Software & Erinnerung (Teil 2: Matthias Politycki und der Netscape Navigator)

Leipzig, 4. September 2007, 10:58 | von Paco

Polityckis Marietta-Roman »Ein Mann von vierzig Jahren« bietet sich auch deshalb als Erinnerungsträger an, weil bereits die Erstausgabe mit einem nachgerade historisch-kritischen Apparat aufwartet (hehe).

Wie auch immer, das Buch ist im Jahr 2000 bei Luchterhand erschienen. Der rasante Hardware-Aufschwung, der seitdem stattgefunden hat, lässt die folgende Passage wie einen Schnipsel aus einem historisierenden Kostümfilm wirken:

»(…) und am Ende rang er sich (…) die Mitteilung ab, daß ein Arbeitsspeicher von 8 MB heutzutage ein Witz sei, Gregor müsse dringend aufrüsten, mindestens 40 MB.«

Gregor Schattschneiders Informant, »der« Ingo, teilt ihm auch noch mit, »daß die standardmäßig von AOL bereitgestellte Software wirklich weder java- noch sonstwie fähig war«. Und deshalb kommt es zu einer Download-Orgie, wie es sie heute einfach nicht mehr gibt:

»Zwei Stunden und zweiundvierzig Minuten / dauerte der Download des Netscape Navigators, und weil Gregor das nach zehn Minuten nicht für möglich gehalten hatte und nach einer knappen Stunde auch nicht mehr abbrechen wollte (…), weil Gregor also um jeden Preis jetzt einen ›ordentlichen Browser‹ haben wollte, koste was wolle, saß er bis Viertel nach neun vor dem Bildschirm: Dann war er java- und überhaupt fähig für das, was kommen würde.«

So war das damals vor 1000 Jahren. Das ist wirklich Zeitzeugenprosa, bei der das kulturelle Archiv Purzelbäume schlägt.

Netscape 4.79Es handelte sich damals höchstwahrscheinlich um das Bundle Netscape Communicator 4.7, das man bei OldVersion.com noch downloaden kann – und installieren, hehe, siehe Screenshot.

(Alle Zitate entstammen der Rowohlt-Taschenbuchausgabe, erschienen 2001, S. 65.)

Eine Reaktion zu “Software & Erinnerung (Teil 2: Matthias Politycki und der Netscape Navigator)”

  1. Markus

    Softwaretechnische Zeitzeugenprosa. Das hat was. ;-)

Einen Kommentar schreiben