich auf der Terrasse sonnt. Ihr« (Quelle)

Usw.

Und dann brannte noch diese Fabrikhalle in Lichterfelde und Katwarn wurde ausgelöst: »Giftige Rauchgase aufgrund eines Brandes in einem Störfallbetrieb«.

Für Luisa 🖤

Mainz, 13. April 2024, 14:40 | von Paco

In der heutigen FAZ wurde unsere gemeinsame Traueranzeige veröffentlicht.

Traueranzeige für Gisela Trahms, FAZ, 13. April 2024

Unter dem Spitznamen Luisa hat Gisela Trahms 23 Texte im »Umblätterer« veröffentlicht.

Giselas erste Mail an mich datiert vom 4. September 2010. Damals hatte ich ihren eingesandten Beitrag noch abgelehnt, da wir keine herkömmlichen Rezensionen veröffentlichen. Sie blieb aber hartnäckig, und was in Gregor Dotzauers Nachruf im »Tagesspiegel« steht, haben wir genau so erlebt: »Je älter sie wurde, desto stärker interessierte sie sich sogar für die Jüngeren.«

Sie hat sich dann wirklich in »Umblätterer«-Form und -Stil reingedacht und am 20. Juli 2011 erschien unter dem von ihr gewünschten Spitznamen Luisa ihr erster Beitrag, zur Hundertseiter-Sektion.

Legendär ihr Text über Vermeer, auf den Wolfgang Herrndorf himself in den Kommentaren reagiert hat.

Zuletzt hat sie noch den Blurb für das Hundertseitenbuch von Josik geschrieben.

Sie war auf so viele Weisen eine Bereicherung für unsere Leipziger Jungstruppe. Ich bin sehr froh, dass sie sich uns ausgesucht hat.

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Gisela Trahms (Foto: Jochen Trahms, lizenziert unter der CC BY 4.0)
Gisela Trahms (Foto: Jochen Trahms, CC BY 4.0)

Von der Familie stammt folgender Lebensabriss, den wir dankenswerterweise hier veröffentlichen dürfen:

Am 31. Januar 1944 wird Gisela Lore Trahms als Tochter des Ingenieurs Rudolf Schulz und seiner Frau Hildegard, geb. Koch, in Eickelborn (Kreis Soest) geboren. Der Vater wird während des Zweiten Weltkrieges 1945 in Rumänien vermisst. Die Mutter heiratet 1952 in zweiter Ehe den Bankinspektor Arno Lange, der Gisela adoptiert. Die Familie zieht nach Düsseldorf. 1963 legt Gisela Trahms am Theodor-Fliedner-Gymnasium in Düsseldorf das Abitur ab und beginnt eine Buchhändlerinnenlehre in der Schrobsdorff’schen Buchhandlung in Düsseldorf. Nach erfolgreichem Abschluss ihrer Lehre beginnt sie 1965 ein Studium der Germanistik und Romanistik in Freiburg und Kiel und heiratet 1966 in Bonn den Studenten der Medizin Hans-Joachim Trahms. Am 4. Januar 1967 wird ihr gemeinsamer Sohn Jesko geboren. Ihr Studium nimmt Gisela Trahms im Jahr 1970 wieder auf und beendet es 1974 in den Fächern Deutsch und Philosophie an der Universität Düsseldorf mit dem ersten Staatsexamen. Am 16. September 1975 wird Tochter Julia geboren. Gisela Trahms promoviert 1980 an der philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf über »Sprache und Defizit – Aspekte des Verhältnisses von Aphasie-Forschung und Linguistik«. Von 1981 bis 2005 arbeitet sie als Oberstudienrätin am Albert-Einstein-Gymnasium Kaarst bei Düsseldorf. Ab 2008 widmet sie sich voll und ganz der Literatur, schreibt Kritiken und Rezensionen in Feuilletonblogs (umblaetterer.de, poetenladen.de), schreibt für verschiedene Zeitungen wie den »Tagesspiegel«, die »Literarische Welt«, »Volltext«, die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (darin für die Frankfurter Anthologie) und veröffentlicht auch eigene Texte in Literatur-Magazinen (»Am Erker«, SuKuLTuR-Verlag). Von 2009 bis 2010 veröffentlicht sie außerdem gemeinsam mit ihrer Tochter den Podcast »Abicast«, in dem sie die Literatur bespricht, die Schüler*innen für das neu eingeführte Zentralabitur in Nordrhein-Westfalen kennen müssen, und so eine ganz neue Form der Lernhilfe bietet.
 

Book-Release-Party
»100 superste 100-Seiten-Bücher«

Berlin, 27. März 2024, 15:43 | von Paco

Der Band ist im Dezember 2023 erschienen, die Book-Release-Lesung fand letzte Woche, am 22. März 2024, während der Leipziger Buchmesse statt:

Leipziger Lesung '100 superste 100-Seiten-Bücher', 22. März 2024

Die Setlist wie folgt:

  1. Einleitung
  2. Agatha Christie: »Das Geheimnis von Greenshore Garden« (1954/2014)
  3. Pearl S. Buck: »Die Frau, die sich wandelt« (1937)
  4. Annie Ernaux: »La Place« (1983)
  5. Ljudmila Ulitzkaja: »Sonetschka« (1992)
  6. Irmtraud Morgner: »Die wundersamen Reisen Gustavs des Weltfahrers« (1972)
  7. Marie von Ebner-Eschenbach: »Die Freiherren von Gemperlein« (1878)
  8. Doris Lessing: »Die Versuchung des Jack Orkney« (1972)
  9. Marie Darrieussecq: »Hiersein ist herrlich. Das Leben der Paula Modersohn-Becker« (2016)
  10. Elizabeth C. Gaskell: »Sechs Wochen in Heppenheim« (1862)
  11. Eva Illouz: »Die neue Liebesordnung« (2013)
  12. Saphia Azzeddine: »Zorngebete« (2008)
  13. Birgit Vanderbeke: »Alberta empfängt einen Liebhaber« (1997)
  14. N. N.: »Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland« (1949/2017)
  15. Marguerite Duras: »Sommer 1980« (1980)
  16. Mayra Montero: »Bolero der Leidenschaft« (1991)
  17. Yasmina Reza: »Eine Verzweiflung« (1999)
  18. Hedwig Dohm: »Werde, die du bist« (1894)
  19. Irmgard Keun: »D-Zug dritter Klasse« (1938)
  20. Gudrun Pausewang: »Wetten, daß Goethe den Wahnsinn verböte« (1992)
  21. Marguerite Yourcenar: »Mishima oder die Vision der Leere« (1980)

»100 superste 100-Seiten-Bücher« ist gleichzeitig auch Band 2 unserer bei Ille & Riemer erscheinenden Reihe »Schriften des Umblätterers«. Band 1 ist 2017 erschienen: »Abenteuer im Kaffeehaus«. Rein rechnerisch erscheint der nächste Band also in 6 bis 7 Jahren.
 

Zebra

Palma de Mallorca, 1. März 2024, 19:26 | von Dique

Danke, hab ich grad in den Messenger gesprachnachricht. Paco hat mir vor zwei Stunden einen SPIEGEL+-Geschenkartikel geschickt, den hier:

»Das Doppelleben von Ex-Wirecard-Manager Marsalek«

Was für ein Filou der Maršáboy. Und der »Spiegel«, wow, quasi seit 2015 nicht mehr in ihn reingeschaut und noch immer beginnen die Geschichten in zum Beispiel einem Hafen, wo der Mann mit den kurzen Haaren und im schwarzen Anzug an einem sonnigen Tag seine Komplizin trifft und dann irgendeine Yacht besteigt. So mitreißend wie die Romane von Frederick Forsyth, oder wie der Autor von »Die Akte Odessa« heißt?

Aber egal, der Content ist Trumpf, und ich nutze einfach mal die Vorlesefunktion, weil einen 45-Minuten-Text am Handy oder Bildschirm lesen, ich bin nicht wahnsinnig.

»Die beiden suchen den Nervenkitzel, so beschreiben Bekannte das Verhältnis. Er nennt sie angeblich ›Zebra‹. Auch sie soll ihm einen Tiernamen gegeben haben.«

Welchen, das wird nicht verraten, und das Thema wird gewechselt.

Und die »Spiegel«-Automatenstimme ist ein Traum, da bekommt man zum Spionagestoff noch ein bisschen Comedy, wenn Rémy Martin im Mandarin Oriental weggezischt wird.