Kein Mist: »Der Nebel«

Hamburg, 6. Februar 2008, 14:08 | von San Andreas

Der Nebel musste aus den Niederungen gekommen sein. Mit einem Mal war er aufgezogen und hatte die Stadt überspült. Er schluckte meine Schritte, raubte mir die Orientierung. Lief ich nach Süden, nach Osten? Der Höllenbach lag gewiss hinter mir. Aus dem fahlgelben Widerschein der Laternen sah ich Straßenschilder auftauchen; sie sagten mir nichts. Kahle Bäume streckten ihre Gliedmaßen durch den Dunst.

Da! In der Ferne gab der Nebel, kurz und widerwillig nur, den schwachen Umriss eines Gebäudes frei. Ich beschleunigte meinen Schritt in diese Richtung, das matte Kopfsteinpflaster verlor sich hinter mir in züngelnden Schwaden. Als ich schon meinte, mein Ziel verfehlt zu haben, ragte das Bauwerk plötzlich dräuend vor mir auf. Erlöst blickte ich die glatte Fassade empor. Es gab keinen Zweifel: Das war der UCI-Kinopalast.

Zu Jugendzeiten bin ich ein großer Fan der King-Novelle »The Mist« gewesen; ferner hat die Liaison zwischen Stephen King und Frank Darabont dem Kino bereits zwei Schmuckstücke beschert (»The Shawshank Redemption«, »The Green Mile«). Grund genug, sich auf den Film zu freuen. Hatte es diesmal wieder geklappt? Oh ja (und ein wenig nein).

Darabonts Herangehensweise konnte freilich verschiedener nicht sein; der Stoff eignet sich auch kaum für eine ausladende A-Liga-Produktion, die hinten und vorne nach dem Oscar schielt. Solcher Ansprüche ledig, inszenierte er frank und frei ein klassisches amerikanisches Genrestück, das weder in Belangen der Story noch ihrer Umsetzung irgendwelche Kompromisse eingeht.

Das erfrischt. Obwohl die Prämisse als altbekannte Formel daherkommt: Ein zusammengewürfelter Haufen Leute sieht sich einer ominösen Gefahr gegenüber, die sie von der Außenwelt abschneidet und derer sie sich erwehren müssen. In diesem Fall: der Supermarkt einer Kleinstadt in Maine, drinnen ein paar Dutzend Kunden, und draußen: der Nebel.

Wie schon die Vorlage versteht sich der Film als Hommage an die Horrorgeschichten der 50er Jahre. Doch erzielt er – wie jeder gute Horror – eine gewisse universale Qualität, da er doch weniger von bizarren Monstern als von Menschen erzählt, ihrer Weltsicht, ihren Reaktionen. Das wahre Grauen kommt nämlich gar nicht aus dem bösen Gewölk – es befindet sich bereits im Supermarkt.

Die Makulatur des friedlichen Miteinanders zerbröselt in extremen Situationen. Die Gefahr im Nebel löst Angst aus, und Angst – so der wenig eloquente Subtitel des Films – verändert alles. Sie setzt eine verhängnisvolle Dynamik in Gang, welche die Gruppe schließlich sprengt: Anführer und Mitläufer, Aufwiegler und Beschwichtiger, Nihilisten und Idealisten. Entscheidungen müssen getroffen werden, und das Abwägen zwischen Eigennutz und Edelmut fällt nicht jedem leicht.

Also hängt man sich an Parteien und Meinungsführer. Da gibt es Drayton, den Pragmatiker, der eine Gruppe rationaler Geister um sich versammelt und altruistische Ideale hochhält. Auf der anderen Seite gibt es Mrs. Carmody, die religiöse Fanatikerin, um die herum sich spirituell angehauchte Fatalisten scharen.

Die Abwehraktionen gegen die Kreaturen aus der Nebelbank bergen so manch drastische Schockmomente, doch was die »aufgestachelten Gläubigen anrichten, stellt alles in den Schatten, was man in den letzten Jahren in einem Horrorfilm gesehen hat« (Sascha Westphal in der »Welt«).

Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen … gäbe es da nicht das schlimme Ende, dass Darabont dem Film in Abweichung vom ungleich besseren, offenen Ausgang der Novelle verpasst hat. Eine böse, zynische Pointe, die den Zuschauer jäh aus dem Film herausreißt, weil sie in so krassem Gegensatz zur restlichen Handlung steht und reichlich unmotiviert inszeniert ist. Schade, schade.

Ein Gefühl der Frustration beschlich mich, als ich den Saal verließ. Der Grusel war verflogen, die Illusion lag in Scherben. Das Gebäude entließ mich ohne Verzug, ich trat auf die Straße. Eine nüchterne Nacht umfing mich, ihre Luft kühl und klar. Ich blickte auf. Der unheimliche Nebel, er war verschwunden.

3 Reaktionen zu “Kein Mist: »Der Nebel«”

  1. Cobalt

    ich dachte erst, es geht um das rauchverbot *hehe*

  2. ThoHa

    Ich mochte die Novelle auch gerne, vor allem aber hat mich damals das Hörspiel weggeblasen, das es in Kunstkopf-Stereo-Technik gab und (v.a. weil man das ja am besten mit Kopfhörer hört) für sehr gruselige Momente unter der Bettdecke sorgte. Darabont ist solide, mehr schafft er leider meist nicht.

  3. San Andreas

    Ach doch… zugute halten muss man ihm auch, dass er die Drehbücher selbst schreibt und vor allem imstande ist, werkgetreu zu adaptieren. Das Mist-Ende allerdings- keine Ahnung, was ihn da geritten hat. Kumpel King mochte es aber, laut eigener Aussage, zumindest »on the page«.

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