Die FAS vom 9. 3. 2008:
90 Wörter von Peter Hacks

London, 9. März 2008, 22:12 | von Dique

Zwei Wochen fremdgekauft, weil auf Reisen, heute wieder die FAS bei meinem Newsagent. Ich habe manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn ich meine Lektüre unterwegs kaufe und nicht wie gewohnt in seinem kleinen Laden auf Westbourne Grove.

Letzteren laufe ich nun hinunter, und mir kommt Peer Steinbrück entgegen bzw. eine sehr gute Kopie in einem furchtbaren hellen Anzug. Was will der denn hier, Budget Hotel in Bayswater? Es ist wohl die Combo aus Frisur und Brille, die ihn dem deutschen Finanzminister so täuschend ähneln lässt, und der Anzug natürlich.

Ich denke sofort an eine »Seinfeld«-Szene (»The Diplomat’s Club«, Folge 6.22), in der George Costanza seinem Boss Mr. Morgan sagt, dass er aussehe wie Sugar Ray Leonard. Der findet das aber gar nicht komisch und sagt: »I suppose we all look alike to you, right, Costanza?«

Wer die Folge kennt: Ich befinde mich nicht auf der Suche nach einem Freund mit Halbglatze und Brille, um eventuellen Verdachtsmomenten vorzubeugen, obwohl mir da sofort Jason Alexander oder eben gleich Larry David selber als mögliche Kandidaten einfallen, hehe. Jedenfalls raune ich dem Westbourne-Grove-Steinbrück leise aber verständlich »Ypsilanti« zu, als wir auf gleicher Höhe sind, aber keine Reaktion, strahlend marschiert er weiter.

Jetzt habe ich schon die Hälfte der Zeilen, die mir Paco für heute eingeräumt hat, für das Vorgeplänkel verballert, deshalb mal ein bisschen was zum Inhalt der heutigen FAS:

Mein Lieblingssatz stammt aus dem Artikel »Neue Herren, harte Schnitte, freche Mode« von Bettina Weiguny, der vom Engagement vieler Private-Equity-Gesellschaften in Modefirmen handelt. Thomas Schlytter-Henrichsen von der Alpha-Gruppe wird da zitiert:

»Wenn Sie einem Designer als Einsparmaßnahme die Kekse streichen, kippt die Stimmung. Das ist tödlich für ein kreatives Team.«

In einer Extra-Beilage gibt es mal wieder ein Städte-Ranking (»Städte im Wettbewerb«), dieses Mal geordnet nach Kreativitätspotenzial. München ist vorn, und die FAS kommentiert das im Teasertext mit einem »Wer hätte es gedacht«. Dabei wurde die bayrische Metropole bereits letztes Jahr von »Vanity Fair« und »Monocle« zur coolsten Stadt gekürt (wir berichteten), bei »Monocle« sogar im weltweiten Maßstab.

Das Feuilleton wird von Frank Schirrmacher persönlich eröffnet, mit einer Hymne auf 90 Wörter von Peter Hacks. 90 Wörter formvollendet ausgewählt und zusammengeführt, ein traumhaftes Gedicht (»Beeilt euch, ihr Stunden«), von dem Stefan Amzoll schon vor einem halben Jahr im »Freitag« geschrieben hat, dass es »das schönste« der Hacksgedichte sei. Man liest es zweimal oder dreimal, bevor es mit Schirrmacher weitergeht:

»Die Frage ist, ob diese paar Zeilen eine halbe Bibliothek von politischen Gemeinheiten aufwiegen. Die Antwort lautet, dass neunzig Worte in der richtigen Reihenfolge mehr wert sind als zehntausend Worte in der falschen. Das Letztere ist Gesellschaft, das Erstere ist Kunst.«

Ich folge einfach. Das betrifft ja nicht nur Hacks. Vor ein paar Tagen las ich die Céline-Biografie von Ulf Geyersbach, ebenfalls erst kürzlich in der FAS empfohlen. Geyersbach lässt kaum ein gutes Haar an Leben und Werk Célines, aber dann gibt es ja noch die »Reise ans Ende der Nacht«. Und vielleicht sollte man auch hier richtigerweise in Kunst und Gesellschaft trennen.

Ansonsten viele Buchvorstellungen (Buchmesse approaching), von denen Tobias Rüthers Rezension »Der Dandy im Kochtopf« in grotesker Weise hervorsticht. Der Artikel endet mit dem Satz:

»Herr Ehlers war längst zum nächsten Sehnsuchtsort unterwegs: Neuguinea. Etwas später ist er dann aufgegessen worden.«

Es geht um die Neuauflage des Buchs »Samoa. Die Perle der Südsee« vom reiselustigen Otto E. Ehlers (hier der Link zu einer Altauflage). Tatsächlich wurde Ehlers Opfer von »Hungerkannibalismus«, was für ein Wort, aufgegessen von seinen melanesischen Trägern. Details bleibt uns die FAS schuldig, aber ich denke an den finsteren Heroismus des Untergangs des Medusa-Floßes auf dem fantastischen Bild von Géricault im Louvre, auch wenn die Umstände etwas anderer Natur waren.

Nicht zu vergessen ein Interview mit Clemens Meyer, von dem wir hören, dass er seinen auch finanziellen Erfolg mit »Als wir träumten« vor allem für »Wein, Weib und Gesang« verschossen hat. Darauf ein Prosit.

Und habe ich schon erwähnt, dass Billers »Moralische Geschichte« wieder sehr gut ist, nein, aber das ist sie ja immer, dieses Kleinod am Rande.

Eine Reaktion zu “Die FAS vom 9. 3. 2008:
90 Wörter von Peter Hacks”

  1. Marcuccio

    spannendsten teil des städte-rankings fand ich übrigens noch den architektur-artikel von niklas maak. auch wenn man von den den meisten projekten schon wusste war das noch mal ein schöner abriss zum stadtumbau im allgemeinen. witzig auch, wie sich da neben allen FAS-Ranking-Großstädten das kleine thüringische leinefelde in den artikel geschlichen hat, aber der hintergrund ist natürlich ganz klar: niklas maaks FAS-kumpel dr. peter richter hat ja diese schöne diss geschrieben:

    »Der Plattenbau als Krisengebiet : Die architektonische und politische Transformation industriell errichteter Wohngebäude aus der DDR am Beispiel der Stadt Leinefelde«

    Wird im Baufachgewerbe schon heiß gehandelt, als Online-Ressource runterzuladen ist sie hier.

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