Der Neue Antikriticus (Teil 2: Das Walser-Hauptmann-Papier)
Konstanz, 30. Juli 2007, 16:05 | von MarcuccioAlso Jungs, vor genau einem Jahr erschien eine unglaubliche Homestory im Feuilleton, die bei den Best-of-2006 nur unter den Tisch fallen konnte, weil es mit Christine Dössel schon eine Siegerin in der Kategorie »Best Worst« gab.
Der Umblätterer aber weiß noch immer, was Ijoma Mangold letzten Sommer getan hat: Er war zu »Besuch bei der Bestseller-Autorin Gaby Hauptmann, der Nachbarin von Martin Walser am Bodensee«, und hat damit seine GALA-Vorstellung für die Literaturseite der S-Zeitung abgeliefert (oder war’s sein Gesellenstück für die BUNTE?). In jedem Fall hat uns I. M. exklusiv ins BILD gesetzt über die beiden »See-Nachbarn« der deutschen Literatur.
Denn was Martin W. (»Der Abstecher«) und Gaby H. (»Ran an den Mann«) verbindet, ist – so der Ertrag von Ijoma Mangolds Intensivrecherche am Bodensee – nicht nur das Wasser, sondern eine echte liaison des lettres, und die geht so:
Sie hat ein superschnelles Motorboot. Er verstreut seine Angstblüte (oder was auch immer gerade ansteht) grundsätzlich nur auf gebrauchtem Papier. Sie bringt ihm ihre Manuskripte auf dem Seeweg, er lektoriert sie und darf sie anschließend als Schmierpapier behalten. Und so kam es, dass er seinen »Lebenslauf der Liebe« auf dem Rücken ihrer »impotenten Männer« geschrieben hat – oder so ähnlich.
I. M. jedenfalls hat sich seinen sensationellen Intertextualitätsbefund (»das Walser-Hauptmann-Papier«) im letzten Sommer gleich patentieren lassen.
Doch, lieber I. M. der S-Zeitung, wollten wir die Details dazu so genau wissen? Brauchte es wirklich noch diesen O-Ton von Walser selbst:
»Sie liebt die schnelle Bewegung. […] Wenn sie eine halbe Stunde hier ist, […] dann hat sie so viele Wendungen genommen, dass ich immer sage: ›Gaby, jetzt sind wir atemlos.‹«
Nimmt man die gängigen Walser-Klischees dazu …
»Für mich ist Martin Walser Süddeutschland, für mich ist er Bodensee. Komischerweise stelle ich mir vor, dass er jeden Tag eine Stunde nackt in den Bodensee reinspringt, schwimmt, unglaublich fit ist, unglaublich vital.« (Harald Schmidt über Martin Walser)
»Er ist eruptiv. Auch, wenn er’s nicht ist, man spürt, dass es gleich losgehen könnte.« (Giovanni di Lorenzo/Die Zeit über Martin Walser)
»Der Mann ist gewaltig in seinem Sprachvolumen, in seiner Art, in seiner Erscheinung, in seiner Präsenz. Er ist für mich ein Allrounder, ein Paket.« (Gaby Hauptmann herself über Martin Walser)
… dann wird klar, dass der I. M. der S-Zeitung wirklich die ungeheuerlichsten Fantasien aller frechen Frauen bedient hat: Volumen vital, Allrounder atemlos, alles klar. Nur eine Frage: Warum Literaturseite der S-Zeitung? Konnte das nicht in der FÜR SIE bleiben?
Am 30. Juli 2007 um 18:05 Uhr
Ich bin ja Ijoma-Mangold-Fan, und immer wenn mir deswegen jemand gegen das Schienbein tritt, geht es um Fragen des Schreibstils.
Glücklicherweise gewinnt Mangold ja jetzt stetig an Bedeutung, das vereinfacht auch meine Position etwas (es sei denn, Marcuccio gräbt wieder alte Kamellen aus, hehe). Zuletzt wurde er in die Cicero-Liste aufgenommen, und zwar auf Platz 315, nur knapp hinter Kurt Flasch, dann wurde er Klagenfurter, und gerade hat er ja auch noch den Preis für Literaturkritik bekommen. Und womit? Mit Recht.
So sieht’s aus, und auch kurzfristig enttäuschte Leser wie Narziss und Goldhund sind eigentlich letztlich versöhnlich.
Am 30. Juli 2007 um 23:51 Uhr
Grundsätzlich haben auch wir hier am Bodensee überhaupt nichts gegen Ijoma Mangold, im Gegenteil: Wir haben sogar eine Mangoldstraße, bei der wir es natürlich trotz der Gaby-Hauptmann-Geschichte belassen haben, denn auch uns war längst klar: Als Klagenfurt-Juror kommt der Mann nochmal ganz groß raus. Nur: Hält er seinen eigenen Erfolg auch aus – oder wie verhält sich das mit dem Mittelinitial?
Am 31. Juli 2007 um 00:10 Uhr
Ja genau, das neu aufgetauchte Mittelinitial. Wo kommt es her? Was bedeutet es? Ist es ein Wiesengrund- oder Wolfgangs-W., bloß eben als A.? Bisher tritt es ja irgendwie nur in Zusammenhang mit dem Bachmann-Preis auf, das könnte so eine Art Künstlername sein oder eben ein sehr, sehr guter Scherz.
Rainald Goetz spricht in »Männer Fahrten Abenteuer« (Spex, 8/94) an einer Stelle mal von u. a. Hermann »L.« Gremliza, um solche Pimp-my-name-Aktionen zu karikieren.
Mompls … immerhin steht es laut Google noch deutlich 19.100 : 83 gegen das A. Das könnte die Scherz-These bestätigen.
Am 31. Juli 2007 um 00:34 Uhr
Im Liveblogging der WELT:
„Der Kollege Ijoma A. Mangold hat sogar extra sein Mittelinitial ausgegraben.“
Am 31. Juli 2007 um 01:19 Uhr
Eine schöne Abhandlung zum Namen des deutschen Kritikers im Allgemeinen und seinem Mittelinitial im Besonderen gibt’s auch von Lutz Hagestedt (und zwar hier drin auf S. 157):
„Man muss Joachim Kaiser heißen, oder Marcel Reich-Ranicki, vielleicht noch Hellmuth Karasek – Hellmuth bitteschön mit Doppel-L und „th“ am Ende. Schon Jörg Drews ist nicht gut gewählt, man wird zu häufig mit dem Schlagersänger Jürgen Drews verwechselt. […]
Elegant wäre ein Buchstabe mehr, wie bei Thomas E. Schmidt, Fritz J. Raddatz, Jürgen P. Wallmann oder Roland H. Wiegenstein. Noch eleganter ist es es, die Abkürzung für den Mittelnamen nach vorne zu stellen, wie bei W. Martin Lüdke. Als Sensation verbucht es der Literaturbetrieb, wenn das W. dann eines Tages wegfällt.
Wärest Du eine Frau, würde ich Dir zu einem Doppelnamen raten: Brita Meyer-Osterkamp, Frauke Meyer-Gosau oder Petra Mosbacher-Dix.“
Naja, und als besonders betriebsangepasst beobachten WIR natürlich noch K. M.-Z., die neben ihrem Doppelnamen auch noch auf die bewährte Strategie der Ich-Verweigerung und ihre Geburt im „literaturfernen Bremen“ setzt.
Am 14. April 2008 um 13:48 Uhr
Ein sehr interessanter Beitrag, gefällt mir gut.