Lost: 4. Staffel, 3. Folge
London, 19. Februar 2008, 22:12 | von DiqueAchtung! Spoiler!
Episode Title: »The Economist«
Episode Number: 4.03 (#74)
First Aired: February 14, 2008 (Thursday)
Deutscher Titel: »Der Ökonom« (EA 29. 6. 2008)
— Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)
Eine Sayid-Folge, und man fragt sich, wie der ehemalige Foltermeister der Republikanischen Garde immer wieder zum Werkzeug dunkler Mächte wird. Besonders, wenn man ihn von der Insel her kennt, kontrolliert, dominant und somewhat in charge. So wie er in dieser Folge bei seiner Charlotte-Befreiungsaktion rüberkommt, um dadurch auf den Frachter vor der Küste zu gelangen, wie es ihm als Lohn in Aussicht gestellt wird von dem Chopper-Pilot, der aussieht wie der Typ aus »Tropical Heat«, nur eben in alt und versoffen.
Aber so tough er auch sein mag, Sayid hat erkannt: »Everyone has a boss.« Seine Dienstherren scheinen bevorzugt zur Kategorie ›schlimme Finger‹ zu gehören, wenn man seinen Werdegang vom Folterer zum Auftragsmörder von Bens Gnaden betrachtet. Von diesem neuesten Karriereschritt wird uns nämlich im Flashforward gegen Ende der Folge berichtet. Dabei hatte er auf der Insel noch getönt: »The day I start trusting him [Ben] is the day I would have sold my soul.« Hat er also in einem faustischen Pakt, von dem wir noch nichts wissen, seine Seele verkauft?
Und was wissen wir schon. Für jeden Ansatz einer Erklärung, und davon gibt es in dieser Folge glücklicherweise mal so einige, werden uns immer wieder neue Fallstricke der Verwirrung gedreht, werden neue Personen und schwindelerregende Plot-Winkelzüge präsentiert.
Da schlendert nun der harte, weiche Sayid, ›der weiche Riese‹ möchte man sagen, ein bisschen wie Axel Schulz, nur ohne die frischen Koteletts auf den Augen, durchs winternasse Berlin und verliert, binnen einer Folge, erneut eine blonde Geliebte. Bauchschuss. So starb auch Shannon auf der Insel (am Ende von Folge 2.06), nur hat Sayid diesmal in Berlin selbst die Hand am Abzug.
Im Café »Die Mauer« lernt er Elsa kennen. Sie soll eigentlich nur ein Lockvogel sein, eine Informationsquelle, ein Vorwand. Der Mörder Sayid, das kann man ruhig mal so hart sagen, will ihren Boss niederstrecken, so wie er den Herrn zu Anfang der Folge auf dem Seychellen-Golfplatz erledigt hat. Der altmodische Boss von Elsa, über den wir nichts wissen, wird ein alter Bekannter sein. Dazu gibt es sicher bald mehr, oder eben gegen Ende der 6. Staffel, falls es die Autoren irgendwie zwischenzeitlich vergessen, verschieben oder verplanen. Deshalb frage ich auch nicht schon wieder nach dem Statuenrest mit den vier Zehen.
Die Folge ist auch wieder ein bisschen touristisch, so wie Paco es bei der letzten Folge bereits feststellte, nach dem anfänglichen Abstecher auf die Seychellen wird uns ein kühles Deutschland präsentiert, Berlin. Und es gibt auch wieder Namensspiele: Sayids Geliebte (und Opfer) Elsa erinnert einerseits an den berühmten Exploitationklassiker »Ilsa, She Wolf of the SS« von Don Edmonds, hehe, aber vor allem natürlich an die ach-so-deutsche Elsa (von Brabant) aus Wagners »Lohengrin«. Die Parallelen der Todesumstände beider Elsas sind zumindest recht deutlich. Aber vielleicht gehen wir hier ein bisschen zu weit mit unseren Mutmaßungen, denn eine Zigarre ist manchmal eben nur eine Zigarre.
Wo wir gerade dabei sind, Namen, Zahlen … Faraday lässt vom Frachter aus eine kontrollierte Rakete auf seine Position abschießen, welche mit einiger Zeitverzögerung auf der Insel ankommt. Die Zeit auf der Insel scheint deutlich langsamer zu laufen. Das ist natürlich ein dickes Ei. Erklärt vielleicht auch, warum Richard, den Ben auf seiner kurzen Flucht während seiner Kindheit hinter den Sicherheitspylonen im Wald traf (Folge 3.20), seither nicht oder nur sehr wenig gealtert ist. Als er ihn nach dem Massenmord an der gesamten Dharma-Besetzung wiedertraf, sah der noch genauso aus, aber aus dem jungen Benjamin war inzwischen ein Mann geworden.
Die Rakete brauchte übrigens 03:16:22 Realflugzeit, nach Inselmessung aber nur 02:45:03. 3+1+6+2+2=14 (1+4=5, die Quersumme von 23). Nun mal bitte die Inselzeit zusammenrechnen, scary, platt oder Zufall? Ach so, flight number 8+1+5, hehe.
Es gab ja das U-Boot, und wir wissen auch um den Kontakt der Inselbewohner mit der Außenwelt, welcher allerdings immer sehr sporadisch wirkte und an dem Ben nicht beteiligt war. Es erschien immer, als hätte er sein Leben nach der Ankunft auf der Insel ausschließlich dort verbracht. Nun entdeckt aber Sayid diesen geheimen Raum in Bens Haus (ganz klassisch: ein drehbares Bücherregal).
Ein Raum voller Pässe, plus Geld in verschiedenen Währungen und anderen Reiseutensilien. Ben war also out and about in der weiten Welt. Und dann bekommen wir noch einen kurzen Blick auf Bens Schweizer Reisepass. Und was wird wohl herauskommen, wenn wir von Bens Geburtsdatum die Quersumme bilden, 3. März 62, 3+3+6+2?
Bens Reisetätigkeit wird auch erklären, warum einige Leute auf ihn so sauer sind und ihn suchen. Es sieht nach Rache der Dharma-Initiative aus. Vielleicht gehört Ben zu einer Organisation, die direkt mit den Dharmas in Konkurrenz steht. Nach dem in Tunesien freigelegten Skelett eines Eisbären mit Dharma-Halsband liegt die Vermutung nahe, dass Dharma nicht nur auf der Insel Experimente mit dem weißen Meister Petz durchführte, sondern verschiedene Stationen betrieb.
Vielleicht hat Ben die alle nacheinander ausgeschaltet. Die Insel war für ihn sicherer Fluchtpunkt, denn niemand konnte sie orten, aber nach der Explosion im Hatch und der Zerstörung von »The Looking Glass« hat sich das alles geändert, und die heile Inselwelt des Benjamin Linus entgleitet immer mehr ins Chaos.
Locke führt in der aktuellen Folge seine »Herde« über die Insel und folgt dabei seinem ganz persönlichen Abendstern, in Form von Mr. Ekos Schnitzereien. Nun begegnen sich die Gruppen at gunpoint, aber doch zivilisiert. Sayid wird von Kate überrascht, noch ehe er seine Gedanken über Bens Versteck verdauen kann und wird, wie zufällig, zu Ben gesperrt, der ihn mit »I guess they’re running out of jail space« begrüßt.
Vielleicht haben die beiden hier ihren teuflischen Pakt geschmiedet, obwohl dafür wohl die Zeit nicht gelangt haben dürfte. Denn Sayid wird sich schnell einig mit Locke: Er tauscht Charlotte gegen den Geisterjäger Miles und kehrt mit ihr zum Heli zurück, zu Jack und den anderen. Der Plan geht auf, und der Chopper hebt ab, mit dem versoffenen Tropical-Heat-Piloten, Sayid, Desmond und der toten Naomi.
Für Herz und Record, Kate hat sich mal wieder für Sawyer (und damit die Insel) entschieden, aus Mangel an Perspektive. Das wird sie sich aber scheinbar noch mal anders überlegen, schließlich ist sie eine der Oceanic Six. Wie übrigens eben auch Sayid, der jetzt Nr. 4 von 6 ist, fehlen also noch 2 (wenn man Ben nicht mitzählt, der ja im Flashforward mit Sayid unterwegs war). Die Komplettierung dieses Figuren-Sixpacks ist im Moment wohl die spannendste Perspektive, und sie wird auch nicht so lange auf sich warten lassen wie die Auflösungen all der anderen Fragen (die Monumentalstatue mit den vier Zehen will ich gar nicht erst wieder erwähnen, was zur Hölle ist das!).