Die FAS vom 20. 4. 2008:
»Der beste deutsche Feuilletonist …«
Göttingen, 20. April 2008, 21:25 | von Paco
Der ca. 65-Jährige, der mir heute mittag im Tonollo in der Weender Straße die FA-Sonntagszeitung verkaufte, diskutierte gerade sichtbar beschwingt mit einer Kollegin den Wirtschaftsteil. Darin geht es um Leute im rentenfähigen Alter, die aber einfach immer weiter arbeiten. »Mit 65 Jahren fängt die produktive Phase doch erst an«, heißt es auf S. 42, und das deckt sich ja mit den 6 schönen Kurzvideos über den »Antiquar Wengerzink«, die kürzlich auf der Website der S-Zeitung veröffentlicht wurden.
Überhaupt der Wirtschaftsteil: super! Der Aufmacher über die superprovinzielle, aber eben supersolide doitsche Old Economy. Allein dieses eine Unternehmen da, »EBM Papst«, Weltmarktführer beim Bau von Ventilatoren, was für eine Story. Mit dieser Erwähnung geht der Artikel los, am Ende wird aber keine dahingehende Pointe geliefert, wie man das eigentlich bei so einem speziellen Einstieg erwartet.
Auf der letzten Seite des Ressorts (S. 48) dann dankenswerterweise ein Jerry-Yang-Porträt von Roland Lindner. Kommende Woche wird es ja ernst für Yahoo (Di: Quartalszahlen, Sa: Microsofts Übernahme-Ultimatum läuft ab), da ist es sehr gut, noch mal schnell die ganze Firmenstory serviert zu bekommen, »Previously on Yahoo« sozusagen.
Das Feuilleton startet auf S. 25 mit einer exzellenten Architekturkritik von Niklas Maak. Im Fadenkreuz: die neue amerikanische Botschaft in Berlin (verantwortlich: das kalifornische Büros Moore Ruble Yudell). Es ließen sich hier zig Formulierungen anführen, die meinen eigenen Verrisswortschatz beträchtlich erweitert haben. Nur ein Beispiel:
»Die Fenster der amerikanischen Botschaft (…) wirken, als hätte sie ein pleitegegangener Bungalowbesitzer in einem Baumarkt bei Fargo gekauft, um seine Behausung für den Winter dicht zu kriegen.«
Maaks Kritik der »industriell gefertigten Wegwerfästhetik« in diesem speziellen Fall wird aber zum Aufmacher erst dadurch, dass er sie induktiv generell auf die US-Architektur und US-Design der nuller Jahre bezieht: »Außer Apple-Computern, Nike-Turnschuhen und iPods gibt es heute kaum noch optisch wegweisende amerikanische Industrieprodukte.«
Hinsichtlich der Embassy legt Maak dann aber noch eine andere Arbeitshypothese als Interpretation nahe:
»Wenn man den seltsamen Botschaftsbau positiv deuten will, könnte man sagen, Amerika bemüht sich vielleicht bewusst nicht, den Deutschen ein glanzvolleres Bild von sich vor Augen zu stellen, als es gerade hergibt.«
Eine okaye Pointe, ein Aperçu fast, und ein alles in allem herrlicher Artikel. Und gleich weiter zum Peter-Richter-Text dieser Ausgabe. Er schreibt auf S. 28 über die Wanderschau »Fragen & Blumen« des schweizerischen Kunstproduktionsduos Fischli/Weiss, die inzwischen in den Hamburger Deichtorhallen angelangt ist. Der Tonfall gleich zu Beginn lässt einen herben Verriss vermuten, aber dann liegt die Sache doch ein wenig anders:
»Fischli und Weiss sind offenbar die Künstler, auf die sich fast alle einigen können. Und man muss schon ein notorischer Nörgler sein, um ihre Arbeiten nicht zumindest ein bisschen zu mögen. (…) ›Fragen und Blumen‹ ist nichts weniger als die perfekte Ausstellung. Der Laie schmunzelt, und der Fachmann erlaubt sich im Katalog auch mal einen launigen Ton.«
Reich-Ranicki beantwortet dann heute mal eine ungewohnt komplexe Frage zum Unterschied zwischen den Feuilletons von Joseph Roth und Friedrich Sieburg. Roth wird sehr passend als »Kauz mit Grandezza« beschrieben. Sieburg als – festhalten! – »bester deutscher Feuilletonist der frühen Nachkriegszeit«. Aber, so seine Vermutung für die years to come: »mit den Schriften Sieburgs werden sich nur noch die Literaturkritiker beschäftigen«, was aber so zumindest eben noch nicht stimmt.
David Mamet hat vor einem Monat in der »Village Voice« diesen Artikel veröffentlicht: »Why I Am No Longer a ›Brain-Dead Liberal‹« – die FAS bringt ihn in einer eigentlich guten Übersetzung (S. 30), die aber »Liberal« zugespitzt mit »Linker« übersetzt. Wenn das jemand schon für anstößig hält, wird er inhaltlich erst recht über den Vergleich zwischen den Präsidenten Bush und Kennedy stolpern, der auf ein paar unerwartete Gemeinsamkeiten hinweist.
Volker Weidermann hat ein hervorragendes Porträt des Kafka-Liebhabers Klaus Wagenbach geschrieben, S. 31. Super Anekdoten, etwa diese:
»Wie schwer war das Forschen damals, als Kafka eine Unperson in der sozialistischen Tschechoslowakei gewesen ist. ›Ich habe gesagt, dass ich über Kisch forsche‹, sagt Wagenbach jetzt, ›das war ideal, denn Kisch war Kommunist, und da sein Name auch mit ›K‹ beginnt, konnte ich in den Archiven in aller Ruhe recherchieren.‹«
Und Gastautor Sylvain Bourmeau liefert einen Artikel zur Zeitungskrise in Frankreich. Hier kurz die Liste mit den 7 überregionalen Tageszeitungen des Landes:
– Le Figaro
– Le Monde
– Aujourd’hui en France (Le Parisien)
– Libération
– La Croix
– L’Humanité
– France Soir
Sieht also nicht gut aus für den Bestand und die Unabhängigkeit dieser Blätter. Am Ende macht der Autor noch ausführlich Werbung für das Netzzeitungsprojekt »Médiapart«, bei dem er den Kulturteil leitet. Leider ist das Ganze eine Bezahlsache, und im Moment gibt es seinen Angaben zufolge erst 7.000 Leser, die monatlich 9 Euro rüberschießen.
Schnell noch zum Aufmacher des Gesellschaftsteils: »Zu Besuch in Hillaryland« (S. 59), von Sascha Lehnartz. Eine gute Reportage über die Kleinstadt Scranton, PA, und die Wähler der Clinton (»meist nicht mehr ganz junge Frauen in bequemen Schuhen«, hehe).
Dass genau diese typische Eastcoast/Middleclass-Kleinstadt relativ berühmt ist, wird aber vergessen zu erwähnen. Denn die erfolgreiche NBC-Mockumentary »The Office« spielt dort. Sie war ursprünglich als Kopie des BBC-Originals gestartet, hat aber mit ihrem herrlich überzogenen Büroboss Michael Scott im Mittelpunkt inzwischen zu einem Manierismus ganz eigener Art gefunden.
Usw.
Am 21. April 2008 um 00:08 Uhr
nur noch kurz zwei anmerkungen:
@hillaryland-artikel: zum misstrauen ggü. obama „Obama könne zwar gut reden, aber Hitler sei ja auch ein guter Redner gewesen“ – hammer; sag mal einer sowas in deutschland – da hat man doch gleich die ganzen politisch korrekten am hals *g*
@qualität der FAS: kann es sein, daß bei der FAS zunehmend schlampig gearbeitet wird? nicht nur, daß man bereits einem hund überläßt das latein in der FAS hochzuhalten, um dann festzustellen, daß er es nur saumäßig (schweinehund quasi *hehe*) drauf hat (s. 25), nein auch bei der bildwahl hakt es – ich hatte mich letztens schon gewundert, inwiefern das bild zum kirsch-artikel paßte – nun lößt man das ganze auf (s. 44) – müssen wir immerhin nicht verwirrt sterben =)