25 Jahre »Blade Runner«
Hamburg, 20. Dezember 2007, 07:00 | von San AndreasManche Filme prägen einen. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie man Filme sieht, öffnen einem die Augen dafür, was Filme vermögen. »Blade Runner« wurde aus eben jenem Meilensteinholz geschnitzt, vor nunmehr 25 Jahren, von Ridley Scott.
Science-Fiction-Filme altern nicht gut, heißt es. An »Blade Runner« aber scheint der Zahn der Zeit sich denselben auszubeißen. Zwar sehen wir in Scotts L.A. des Jahres 2019 klobige Monitore und beinahe gilliameske Apparaturen, aber die Technik-Vision stand nie im Vordergrund. Der Film entwirft eine Zukunft, in der der Umgang mit der Technologie Fragestellungen aufwirft, die zeitlos sind: nach Selbst-Bewusstsein, nach Identität, nach dem Menschsein schlechthin.
»Replicants are like any other machine. They’re either a benefit or a hazard. If they’re a benefit, it’s not my problem.«
Rick Deckard ist kein Philosoph; er macht nur seinen Job: durchgebrannte Replikanten ausschalten. Seine Weltsicht ist rigide, er selbst unzugänglich und ausdruckslos. Welch anregende Ambivalenzen ergeben sich allein daraus, dass die Archetypen des Films gegenläufig angelegt sind: Roy Batty, Deckards artifizieller Widersacher, hat ein überschäumendes Wesen, ist leidenschaftlich, poetisch. Wer von beiden ist menschlicher?
»Commerce is our goal here at Tyrell. More human than human is our motto. Rachael is an experiment. Nothing more.«
Um das potenziell gemeingefährliche Gemüt der neuen, intelligenten Generation von Replikanten besser kontrollieren zu können, implantierte Tyrell ihnen einen emotionalen Erfahrungsschatz – Erinnerungen. Auf diesem Polster wähnt sich Rachael, mangels besseren Wissens, ein Mensch zu sein. Ihr Bezugsrahmen unterscheidet sich im Grunde nicht von dem Deckards – wie kann sich Deckard im Umkehrschluss sicher sein, *kein* Replikant zu sein?
In der Tat gibt es Anzeichen, dass er einer ist, aber die Debatte schwappt konsenslos hin und her. Selbst Scott, Ford und Peoples (Drehbuch) sind sich uneins: Mal wird diese Intention geleugnet, mal eingestanden. Was wiederum auch folgerichtig ist; der Film befasst sich mit Fragen in Grenzbereichen des Urteilsvermögens; einfache Antworten verweigert er, ja muss er verweigern.
»I want more life, father.«
Ganz und gar allegorisch wird der Film, als Batty den Konzernboss Eldon Tyrell aufsucht – entspricht dies doch dem ureigensten Bedürfnis des Menschen, seinem Schöpfer gegenüberzutreten und ihn höflich um etwas mehr Lebenszeit zu bitten. Nexus-6-Replikanten haben nämlich eine Lebensdauer von vier Jahren, und sie betrachten ihr Enddatum mit Unmut. Denn mit der Selbsterkenntnis, mit dem Aufkommen einer emotionalen Existenz, beginnt auch das geistige Ringen mit dem Tod.
»I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser gate.«
Wer weiß schon, was C-Beams sind, oder wo sich dieses Tannhauser Gate befindet. Battys abstrakter Monolog fügt sich ebenso in die grandiose Schlusskonfrontation ein wie die weiße Taube und der strömende Regen – Elemente, die eigentlich gefährlich nah am Klischee gebaut sind. Aber bis dahin hat die Kraft des Films derlei Bedenken ausgehebelt. Zu fesselnd die Ästhetik, zu dicht die Assoziationen, zu hypnotisch der visuelle Rausch.
»Ah, kinship!«
Battys letzte Tat rettet Deckard das Leben – ein wahrhaft humaner Akt, der Feindbilder ins Wanken bringt und Deckard, der eine morbide Affinität für den Tod hegt, in gewisser Weise läutert. Er sagt kein einziges Wort, doch kulminieren in diesen Minuten Einsichten immenser Tragweite – auch für den Zuschauer. Es ist frappierend, wie der Stoff (Vorlage: Philip K. Dick, 1968) bioethische Sachverhalte derart eindringlich problematisiert, Jahrzehnte vor Dolly.
Wie jeder Film, der seiner Zeit voraus ist, wurde Blade Runner seinerzeit als unverständliches, trübsinniges Machwerk verkannt. Scott wurde genötigt, optimistischere Bilder ans Ende zu tackern (er verwendete »Shining«-Outtakes), und Ford, der schon während der Dreharbeiten schwere kreative Schlachten mit dem Regisseur zu schlagen hatte, sprach zähneknirschend einen peinlichen Off-Kommentar ein.
Der Film verlor an der Kinokasse gegen »E.T.«, aber als Warner merkte, dass die Zweitauswertung großen Erfolg hatte und vereinzelte Workprint-Screenings riesigen Zulauf verbuchten, wurde 1992 ein erneuter Kinostart anberaumt, mit einer Version, in der die unliebsamen Verschlimmbesserungen getilgt waren – der Director’s Cut war geboren, mittlerweile eine fast lästige Unvermeidlichkeit.
Für Verwirrung sorgten später abweichende US- und internationale Kinofassungen, merkwürdige Special Editions und neu geschnittene Fernsehfassungen. Den (vorläufigen) Schlusspunkt setzt dieser Tage der »Final Cut«, die definitive Version, gründlich gereinigt und mit etlichen Schönheitsoperationen versehen, natürlich ohne Off-Kommentar und mit dem Original-Ende: Die Fahrstuhltür schließt sich hinter Deckard und Rachael, Vangelis‘ herrliche »End Titles« grooven los, und in der Luft hängen noch Gaffs bittersüße Worte:
»It’s too bad she won’t live. But then again, who does?«
Am 21. Dezember 2007 um 06:37 Uhr
Schöner, wirklich schöner, nämlich kluger u n d leidenschaftlicher Artikel. Ja, was sind C-beams? Aber das Tannhäuser-Tor schien mir immer in einen kosmischen >>>> Venusberg zu führen.
Am 27. Dezember 2007 um 19:42 Uhr
Eine bezaubernde Assoziation. Wie man liest, war Battys Monolog ja irgendwann mal für die Szene beim Augenmacher geschrieben worden. Überhaupt – Augen! Man hätte eine ganze Abhandlung über den Themenkreis Augen-Sehen-Erinnerung verfassen können: der Voight-Kampff-Test, die roten Reflexionen, die Apparate zur optischen Vergrößerung, Licht und Dunkel, Leuchtreklamen, die Erinnerungsfotos, die Tatsache, dass Roy seinen Schöpfer blendet, sein Dialog bei Chew, die Gleichsetzung Sehen=Leben… vielleicht später einmal, man wird sehen(!).
*Nicht* sehen kann man den Film hierzulande im Kino, das schaffen nur die Amerikaner. Schade, schade, denn diese Qualität muss eigentlich auf die ganz große Leinwand.