Würdiger Vorläufer von »Rome«:
»I, Claudius« (BBC 1976)
auf Reisen, 27. Februar 2008, 06:25 | von Paco
Es gibt nach dem Ende der 2. Staffel leider keine Fortsetzung der HBO-Serie »Rome«. Bzw.: Es gibt sie doch, in a way.
Die 13-teilige BBC-Serie »I, Claudius« (nach dem Roman von Robert Graves) ist stilistisch ein deutlicher Vorläufer von »Rome«: Allein die skrupellos-genialen Intrigen der Livia (Siân Phillips), die sie immer so schön doppeldeutig kommentiert und am Ende dem Kaiserkandidaten Claudius (Derek Jacobi) offenbart, sind sehenswert. Die empfehlenswerte Website »I, CLAVDIVS PROJECT« nennt etwa ihre Loswerdung des Postumus in Folge 4 »a masterful piece of manipulation«.
Erzählrahmen bildet Claudius‘ Niederschrift der Geschichte der julisch-claudischen Dynastie unmittelbar vor seinem Tod im Jahr 54 n. Chr. Er beginnt seine Familienstory ca. 24 v. Chr., es handelt sich also historisch gesehen tatsächlich um die Fortsetzung der HBO-Serie »Rome«, die ja mit Marc Antonys Tod nach der Niederlage bei Actium und Octavians Machtantritt endet. Natürlich wirken die 70er-Jahre-Charakter alle etwas dröger als die vor Fleischeslust strotzenden und leuchtenden Römer der US-Serie. Aber das schöne UK-Englisch passt natürlich besser zu den Römern.
Um mit dem Figurenreichtum zurechtzukommen, sollte man auf jeden Fall irgendeinen Serienguide im Netz nutzen. Der unübersichtliche Familiennexus verwirrt sogar Augustus (Brian Blessed) selbst, der den kleinen Claudius in Folge 3 fragen muss:
– Now, which one are you?
– Claudius.
– Oh, yes, Drusus‘ boy.
»I, Claudius« folgt als gute Britenserie auch einem speziellen Humor. Wenn es zum Beispiel in Folge 2 um die römische Provinz Britannia geht, heißt es: »There’s nothing of value there and the people make poor slaves.« Genauso schön funktioniert übrigens das Krautbashing: »Shall we ever civilise the Germans?« Gut, der Ton ändert sich ein wenig im Jahre 9, nachdem Varus an der Grenze zu Germania ein paar Legionen verheizt hat.
Ähnlich wie »Rome« liegt auch der 70er-Jahre-Serie ein lüsternes Drehbuch zugrunde, das sich vor allem für die sagenhafte Promiskuität der Römer interessiert. Nur ein Beispiel: Augustus‘ Tochter Julia hält sich dutzendweise Liebhaber, nachdem ihr dritter Mann Tiberius auf Rhodos exiliert ist. Einmal fragt sie ihren Lover Plautius, der gleichzeitig der Freund ihres Sohnes Lucius ist: »Tell me, does Lucius know you’re ploughing his mother’s furrow with such ferocious skill and energy?« (Folge 3)
Livia setzt diesen Plautius dann irgendwann als Spitzel ein und lässt ihn eine Liste mit allen Lovern von Julia anfertigen. Es wird eine lange Liste. Sie brieft Augustus mit den ausspionierten Daten, und der befragt ein paar angetretene Männer nach ihren Beziehungen zu Julia und rastet dann aus: »Is there anyone in Rome who has not slept with my daughter!«
Dann gibt es noch die Anekdote mit dem Lovemaking-Contest: Während ihr Gatte Claudius Britannia erobert, arbeitet Messalina im Wettstreit mit der berüchtigten Starprostituierten Scylla eine Männerschlange ab, wobei aber nicht mal heruntergelassene Hosen gezeigt werden. Das HBO-»Rome« hätte dafür sicher auch ein paar lustige Bilder gefunden. Erwähnt sei auch noch John Hurt als blondgelockter Lustmolch Caligula, dem schon eine Präfiguration des 1979er Caligula im gleichnamigen Film von Tinto Brass (nach Gore Vidal) gelingt.
An seinem Beispiel lässt sich auch die brutale Entschlossenheit der Figuren zeigen, für die ja auch »Rome« überzeugende Ausdrucksmöglichkeiten gefunden hat (erinnert sei an die Zunge, die Titus Pullo einem Kontrahenten in Folge 2.08 herausbeißt): Caligula hat dem für tot gehaltenen Tiberius bereits den Ring abgestreift und sich pompös zum neuen Emperor erklärt, da kommt ein Sklave angerannt und vermeldet, dass der bereits Totgeglaubte noch lebt und seinen Ring zurück haben will. Herrlich: Caligulas Blick in diesem Moment. Macro nimmt dann ein Kissen und hilft Tiberius ins Jenseits. – Oder wenn in Folge 9 der Kopf des kleinen Gemellus gebracht wird, und Caligula kommentiert: »I’ve cured his cough.«
»I, Claudius« ist entlang der historischen Begebenheiten also auch so brutal wie »Rome«. Beispielhaft zu nennen wären hier auch noch die Grausamkeiten rund um die Ermordung des Sejanus (gespielt vom jungen Patrick Stewart) und seiner Familie. Dessen minderjährige Tochter steht auch mit auf der Prosrikptionsliste, und als einer der Exekutoren Bedenken trägt, eine Jungfrau zu ermorden, da das Unglück für die Stadt bedeuten würde, schlägt ihm ein Kamerad vor: »Make sure she’s not a virgin before you kill her.«
In 13 fast einstündigen Folgen ist übrigens auch Platz für schöne Details, etwa die häufige Wiederkehr von Augustus‘ komischem Lieblingsausdruck »quick as boiled asparagus«.
Am Ende wird Claudius durch seine letzte Frau Agrippinilla vergiftet, die auf diese billige Weise machthungrig ist wie alle ihre Peers. Claudius will es aber auch gar nicht verhindern, dass ihr verzogener Sohn Nero als sein Nachfolger installiert wird. Die julisch-claudische Dynastie wird mit diesem verwöhnten dicken Jungen tatsächlich abtreten, und genau das ist auch Claudius‘ Ziel, von dem er sich langfristig die Wiederherstellung der Republik verspricht, auf dass es endlich ein Ende habe mit den Giftmischern und Mördern. Es sollte natürlich anders kommen.
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