Das »Me, Myself & I«-Workout

Konstanz, 6. August 2007, 14:37 | von Marcuccio

Weiterbildung statt Urlaub: So lautete die Sommerloch-Forderung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), die letzte Woche, gelinde gesagt, Empörung auslöste. Als Exklusivausrichter der Exzellenzinitiative »Best of Feuilleton« steht der Umblätterer dem Fortbildungsgedanken erst mal grundsätzlich positiv gegenüber. Und er weiß zwar nicht, wo und wie Kristina Maidt-Zinke ihren Urlaub verbringt, aber er meint:

Das Seminar »Ich-Strategien entwickeln« von und mit Stephan Porombka wäre durchaus eine Option. Der Hildesheimer Juniorprofessor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus hat da nämlich ein Workout erarbeitet, das helfen soll, mit der subjektiven Anwesenheit in der Kritik umzugehen. Die Urlaubsverbesserungskommission (UVK) des deutschen Feuilletons hat es in ihr Fortbildungsprogramm aufgenommen und sieht laut Trainingskatalog (S. 155 ff.) u. a. folgende Coaching-Einheiten vor:

Aufgabe 1: Das ›ich‹ finden. Schauen, wie es andere Autoren machen, ob sie ›ich‹, ›man‹, ›wir‹ o. ä. schreiben.

Aufgabe 2: Eine Ich-Typologie entwerfen. Funktionen des ›Ich‹-Sagens und des Nicht-›Ich‹-Sagens in den Texten charakterisieren und etikettieren.

Aufgabe 3: Möglichkeiten und Grenzen der Personalisierung (also der verschiedenen Arten, ›Ich‹ zu sagen) identifizieren, nach dem Motto: Der Ich-Sager muss immer ›ich‹ sagen; der Wir-Sager mag nie alleine sein; der Man-Sager bleibt am liebsten unerkannt etc.

Aufgabe 4: Die eigene Kritik mit Hilfe verschiedener Ich-Typologien verwandeln, etwa in den Reich-Ranicki-Stil, in den Wir-Stil von Hubert Winkels, in die deutlich Ich-bezogenen Man-Version von Ulrich Greiner, in die kaum merkliche, aber trotzdem anwesende Detering-Ich-Version usw. usw.

Die so genannte »Me, Myself & I«-Methode nach Porombka könnte sich schon bald zum echten Fortbildungsschlager fürs deutsche Feuilleton entwickeln, zumal die Marktforschung eben erst kürzlich diesen unglaublichen Fortbildungsbedarf von 94 Prozent ermittelt hat. Vor allem aber der Preis – schlappe 19,90 Euro – unterbietet wohl jeden einfachen Ryanair-Flug vor Steuern. Also: Wenn K. M.-Z. jetzt noch nicht weiß, was sie im Urlaub macht, dann weiß »ich« auch nicht.

4 Reaktionen zu “Das »Me, Myself & I«-Workout”

  1. Paco

    Ich auch nicht. ;-)

    Die 94 Prozent beziehen sich ja nur auf die von Döpfner damals gescannten Musikkritiken. Bei Literaturkritik sieht das vielleicht anders aus, vielleicht wird das mal ein Umblätterer-Projekt, Personalpronomen zählen, ha!

    Auf jeden Fall ist das »Ich-Strategien«-Projekt absolut plausibel. Wie überhaupt Porombka genau der Richtige ist für den Hildesheimer Lehrstuhl. Abgesehen von seiner immer noch hervorragend zu lesenden Diss. zur Entstehung und Evolution von Hypertext-Konzepten ist er auch bei feuilletonistischen Vorzeigeprojekten wie »Böse Orte« dabei (als Herausgeber) und auch für das Sachbuch-Forschungsprojekt mit verantwortlich. Und die in diesem Zusammenhang herausgegebene Zeitschrift »Non Fiktion. Arsenal der anderen Gattungen« darf man ruhig auch ab und zu mal lesen.

  2. Marcuccio

    Nicht zu vergessen lit.03 ff. – DAS Magazin für Literaturkritik und literarische Öffentlichkeit. Porombka ist auch in sämtlichen Vermittlungs-, Vermarktungs- und Betriebsfragen der Literatur ein absoluter Guru, der leider viel zu selten im normalen Feuilleton zu lesen ist. Da verwirrt mich dann immer eine Wiebke Porombka, die in der taz mit Stephan-Porombka-Themen zugange ist…
    Und die 94 Prozent? Sind verallgemeinert einfach so schlagend wie es ein CSU-Parteitagsergebnis vor Horst Seehofer und Gabriele Pauli immer war ;-)

  3. Paco

    Absolut! Es gab zwar schon einmal eine Literaturzeitschrift, die ihren Namen Jahreszahlen-mäßig änderte, nämlich L’76, das vier Jahre später L’80 hieß – Begründer waren u. a. die von Rainald Goetz als »Chefpeinsäcke« bezeichneten Grass und Böll. Aber den Titel per Laufvariable konsequent abhängig zu machen vom Jahr ist einfach mal eine gute Idee.

    Jetzt werden einige sagen, dass das ja eh nur die Jahrgangsangabe ist, aber wie auch immer, das macht das Gespräch über die Zeitschrift spannender:

    -Wo haste das denn gelesen?
    -Na das stand doch da in diesem lit.
    -In diesem lit?
    -Na in lit07, aber das stand da schon vor 2 Jahren, also in lit05.
    -Aha?

    Usw.

  4. Marcuccio

    Übrigens, es gibt da noch einen schönen Link zwischen den Ich-Strategien und Herrn Stadelmair. Denn mit Peter Kümmels eben noch mal zur Kenntnis genommenen Exegese kann man die ganze Spiralblockaffäre anno 2006 auch als großes Coming-Out des Großkritikers lesen:

    Im angelsächsischen Zeitungswesen gibt es die Unterscheidung zwischen journalism und first person journalism. Simpler journalism betreibt (oder fingiert) die wesenlose, interesselose Aufbereitung der Fakten. First person journalism hingegen ist der Zusammenstoß einer Erfahrung mit einem Temperament: Das ist passiert, so hat es mich verändert. Ein Charakter beobachtet sich selbst und lässt sich dabei zusehen. First person journalism ist ein Risiko: Ein Mensch entblößt sich bis aufs »Ich«. Es ist ein Risiko, das Bühnenkünstler dauernd eingehen. Gerhard Stadelmaier hat sich jetzt darauf eingelassen. Wie er suggeriert, aus purer Not. Sein Text in der FAZ beginnt so:

    »Ich hatte mich auf die Premiere gefreut. Und hätte gerne über sie geschrieben. Doch das geht jetzt nicht. Statt dessen ist von einem Skandal zu berichten.« Hier steht ein Mann und gebietet dem Schmutz Einhalt. Er schreibt als »Ich«, weil dieses Ich das Ganze meine und den Präzedenzfall bezeichne: »Das hat es im Theater noch nie gegeben.«

    Nimmt Porombka vielleicht noch in die 2. Auflage seines Trainingsbuchs rein!?

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