»Transformers«: Darf man das sehen?
Hamburg, 7. August 2007, 12:51 | von San AndreasIch hatte noch diesen Kinogutschein einzulösen und nicht übel Lust auf gute Unterhaltung. »Transformers«, hab ich gedacht, hat vielleicht jene larger-than-life-Qualität, die man als Gegengewicht zu verkopftem Kunstkino bisweilen zu schätzen weiß.
Doch schon als das Publikum bei den Trailern zu der Pubertätsklamotte »Superbad« und dem Fließbandblödsinn »Rush Hour 3« schier aus dem Häuschen geriet, beschlich mich der Argwohn, ich säße womöglich im falschen Film.
Hollywood orientiere sich mehr und mehr an bekannten Marken als Erfolgsgaranten. Verlasse sich allzu sehr auf CGI. Treibe die Rechenpower in ungeahnte Höhen und lasse die Erzählkunst verkümmern. So das Feuilleton, und es stimmt ja irgendwo alles.
So weit wie Tarantino möchte man jedoch nicht gehen, der Filme mit Computerunterstützung mit dem unschönen Wort ›Verarsche‹ etikettiert. Mithilfe des Rechners lassen sich im Kino Geschichten bebildern, die unsere Väter nur in papierner Form kannten. Unbestritten können da feine Filme bei rauskommen, man denke nur an die gelungeneren Comicverfilmungen der letzten Jahre.
Aber man muss unterscheiden: Comic-Helden auf der einen, Spielzeug auf der anderen Seite. Ich hätte besser aufpassen sollen, als mein Neffe mit seinen Bionicles spielte: Plaste-Roboter haben keine interessanten Geschichten zu erzählen. Die kloppen sich nur.
Das ist teilweise auch recht hübsch anzusehen. Es heißt, bei einer einzelnen Transformation bewegten sich 10 108 Bauteile (von denen der Zuschauer eh nur 50 auszumachen vermag, wie Hanns-Georg Rodek so spöttisch wie korrekt bemerkt). Aber 2 1/2 Stunden Roboterhatz ermüden einen dann doch, ganz zu schweigen davon, dass diese Lauflänge mein Filmtheater veranlasste, eine Pause einzufügen.
Mit Jon Voight, John Turturro und Shia LaBeouf sind durchaus respektable Leute am Start (Letzterer wird den Film eventuell als Jugendsünde abtun, sobald er zu dem Tom Hanks gereift ist, als dessen Nachfolger er gehandelt wird). Das hindert den Film aber nicht daran, eine vollkommen überdrehte, infantile Art an den Tag zu legen. Ganze Dialoge drehen sich darum, dass ein kleiner Erden-Chihuahua einem 20-m-Roboter-Alien nicht an die Karosserie zu urinieren habe, weil: das rostet.
Be that as it may, man muss dem Film zugute halten, dass er sehr wohl weiß, wie albern er ist. Die Komik ist selten unfreiwillig, stets jedoch so subtil wie eine Tüte Knallfrösche – aber letztendlich ist eine derart naive Unbefangenheit wahrscheinlich die einzige Form, Kinderspielzeug filmisch gerecht zu werden. Ob man sich das ansehen muss, ist eine andere Frage. Eher nicht. Aber: man darf.
Am 7. August 2007 um 15:21 Uhr
versteht man „dürfen“ im Sinne des Legalen, „darf“ man den Film selbstredend anschauen
versteht man es hingegen im Sinne des Legitimen, muß die Antwort für einen durchschnittlich gebildeten Mitteleuropäer „Nein“ heißen (womit ich nicht den geneigten umblätterer beleidigen möchte ;-)
was für ein ausgemachter Blödsinn, oder wie die Zeit schreibt: „Triumpf der Hirnlosigkeit“ (http://www.zeit.de/2007/32/Transformers)
Am 7. August 2007 um 16:43 Uhr
Naja, Frau Nicodemus sieht vielleicht ein wenig zu schwarz. Der Film ist nun nicht der Untergang des Abendlandes. Es ist ein Mainstream-Popcorn-Sommer-Blockbuster, kein Hollywood-Manifest. Der Militär-Aspekt nervt, das ist nix neues, der Film ist laut und bunt und schnell, von eher schlichtem Gemüt und hoffnungslos überkanditelt. Er bricht keine Tabus und bleibt in punkto Gewalt unbedenklich. Selbst die Army-Ideologie rückt in den Hintergrund, weil die Truppenteile de facto nichts ausrichten können.
‚Transformers‘ richtet sich an Teens, Spielzeug-Fans und sonstige Junggebliebene, die sich auf solch Material einlassen wollen (und können). Hochwohlgeborene ZEIT-Rezensenten werden damit naturgemäß nicht viel anfangen können, denn da sind keine Doppelböden und Meta-Ebenen, das ist Kino-Einfalt pur, und diese Diagnose kann man hunderten Filmen vor und nach ‚Transformers‘ stellen. Die Kritiker sollen sich lieber an wirklich gefährlichen Filmen abarbeiten – solange solch üble Machwerke wie ‚300‘ draußen frei rumlaufen, bleibt genug zu tun.
Am 7. August 2007 um 17:23 Uhr
Trying to re-open Pandora’s box here? Bitte jetzt nicht die sehr gute Comicverfilmung »300« mal wieder so im Vorbeigehen abkanzeln. ;-)
Am 7. August 2007 um 20:15 Uhr
Die Box bleibt zu. Warum soll ich eine einmal gewonnene Schlacht nochmal schlagen? ;-)
Am 8. August 2007 um 00:07 Uhr
Ok, es war knapp, aber hier schreibt immer noch der Sieger die Geschichte. »300« ist offiziell ein guter Film: Die Grenze fresh/rotten liegt ja bei 60% und die 61% sprechen da eine klare Sprache.
So sieht’s aus.
Und ich kuck mir jetzt noch mal schön die Apfelszene an.
Am 8. August 2007 um 01:17 Uhr
WAS! Ich kontaktiere sofort Frau Nicodemus, sie soll den offiziellen Kino-Notstand ausrufen. Wir nehmen den Kampf auf, Köpfe werden rollen (Metzelquote: 61% der US-Kritiker).
Noch! heute! speisen! wir! in! der! Hölle!
Am 8. August 2007 um 11:08 Uhr
Neulich lief ich an einer Mittelaltermummenschanzveranstaltung vorbei und dort waren auch einige eher wikingerhafte Recken zu Gange die gegeneinander fochten. Einer machte gerade Pause und biss genuesslich in einen Apfel. Recke, Waffe, Apfel, Leonidas, 300 ist fuer mich seit der legendaeren Apfelszene eine normale Assoziationskette geworden. Das ist uebrigens die einzige „Gefahr“ die ich von diesem Film drohen sehe. Ich finde es im uebrigen etwas wunderlich, wenn bekennende Liebhaber von „This Film Is Not Yet Rated“ um Sonderbehandlung fuer eine Comic Verfilmung betteln.
Am 8. August 2007 um 12:14 Uhr
Was diskutiert Ihr hier? 300 hatte doch alles, was ein Film braucht. Sogar, obwohl eigentlich nicht notwendig, wurde eine kleine Geschichte über Liebe und Verrat im Film untergebracht.
Am 8. August 2007 um 12:33 Uhr
Na ja, ich glaube, San Andreas wollte es einfach noch mal wissen. Immerhin sollen Notstände ausgerufen werden, und das Gegenteil würde bedeuten, »300« im Geschichtsunterricht zu zeigen, aber das verlangt ja noch keiner. Obwohl, am Ende geht es zu wie in dem besten SNL-Sketch aller Zeiten, Jerry Seinfeld als resignierender History Class Teacher Mr. Thompson:
Am 8. August 2007 um 14:09 Uhr
Danke, Paco, für diesen ‚comic relief‘, aber ich muss trotzdem nochmal nachsetzen @ Dique:
Der korrektive Prozess soll nicht von einer Zensur-Instanz ausgehen, of course not, sondern von vernünftigen, moralisch integren Machern, Zuschauern und Kritikern. Verantwortung aus dem System heraus. Dass ‚300‘ im Gegensatz zu ‚Transformers‘ ein in vielen Belangen bedenkliches Stück Kino ist, steht außer Frage (siehe Presseschau). Er läßt sich im Jahre 2007 nicht als unschuldiger Heißa-Hoppsassa-Comicstreifen sehen; zu dieser Einsicht gehört nicht viel Urteilskraft, ja man muss dazu den Film nicht einmal selbst gesehen haben. ;-)
Aber egal jetzt. Bitte nicht weiter sticheln. Ich schau mir jetzt ‚Raiders‘ an und ess vielleicht einen Apfel. Ganz ohne Assoziationen.
Am 8. August 2007 um 14:48 Uhr
Beim Konflikt Perser – Griechen oder auch Europa – Asien ging es allerdings nie um Moral, sondern in den Augen der Beteiligten um Gut gegen Böse. Warum sollen die Filmemacher nun Moral zufügen? Auch Obermoralist David gab in diesem Fall nur Ästhetik zu. Dass jeder aufgeklärte Mensch die schwarz-weiß Dichotomie nur belächelt, steht außer Frage. Und gerade deswegen frage ich mich, wie man denn ernsthaft etwas gegen einen so herrlichen Streifen wie 300 haben kann.
Am 8. August 2007 um 16:29 Uhr
Es geht ja nicht mal nur um Schwarz/Weiß. Moral ist auch nicht hinzuzufügen, sie steckt schon drin, bzw. gerade eben nicht. Es geht um das faschistoide Gehabe, den martialischen Overload, die ziellose Stilisierung, den Kriegspathos, die Lobpreisung der Schlacht, die Glorifizierung des Gemetzels, die infantilen Machoattitüden, die Dämonisierung des historischen Gegners. Es schwingen Wertvorstellungen mit, die viele unserer Zeitgenossen nicht teilen und deswegen verwerflich finden. Da täuschen auch weder der Comic-Vorwand noch die sicher ausgefeilte Ästhetik drüber hinweg, und mögen die Gliedmaßen noch so hübsch über die Leinwand fleddern.
Am 8. August 2007 um 16:41 Uhr
@Millek: Zumal San Andreas den Film nach eigenen Angaben ja gar nicht gesehen und das auch nicht vorhat – es geht also ums Prinzip, um die nicht sehr pflegeleichte Box der Pandora.
@San A.: Das film-dienst-Pressezitat mit der Propaganda-Bedenkenträgerei (gähn) ist auch von vorvorgestern & bleibt weit hinter der Diskussion zurück, die schon lange festgestellt hat, dass es in »300« eben nicht eindeutig ist, wer hier wer ist in einer wie auch immer gearteten Allegorie. An dieser Beobachtung kommt man nicht vorbei, wenn man den Film sieht.
Am 8. August 2007 um 17:53 Uhr
Ich weiß, Du deutest diesen Umstand gerne als feinsinnige Ironie und nicht als Beleg dafür, dass Videoclipser Zack Snyder keine Ahnung hat, was er da eigentlich macht. In dem Zitat ging es mir um die Naivität der Produktion, die man durchaus als Verantwortungslosigkeit sehen kann, denn sie öffnet der Instrumentalisierung Tür und Tor.
OK, wenn wir den ganzen politischen Ballast und die moralischen Bedenken mal weglassen (über die man dennoch – auch abseits vom Film – trefflich diskutieren kann und muss), bleibt immer noch eine dumpfe, pathetische Hack-Orgie von bluttriefender Digitalästhetik. Manche sehen sich das gerne an, zur Entspannung. Well, I prefer not to. Dann schon lieber ‚Transformers‘. (Schlußwort)
Am 8. September 2007 um 15:32 Uhr
Als Alternative zu „300“ empfehle ich ein hochkarätig unterklassig besetztes Free-Fight-Turnier in Leipzig unter dem Titel „All or Nothing“. Garantiert seeeehr authentisch. Der Titel darf von belesenen Zeitgenossen gerne irrtümlich als palimpsestischer Rekurs auf Hemingway missgedeutet und im Hinblick auf die christliche Heilsgeschichte apokalyptisch interpretiert werden. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass beide Veranstaltungen von der Nachwelt gleichermaßen ignoriert werden.
(Sorry, lieber Märtyrer, dass ich Dein Schlusswort einfach übertöne.)