Antike und Milchkaffee

Leipzig, 16. Mai 2008, 17:28 | von Paco

Ich lag auf der Wiese hinter dem Institut und las alte SZs. Ich hatte gerade voller Enthusiasmus den Hammerartikel von Johan Schloemann über die Antike und uns beendet, als mir Millek entgegenplauzte. Er musste über einen Maulwurfshügel gestolpert sein und kippte nun seinen noch bis obenhin gefüllten Milchkaffee gründlich über den Artikel:

Johan Schloemann: Antike für Anfänger. Kompensation, Archaik, Geheimnis: Das Altertum boomt. Aber welches Altertum ist dabei eigentlich gemeint? In: Süddeutsche Zeitung, 19./20. 4. 2008, S. 14.

Das vergossene Kaffeeblut passt sehr schön zu der Passage in der ersten Spalte des Artikels, wo von den »urtümlichen Formationen der Gewalt« die Rede ist, die uns im Moment in Kino-, TV- und Roman-Produktionen so fasziniert.

Wie auch immer. Während im Hintergrund das leise Kichern unseres maulwurfigen Wappentiers verhallte und die Zeitung in der Sonne trocknete, zerfetzten wir uns über diesen essayistischen Handkantenschlag, der definitivamente ein Top-10-Kandidat ist.

Bisher wurde oft nur konstatiert, dass wir ja alle »kleine Möchtegern-Römer« (Andreas Kilb) sind. Warum das aber so ist, warum das seit hunderten von Jahren so ist, warum das gegenwärtig wieder so aktuell ist: All das beantwortet Schloemann in seinem Text, der von der S-Zeitung »gekürzt und bearbeitet« wiedergegeben wird.

(Wo wir grad dabei sind: Gekürzte Versionen von Vorträgen, die auf irgendwelchen groß angelegten Philologen-, Historiker- oder Sonstwas-Kongressen gehalten worden sind, bilden einen wichtigen Aspekt des momentanen Feuilletons.

Nicht immer sind diese Kurzfassungen intelligent gekürzt. Oft verursachen die Zusammenstreichungen einige Leerstellen und Ungereimtheiten oder Abschwächungen von Thesen. Doch bei dem redaktionell bearbeiteten Schloemann-Artikel merkt man davon nichts. Der hat Bestand auch ohne dass man die Langfassung kennt.)

Warum also verherrlichen wir HBOs »Rome«, warum die alte BBC-Serie »I, Claudius«, warum die Comicverfilmung »300«? (Da wir mit San Andreas einen Fundamentalkritiker dieses »Scheißfilms« an Bord haben, muss ich darauf hinweisen, dass man diesen Film auch anders sehen kann, nicht aber die beiden erstgenannten Serien.)

Die Antwort gibt Schloemann mit einer ganzen Reihe von Thesenbruchstücken inkl. schlüssiger Beispiele. Die vor ein paar Tagen in der Rhône bei Arles gefundene marmorne Cäsar-Büste kannte Schloemann dabei noch gar nicht, aber sie eignet sich perfekt als weiteres Exempel seiner Thesen:

»Wir laufen eifrig Nachrichten hinterher, die uns vermelden, dass irgendwo in den früheren Provinzen des Römischen Reiches ein neuer Marmorkopf (…) gefunden wurde. Das ist schön für jeden Archäologen, aber kurios daran ist, dass sich gleichzeitig die großartigsten Kunstwerke der Antike, die in den städtischen Sammlungen unserer Museen stehen, kaum jemand anschaut.

(…) Die Entdeckung verschafft eine willkommene Entlastung von der Tradition. Denn im Moment des Auffindens von Unbekanntem nehmen der Entdecker und das Publikum eine Zeitlang dieselbe Stufe ein, sie verschmelzen. Die Distanz zwischen Kennerschaft und versäumter Bildung ist aufgehoben; der Experte und die Laien können gemeinsam staunen wie die Kinder; und das schlechte Gewissen, das wir alle wegen mangelnder Belesenheit haben, verfliegt.«

Usw.

2 Reaktionen zu “Antike und Milchkaffee”

  1. artwork

    mächtig rauschts im Blätterwald, wenn die nachtblassen Feuilletonisten aus dem Halbweltschatten ans Licht der täglichen Schlagzeile treten und kühn gegen Trends und Werteverfall anschreiben. Respekt vor eurer Sammlung und willkommen in meinem Internetreisetagebuch „Tourismus 2.0“.

    http://blogtourismus.wordpress.com/2008/05/19/halbwelt-des-feuilletons/

    artwork

  2. Millek

    So, habe heute noch was im schönen Hans Werner Henze-Interview in der S-Zeitung gefunden.

    »Henze: Die griechischen Mythen sind voll mit Licht und Freude, auch Grausamkeit. Aber diese Elemente von Grausamkeit erscheinen, vielleicht weil sie soweit zurückliegen, immer in einem besonderen Schein von Schönheit, Eleganz und Anmut. Das macht so viel aus.«

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