»Die rasende Radisch«: Die FAS vom 24. 2. 2008
Leipzig, 24. Februar 2008, 23:03 | von PacoBevor es gleich ums FAS-Feuilleton geht: SP*N hat eben einen leicht launigen Geburtstagsgruß Richtung »Monocle« geschickt. Darin wird mal schlagend zusammengefasst, was das Magazin so angenehm macht: »Keine IT-Milliardäre, keine Celebrities, kein YouTube-Hype.« Klingt wie das Gegenteil von SP*N, hehe.
Wir lesen »Monocle« übrigens genauso regelmäßig wie die FAS, und damit zur aktuellen Ausgabe, die man am heutigen Sommersonntag mitten im Februar schon auf den Terrassen aller Kaffeehäuser des Monats lesen konnte.
Aufmacher ist ein Gespräch zwischen Julia Encke und Charlotte Roche. Die beiden siezen sich, und das wirkt irgendwie unfreiwillig komisch, wenn es dabei um Masturbation im Badezimmer und Intimrasuren geht.
Dann Klaus Theweleit zu Littell und den »Wohlgesinnten«. Auf der Seite prangt wieder die Thalia-Werbung (»Das beste Buch des Monats!«), dieser freiwillige oder unfreiwillige Gag kommt immer noch so gut wie letzte Woche.
Nun aber zu Theweleits Aufsatz: Auf diese Stimme hat man irgendwie gewartet. Tilman Krause hatte ja in der »Welt« dreisterweise sogar geschrieben, dass Littell »unserem Bild vom faschistischen Charakter neue, über Theweleits ›Männerphantasien‹ hinausgehende Züge gibt«, und da ist es an der Zeit, dass er selbst spricht.
Zunächst arbeitet sich K. T. aber an der (meiner Meinung nach sehr guten) Rezension von Iris Radisch in der »Zeit« ab. Er nennt sie die »rasende Radisch«, und sofort ist klar: Es geht ein bisschen um Polemik.
Er kann Radisch jedenfalls nicht plausibel widerlegen. Ihm gelingt es aber, und das ist viel wichtiger, eine neue Phase in der Debatte um das Nicht-Jahrhundertbuch (Schirrmacher) einzuleiten. Es geht jetzt um Details, nicht mehr um das große Ganze, über das ohnehin schon alles gesagt wurde, bevor das Buch gestern offiziell erschienen ist.
Die Artikelüberschrift – »Der jüdische Zwilling« – deutet schon an, worin Theweleit einen interpretatorischen Schlüssel vermutet, nämlich in der Darstellung der »affektiv-intellektuellen Symbiose des ›Deutschen‹ mit dem ›Jüdischen‹«. Insgesamt psychologisiert Theweleit etwas zu mutig, es wurde mir auch etwas schwindlig dabei, sozusagen, aber den Aufsatz sollte man sowieso am besten nächste Woche noch mal lesen.
Als es am Ende noch mal um die literarische Qualität geht (die den »Wohlgesinnten« ja reihenweise abgesprochen wurde), prägt Theweleit übrigens, womit er eigentlich die Littell-Kritiker imitieren will, das Wort vom »Literaturgefreiten Littell«, und das ist doch mal eine schöne plastische Formulierung.
Ein paar Seiten weiter gibt es ein Interview, das der Interviewkünstler André Müller mit der Violinistin Julia Fischer geführt hat (die Stefan Raab und Tokio Hotel nicht kennt). Wie es sonst nur bei Jonas Kaufmann üblich ist, stellt Müller der Bildungsgeigerin beständig Fragen nach ihrem Aussehen, die sie aber alle abwehrt. Dann folgende Stelle:
Müller: »Kunst, sagen Sie, ist nicht Unterhaltung.«
Fischer: »Ja, das sage ich, denn ich finde, es gibt eine Trennlinie zwischen der Kunst und dem Entertainment.«
Diese Stelle ist deshalb so herrlich, weil genau auf der gegenüberliegenden Seite Reich-Ranicki widerspricht, Schiller zitierend:
»Der Zuschauer [und natürlich der Leser; R. R.] will unterhalten und in Bewegung gesetzt sein. Das Vergnügen sucht er …«
In der FAS haben schönerweise auch Widersprüche Platz, hehe.
Und zum Schluss noch, hätte ich fast überlesen, die Kolumne »Nackte Wahrheiten«, heute bespielt von Claudius Seidl. Er rechtfertigt sich dafür, dass das Bestsellerbuch »Generation Doof« nicht von der FAS besprochen wird. Denn »die beiden Autoren (waren) beim sogenannten Kerner eingeladen«, und C. S. hat zugesehen und den Titel des Buches offenbar auf das Autorenduo beziehen müssen, und dann wurde entschieden:
»Nein, haben wir vom Feuilleton zu uns selber gesagt, ganz gegen unsere Gewohnheit: Angesichts dieser Variante der Dummheit erklären wir uns einfach mal für unzuständig.«
Am 25. Februar 2008 um 23:13 Uhr
Wunderbar! Bei euch zu lesen erfrischt mich dermaßen, dass ich mittlerweile lerne, im Lachen zu pinkeln.
Am 26. Februar 2008 um 08:33 Uhr
„Er kann Radisch jedenfalls nicht plausibel widerlegen.“ Wie auch. Wenn ich dir sage, dieses oder jenes ist kitschig, ohne zu definieren, was für mich kitschig ist und warum und welcher allgemeinen Definition von Kitsch ich bei meinem Urteil folge – und ohne zu benennen, welches Bild ich meine –, wie willst du mich da „widerlegen“. Du kannst nur sagen, was du unter Kitsch verstehst und warum und daß du Kitsch so oder so definierst.
Idiosynkratisches Headbanging wie bei Frau Radisch ist nicht widerlegbar, sondern nur zu kommentieren.
Am 26. Februar 2008 um 19:00 Uhr
Dass Theweleit in seinem Essay gegen Radisch wettert, hat überhaupt keinen Sinn. Sie macht Literaturkritik, er macht Sozialpsychologie. Und Radischs lange Kritik bietet nun wirklich einiges an eindrucksvollen Gründen für ihre verreißerische Lesart. Man muss diese Gründe nicht teilen, denn sie sind geschmäcklerisch, keine Frage. Aber wie gesagt: Genre ›Literaturkritik‹. Mit einem Ausdruck von Theweleit: »das geht nur so«. Theweleit macht dann ja was anderes, und er hätte des Ausbruchs gegen Iris Radisch und Ulrich Herbert, der nichts zu seinen Thesen beiträgt, gar nicht bedurft. Wobei es natürlich auf diese Weise ein schönes Feuilleton geworden ist statt eines beinharten Essays.