Die FAS vom 25. 5. 2008:
Nils Minkmar: Große Kitsch-Geständnis-Beichte!

Rom, 29. Mai 2008, 23:59 | von Paco

Der »Spiegel« von dieser Woche war – gerade im Kulturteil – ein Hammerspiegel (allein die Rowohlt- und Winehouse-Storys!), dass man sich zurecht fragen wird, warum ich hier lieber wieder die FAS recappe. Also warum? Wir werden es wie immer nicht verraten.

Auch die letztsonntägliche FAS ist natürlich wie immer gut bestückt. Auf der Frontpage prangt ein Bild von Gesine Schwan. Dachte ich zuerst. Beim Aufklappen der Zäätung war da aber nur die Bildunterschrift und danach gleich ein anderer Text. Es ist also tatsächlich nur die großformatige Frisur der Schwänin zu sehen, ihre »auffällig hochgehauenen Locken«, wie es im Text auf S. 2-3 heißt. Der stammt von Oliver Hoischen, Eckart Lohse und Volker Zastrow und ist in einem ganz superb spiegelig gehaltenem Tonfall geschrieben.

(Falls diesen Recap in 10 Jahren noch mal jemand lesen sollte (unwahrscheinlich), kurz zur Erklärung: Gesine Schwan wurde einen Tag nach dem Erscheinen dieser FAS wie erwartet zur SPD-Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl 2009 gekürt.)

Fortgesetzt wird der Lead vom Feuilleton-Aufmacher, den diesmal »der alte Schirrmacher« (Matussek) persönlich übernommen hat (»Der Roman, in dem wir leben«, S. 23). Es handelt sich um ein lässiges Zitate-Workout. Das Personenregister des Textes sieht so aus, unter Ausschluss von Leviathan und Parzifal, hehe:

Charles Dickens
H.G. Wells
Dirk Kurbjuweit
Honoré de Balzac
Thomas Mann
Gesine Schwan
Horst Köhler
Peter Hacks
Mary Shelley
Friedrich Dürrenmatt
Leszek Kołakowski
Sahra Wagenknecht
Andrea Nahles (»Frau Nahles«)
Kurt Beck

Weiters hat Julia Encke ein Interview mit dem hervorragenden israelischen Autor David Grossman geführt (S. 25), der hinsichtlich des Nahostkonflikts rhetorisch auf die Tube drückt:

»Wir haben nur noch wenig Zeit, ich denke, drei bis fünf Jahre. Wenn in diesem Zeitraum keine keine Lösung gefunden wird, habe ich aufrichtig Angst um die Zukunft aller Seiten.«

Grossmans Hauptwerk (so nenne ich das jetzt mal ohne Umschweife), das auch gut als Einführung in sein Œuvre geeignet ist, kann man sich übrigens auf YouTube ansehen. Vorsicht, Ohrwurm! Es handelt sich bei dem »Sticker Song« um die von Hadag Nachash unternommene Vertonung & Bebilderung eines Gedichtes von ihm. Das fällt angenehmerweise auch weniger prophetisch aus als das Zitat oben, eher sozialrealistisch bis expressionistisch.

Im Feuilleton gibt es diesmal auch eine Art Centerfold, ein Special zu Jupp Darchingers Farbfotos aus der Urzeit der westdeutschen BRD (S. 26-27). Ein paar Bilder werden gezeigt, außerdem hat Sascha Lehnartz ein Interview mit dem Fotografen geführt und Claudius Seidl einen einschätzenden Text geschrieben. Eine Bilderserie gibt es bei SP*N, die Snapshots sind ja auch prädestiniert für deren »einestages«-Rubrik.

Und dann …

… habe ich endlich mal diese (nicht mehr ganz so) neue Kolumne »Nackte Wahrheiten« gelesen. Der lustige Textcontainer hat ja vor einiger Zeit Peter Richters Jahrhundertkolumne »Blühende Landschaften« abgelöst und wird im Gegensatz zu dieser von wechselnden Autoren verfasst. Heute schreibt Nils Minkmar einen super Text, der die Überschrift trägt: »Pop-Beichte« (auch S. 26).

Er behandelt ein Thema, das ich bisher nur von Dietmar Dath her kenne: Warum kann man die Neuerscheinung eines Popveteranen als Rezensent nicht einfach mal nur gut finden, ohne gesuchte Abstriche, ohne einordnende Relativierungen usw.? Noch mal im Original:

»Weil die Disziplin der Popberichterstattung noch relativ neu ist, bemüht sie sich um verdoppelten Ernst und den Ausweis unmäßiger Anstrengung. Hat man je gelesen, dass sich ein Rezensent über die neue Platte einer beliebten Künstlerin einfach mal nur freut?«

Gut, das dürfte schon daran scheitern, dass auf diese Weise nicht genug Text erzeugt würde, und wenn man von Zeilengeld lebt, wird man derart leicht verhungern.

Sehr, sehr gut fand ich auch den Porträttext über Bürger Lars Dietrich, den Peer Schader für die Medienseite (S. 31) geliefert hat. Er handelt von einem sympathischen Entertainer, der nie richtig weg war, nachdem er vor allem mit seinem sagen-wir-mal Hit »Sexy Eis« berühmt wurde, aber auch nie wieder richtig da.

Und nach seinem sehr nicht-guten Text über die »Lindenstraße« neulich, singt Stefan Niggemeier in seiner Teletext-Kolumne die RBB-Trendsendung »Polylux« in den Schlaf. Bzw. landet einen Knockout: »Am besten funktionierte ›Polylux‹ zuletzt als Maßeinheit für verspätet entdeckte Zeitgeistthemen.« Wir alle wissen, was gemeint ist.

Das wirkliche Highlight dieser Ausgabe ist aber wie so oft im Gesellschaftsteil zu finden. So abenteuerlich wie damals bei seiner »Subway«-Safari geht es zu, wenn Jürgen Dollase diesmal Fertiggerichte testet und mit dem eher unangebrachten Gourmetvokabular zu beschreiben versucht (»Aufgewärmt und abgesahnt«, S. 56). Da ist jeder Satz ein Hit, bitte laut vorlesen!

Erwartungsgemäß kommt das Meiste nicht gut weg, obwohl Dollase erkennbar den benefit of the doubt walten lässt. Trotzdem wird es ein Stelldichein von Verrissversatzstücken:

»… um Klassen schlechter als alles, was in einer durchschnittlichen Stehpizzeria anzutreffen ist.«

»… eine penetrante Überwürzung, die die Geschmackspapillen geradezu lähmt.«

Usw. usf. Auch positive Beispiele werden gegeben, und die werde ich nächstens gleich mal kaufen gehen.

2 Reaktionen zu “Die FAS vom 25. 5. 2008:
Nils Minkmar: Große Kitsch-Geständnis-Beichte!”

  1. Marcuccio

    „Schwänin“ ist zitierfähig… und ja, diese FAS demonstrierte wirklich mal wieder gut, wie nicht nur da Feuilleton drin ist, wo Feuilleton draufsteht. Allein auch diese Zeichnungen im Politikteil neuerdings, da hat Kat Menschik mit Herbert… (wie heißt er gleich?) einen echten Kompagnon zur Seite. Forza FAS :-)

  2. Marcuccio

    Heute entfalten die Locken der Schwänin in der FAS sogar schon richtig Warhol-Qualitäten… Und überhaupt: Oliver Gehrs beschwerte sich neulich über die Illustrationen im Politikteil. Kat Menschik heute gleich auf Seite 3 in echter Waltz-with-Bashir-Ästhetik.

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