Leipziger Buchmesse: Lesungswahnsinn

Leipzig, 16. März 2008, 14:05 | von Paco

Donnerstagabend, Kuppelhalle der LVB. Dort werden gern rauschende Feste gefeiert, für Lesungen ist der hallende Raum eher nicht geeignet. Die Tür gibt beim Öffnen und Schließen ein inkommensurables Kojotengeheul von sich.

Für 20 Uhr ist also eine Lesung angesetzt, mit 7 Autoren aus aller Herren Länder. Jenny Erpenbeck liest als erste, während immer mal wieder ein paar Nachzügler hereinkrächzen, zuletzt auch der beauftragte Lesungsfotograf.

Dieser packt sein Equipment aus und schraubt die Kamera zusammen, klack, ratter, zzzzz. Er ist schon jetzt unschöner Mittelpunkt der Veranstaltung, aber dann …

… dann klingelt auch noch sein Handy. Einmal, zweimal, er beutelt das Ding, wo das Handy drin ist, hin und her, dreimal, viermal, endlich hat er es. Statt es jetzt auszumachen, geht er ran. »Hallo?«

»Fucking hell«, tönt es von irgendwoher hinten, es murrt, es zischt. Irgendwann hat er zuende gemurmelt, zückt dann aber das Fotomachgerät und hält es erst mal frontal in die Menge.

Ähm, könntest du mir jetzt bitte mal nicht so voll in die Fresse reinfotografieren? Öffentlicher Ort hin oder her, es nervt. Alle halten sich irgendwie die Hände vors Gesicht.

Sicher keine schöne Aussicht, kein repräsentatives Publikumsfoto mit konzentrierten und erheiterten Zuhörern. Der Fotograf tingelt seitlich durchs Publikum, sucht sich irgendeinen Platz und schickt sein Blitzlicht jetzt voll in den Lesewinkel der Frau Erpenbeck.

Die zuckt zusammen und fragt ganz freundlich, ob man das bitte vielleicht mal lieber nach der Lesung machen könne (correct Konjunktiv used by courtesy of Die Dschungel). Es herrscht aber irgendwie ein wenig Uneinsichtigkeit bei der Fotoabteilung. Da prescht ein Autorenkollege vor und packt den Kamerahalter am Schlafittchen.

»Il sloveno!« rauscht es durch die Reihen. Ich kenne den mit seiner Kollegin solidarischen Autor nur von einer Handvoll Gedichten aus dem EDIT-Sonderheft »Slowenien« vom letzten Frühjahr. Jedenfalls …

… reicht es jetzt nämlich offenbar wirklich, überall wird Zustimmung signalisiert. Leider wird der Sloveno forsch und besteht mehrmals darauf, dass der Fotograf den Ort verlässt. Als seine Jacke aus der Tür hinaus die Treppen runterfliegt, schlägt die Zustimmung sofort in Mitleid um. Einige wenige verlassen mit dem Fotomenschen den Raum, aber das mag noch mal fünf andere Gründe gehabt haben.

Marcel Beyer ist übrigens auch bei der Rausschmisslesung dabeigewesen. Einen Abend später liest er dann noch mal aus »Kaltenburg« vor, im »smow« am Burgplatz, und zwar diesmal allein. Eine Stunde, vier Substorys.

Im Vergleich zum Vorabend macht sich nun der komplette herrliche Lesungswahnsinn breit. Menschen halten Wein in ihren Händen, hören da jetzt genau zu, der Autor erklärt vorab ein bisschen den Roman. Das ist sehr angenehm, wenn im Kneipengeschichtenstil schnell über die Figuren gesprochen wird, damit jeder weiß, worum es jetzt gleich noch mal geht.

Dann die Lesung, das Aufschnappen einzelner schöner Sätze, das Verlieren in der Betonung, das Sammeln von erzählerischen Informationsbits, kurze Langeweile, dann plötzlich wieder die Freude über Konjunktive, jemand hustet, ein paar grinsen. Und kein Kojotengeheul.

Eine Reaktion zu “Leipziger Buchmesse: Lesungswahnsinn”

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    […] von den Saalschlachten mit aggressiven Fotografen gab der lokal situierte Paco @ “Umblätterer” von dem “kompletten herrlichen Lesungswahnsinn” Laut . Leicht wahnsinnige Züge […]

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