475 Zeilen Hass – Die FAS vom 2. 12. 2007
Leipzig, 4. Dezember 2007, 11:20 | von PacoWas für eine FAS mal wieder! Eine Advents- und Wunschlisten-FAS. Eine Larry-David-FAS. Eine Maxim-Biller-FAS. Eine Matussek-FAS. Aber der Reihe nach:
Jürgen Kaube erinnert im Wissenschafts-Teil daran, dass Niklas Luhmann nie ein Buch über Sport geschrieben hat: »Sollte es sich beim Sport gar nicht um ein (…) autonomes Funktionssystem der Gesellschaft handeln?« Die Frage wird dann mehr oder weniger mit »doch« beantwortet, man wird aber lesend vor allem wieder Zeuge von gestochen scharfen Beschreibungen à la Systemtheorie:
»Also erfand man die Liga. Und was ist eine Liga anderes als die Organisation des Interesses an Spielen, die man nicht gesehen hat?«
Dann aber zum Feuilleton, und zwar unter Auslassung des Aufmachers (über Jason Rhoades). Maxim Biller hat »Mein amerikanisches Tagebuch« abgeliefert, und gerade lief ich übrigens hier im Institut Austin über den Weg:
– Sonntag Biller gelesen?
– Yeah, 475 Zeilen Hass!
– Hast du die gezählt?
– Geschätzt.
Billers Bericht beginnt mit einem Horváth’schen »eigentlich«-Satz: »Ich mache das hier nur für Geld, denn Tagebücher sind eigentlich lächerlich.«
Er war also in Nordamerika und hat während dieser »Scheißreise« an verschiedenen Orten vorgelesen. Nach Kanada usw. landet er dann schließlich in New York und versucht sich als New-York-Hasser in der Tradition von Edward Norton, der in »25th Hour« die Standards für eine gesottene Fuck-you-Tirade gesetzt hatte (»Fuck me, fuck you, fuck this whole city and everyone in it«, usw.). Aus Fuck-you wird bei Biller I-hate, und der Hass fällt auch ziemlich kurz aus diesmal.
Am Ende ist übrigens von einem »Prärie-WASP« die Rede, und als »Desperate Housewives«-Addict musste ich einerseits sofort an Bree denken und freute mich andererseits, dass das nicht erklärt wurde. Irgendwie erwarte ich seit der vorletzten »Vanity Fair« ständig, dass mir PISA-artig Dinge erklärt werden, denn da erwähnte Ulf Poschardt in seinem Vorwort die »Dead Kennedys« und irgendjemand hat in Klammern dahinter gesetzt »(eine legendäre Punkband)«.
Weiter in der FAS. Gerade erwischt Matthias Matussek das Lob des »Bild«-Menschen F. J. Wagner, da berichtet Harald Staun, dass MM offenbar vor dem freiwilligen oder unfreiwilligen Rücktritt als Ressortleiter steht. Am Sonntag war das noch unglaublich, mittlerweile ist es wahr. Alle, wirklich alle, hoffen jetzt, dass wenigstens das Vlog überlebt.
Dann die Seite mit dem Fernsehprogramm und der Teletext-Kolumne von Stefan Niggemeier. Diesmal geht es um die Hitler-als-Stromberg-Parodie des »Switch«-Ensembles. Niggemeier lobt vor allem und zu Recht Michael Kessler als Büro-Hitler und trifft den Nagel auf den Kopf:
»Kessler schafft es, Hitler und Stromberg gleichzeitig zu parodieren, ohne zwei Karikaturen aufeinanderzustapeln, (…)«
Soweit das reguläre Feuilleton, doch kurz vor Weihnachten gab es natürlich wieder ein »Feuilleton Extra«. In der Geschenkliste auf Seite B 12 empfiehlt Maxim Biller diesmal nicht »Curb Your Enthusiasm«, sondern die noch nicht auf DVD erschienene sehr gute David-Duchovny- und Natascha-McElhone-Serie »Californication«. Als Bezugsquelle gibt er an: »(aus dem Internet)«.
Das »Curb«-DVD-Empfehlen übernehmen daher diesmal andere, Johanna Adorján und Nils Minkmar. Es ist eben doch die Feuilleton-Serie, wie wir es hier ja immer wieder behaupten. Umso schöner war es, dass es in der Extra-Ausgabe einige Seiten vorher (B 8) sogar einen eigenen »Curb«-Artikel gab.
Schon Jochen Schmidts Hommage in der S-Zeitung neulich war ja nicht nur gut, aber dieser Artikel von Malte Welding ist wirklich enttäuschend. Er redet von »Liebe« gegenüber der Serie, schreibt dann aber nur angelesenes Wissen auf, ohne auch nur einen wahren Satz über die Serie zu verlieren. Big letdown. Gegen Ende, kurz vor der schrecklichen Pointe, steht dann der noch schrecklichere Satz: »Ich ertappe mich schon dabei, Gesten von Larry David zu übernehmen.«
Wenigstens gibt es im Vorgänger-Text auf Spreeblick den Disclaimer: »Dieser Text ist nicht witzig.« Den haben sie bei der FAS vergessen.
Am 4. Dezember 2007 um 13:56 Uhr
ich stimme dir zu: warum ich von liebe rede, wird aus dem text wirklich nicht ersichtilich. das, was erschienen ist, ist aber auch bestenfalls ein zusammenschnitt aus meinem text. ich habe meine
führungsoffizierinkontaktperson bei der fas gerade gefragt, was denn da passiert ist. auszug:„in einem comedyclub treten standups auf, in einem comicclub lesen menschen sich aus asterix vor.“
ich kann dir nicht garantieren, dass der urtext dir besser gefallen hätte, aber der teil, in dem ich beschreibe, was mir gefällt, fehlt halt. und vieles mehr.
Am 4. Dezember 2007 um 14:22 Uhr
Hi Malte,
die Redaktion, damals allerdings die der SZ, hatte ja schon bei Jochen Schmidts Text die Zwischenüberschriften vergeigt.
Wäre es dir eigentlich vonseiten der FAS erlaubt, die Originalversion irgendwo zu posten? (Zumal du Teile davon ja schon Anfang des Jahres auf Spreeblick verwendet hast.)
Aber auch dein damaliger Text hat für mich nicht das inkommensurable Gefühl beschrieben, das man beim Schauen von »Curb« hat. Diese ganzen Anekdoten à la Verlassen der Standup-Bühne etc. haben nichts mit der Serie zu tun, mit solchen Aussagen hält sich Larry David die Journalisten vom Hals, damit die was zum Schreiben haben.
Hat mich aber trotzdem gefreut, dass die FAS dermaßen viel »Curb«-Promotion betreibt, wie ja überhaupt 2007 das Jahr der Entdeckung von »Curb« als Feuilleton-Gegenstand war.
Am 4. Dezember 2007 um 15:13 Uhr
vorweg: journalistische texte sind ganz sicher nicht meine kernkompetenz. wenn ich auf spreeblick eine geschichte schreibe, dann haben alle leser den gleichen schatz an vorwissen, nämlich gar keinen. schreibe ich aber über curb, dann lesen den text enthusiasten genauso wie menschen, die noch nie davon gehört haben. die einen sind von den fakten gelangweilt, für die anderen sind sie notwendig.
um das gefühl zu beschreiben, habe ich mich des kunstgriffs bedient, am anfang meine eigene seltsamheit ausführlich auszuwalzen. außerdem habe ich beispielsweise die szene aus dem piloten, in der jeff von larrys white-liberal-nodding-gulit spricht, erwähnt.
am ende führt aber alles nicht an einer erkenntnis vorbei: curb muss man sehen, nicht drüber lesen. in diesem sinn räume ich freimütig mein scheitern ein (unnötig zu erwähnen, dass „scheitern als chance“ und „der beste witz ist sein leben“ nicht von mir stammen).
was den text angeht-den kann ich dir privat zukommen lassen.
Am 4. Dezember 2007 um 15:22 Uhr
Ich liebe diesen Maxim Biller Scheiß. Man kann ja viel über Amerika sagen ohne je dort gewesen zu sein, und wenn man dort war gleitet man so schnell in antiamerikanismus oder dessen hässliche schwester. Die Beschreibungen Billers zeigen: big apple ist auch nicht anders als frankfurt und berlin: scheiße.
Am 4. Dezember 2007 um 15:59 Uhr
@Malte: Ich finde schon, dass man das Phänomen textlich beschreiben und dabei ein Gefühl vermitteln kann, was es eben zum Beispiel im Jahr 2007 heißt, CYE zu kucken. Ein paar Vorarbeiten (mehr nicht) dazu gibt es ja hier im Umblätterer anlässlich der sechsten Staffel. (Morgen kommt dann endlich der Rundown zur Finalfolge 6.10, d. h. wenn San Andreas endlich mal soweit ist – hallo?).
Ich bin aber nach wie vor der Meinung, dass biografistische Fakten einen nicht weiter bringen. Ok, LD ist der Co-Erfinder von »Seinfeld« und das ist auch natürlich irgendwie die Voraussetzung für die Serie. Das sagt aber weder inhaltlich noch stilistisch etwas über die Serie aus, das »Seinfeld«-Vorleben von LD wäre – und da übertreibe ich mal heftig – im Grunde austauschbar.
Viel spannender ist der Bau der einzelnen Folgen, sowas gab es eben vor »Curb« nicht (und selbst in »Seinfeld« wird dieses spezielle Plot-Verknüpfungs-Prinzip ja noch nicht ausgereizt). Stattdessen wird immer wieder darauf herumgeritten, dass es angeblich keine Drehbücher gibt. Die gibt es natürlich, allein schon wegen der für die Handlung wichtigen Verknüpfungs-Infos. In einer Folge von »Ricky Gervais meets …« kann man mal eines sehen. Dass dann trotzdem Text improvisiert wird: geschenkt. Auch das Minderheiten-Bashing ist nicht an sich lustig, auch die »fuck«- & »cunt«-Grenzüberschreitungen sind es nicht.
Aber es stimmt natürlich, was du sagst. Man muss diese Plot-Explosionen gesehen haben. Wenn etwa Ted Danson am Ende von 6.01 plötzlich mit der Weinflasche vor dem brennenden Haus steht und nach der Party vom Vortag fragt, bekommt man einen Eindruck von der Stärke eines hundertprozentig zuende gedachten Plots.
Am 4. Dezember 2007 um 17:42 Uhr
Ja ja, meine 6.10-Eloge wird in den nächsten Stunden fertig sein.
Was Eure Diskussion hier angeht, muss ich Malte beipflichten, dass der Grat, entweder Fans mit Fakten zu langweilen oder Neulingen dieselben sträflichst vorzuenthalten, ein schmaler ist. Man muss in einem größeren Forum wie der FAS Zugeständnisse dahingehend machen, dass das Phänomen LD in Deutschland noch weitgehend unbekannt ist. Davids Biographie ist, und da widerspreche ich Paco, unerläßlich oder zumindest sehr hilfreich für eine Heranführung an Curb, und für ein befriedigendes Verständnis des LD-Universums. Sicher steht die Serie irgendwo für sich, aber auch ein Rembrandt sieht mit Rahmen besser aus, und derlei Randinfos gehören ins Feuilleton, wohin denn sonst.
Ebenso wenig würde ich die Improv-Ästhetik vernachlässigen, sie ist essentiell für den Impact der Serie. Es ist präzise diese Form, die für die meisten Curb-Aspiranten das wirklich NEUE darstellt, neben der kompletten Respektlosigkeit der Drehbuchkonstrukte gegenüber Tabus und Konventionen.
Soweit mein Senf, gotta get back to work.
Am 4. Dezember 2007 um 19:16 Uhr
Widersprich mir ruhig, hehe. Aber niemand wird sich für eine Serie interessieren, wenn dann im Feuilleton steht: »Larry David ist der ewige Co-Creator of Seinfeld, in seiner Serie spielt er sich selbst, außerdem hat er mal Standup gemacht und zieht jetzt ohne Drehbuch über Minderheiten her.«
Denn da muss ich als Vertreter des Consortium Feuilletonorum INSANIAeque mal sagen, dass das kein Feuilleton ist. Gutes Feuilleton heißt vor allem, den Wahnsinn transportieren können, den ein Kunstwerk ausmacht. Da kann es ruhig Erklärungslücken geben. Die im Beitrag erwähnte »Vanity Fair« mit der unfassbaren Textstelle »Dead Kennedys (eine legendäre Punkband)« fliegt sofort in die Ecke. So sieht’s aus.
Dass die Improv-Ästhetik zum Gesamteindruck beiträgt, will ich ja gar nicht abstreiten. Stefan von VEB nannte das, was du ›Improv-Ästhetik‹ nennst, übrigens neulich ›scheiße produziert‹. Ein schönes Synonym, wie ich finde.
Und dass wir uns als what-so-ever Adepten natürlich auf alle möglichen Fan-Details stürzen, sollte uns nicht dazu führen, sie alle ernst zu nehmen.
Am 4. Dezember 2007 um 20:33 Uhr
Den Wahnsinn transportieren, das gefällt mir sehr gut, ich unterschreibe das unbedingt. Aber wenns nur so ein nerdiges Begeisterungstraktat wird, da hab ich keine Lust drauf. Fakten und erhellende Randnotizen bringen die nötige Dosis Objektivität, signalisieren Sachverstand. Nur eine gute Mischung ist gutes Feuilleton, that’s all I’m saying.
Am 4. Dezember 2007 um 21:46 Uhr
Sachverstand ist natürlich sozusagen überhaupt generell empfehlenswert.