Mit der FAS und Cy Twombly nach Ciampino
wieder in London, 17. Juni 2008, 10:06 | von DiqueWir standen im Palazzo Barberini und schauten uns an, wie Judith dem Holofernes angewidert den Kopf abtrennt, angestachelt von dieser bösen Alten im Hintergrund, die ein Tuch für den bevorstehenden Schädel bereithält. Das klingt ja fast ein bisschen nach einer neuen Massakerminiatur von Kollege John Roxton. Ich rede aber von Caravaggio, der für sein visuelles Ölmassaker das gleiche Model wie für seine Katharina im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid verwendete. Das sage ich mal so aus dem Hut heraus, ohne nachzulesen.
À propos Lesen, die FAS schleppten wir noch weitgehend ungenutzt umher, doch dann wurde mitten im Barbarini-Palast doch mal ins Feuilleton geschielt. Als Aufmacher (S. 25) gibt es ein riesiges Tilda-Swinton-Foto, das auch ein bisschen caravaggista aussieht, und oben drüber steht: »Mein Beruf ist ganz einfach«. Da blätterte ich ganz einfach mal weiter. Das Interview taugt maximal als Ernstfallbackup.
Auf S. 27 bewunderten wir die gute Arbeit der Anzeigenredaktion. Unter Nils Minkmars Artikel über George W. Bush und den Anwalt, der ihn nach seiner Amtszeit wegen Mordes verklagen will, prangt eine große Anzeige für Obamas Buch »Hoffnung wagen«. Well done.
Auf S. 29 dann eines der seltenen Interviews mit Cy Twombly. Das hat die FAS aber nicht selber geführt, sondern druckt einen Auszug des Gesprächs, das der Tate-Direktor Nicholas Serota aufgezeichnet hat (vor 2 Wochen gab es auch schon im »Guardian« eine Kurzfassung davon). »Der große Cy Twombly über seine noch größere Kunst« steht übrigens im Untertitel der FAS-Version. Ich muss aber gestehen, dass ich mit ihm wenig anfangen kann, und das Interview, wie selten es auch sein mag, verschafft auch keine Erleuchtung.
Oft setzt er noch ein paar Bleistift-Kritzeleien auf seine Bilder. Eine wichtige Inspirationsquelle ist ihm T. S. Eliot, und er hat sich wohl eine schöne Sammlung Erstausgaben zugelegt, sagt er, inklusive einem Faksimile von Ezra Pounds Korrekturen zu »The Waste Land«.
»Die nächste Bilderserie enthält Zeilen aus ›The Waste Land‹. Es gibt kaum etwas Schöneres, vor allem der Anfang, über die Jahreszeiten. ›Sommer überfiel uns, kam über den Starnberger See / Mit Regenschauer; wir rasteten im Säulengang / Und schritten weiter im Sonnenschein in den Hofgarten.‹«
Da fällt mir die prima Simpsons-Referenz auf »The Waste Land« ein: Als Lisa ein paar traurige Notizen des Kneipenmannes Moe zusammenfügt, erinnert sie das sofort an Eliots Jahrhundertwerk (Folge 18.06: »Moe’N’a Lisa«).
Wenn ich jedenfalls auf das mit dem Interview gepaarte große Foto schaue (Cy Twombly vor einem seiner Monumentalbilder), dann sehe ich da einen netten alten Herrn, der vor einer riesigen Leinwand voller Farbkleckse steht. Der etwas krakelige in der Mitte, der mehr oder weniger auf seinem Rücken klebt, hat dann auch noch ungeheure Ähnlichkeit mit dem Ergebnis des wunderbaren Spiels Misthaufenfahren (kann man hier spielen). Immerhin ist der Kunstkaiser auf dem FAS-Foto nicht nackt: C. T. trägt zu einem hellblauen Button-down-Hemd eine sackhosenähnliche Sackhose, die gerade noch so von Hosenträgern gehalten wird.
Zu viel mehr kamen wir kaum in der FAS, aber gegen Abend mussten wir zum Flughafen und da würden wir ja Zeit genug haben. Statt den Shuttle Bus zu nehmen, der uns vielfach empfohlen wurde, fuhren wir lieber wieder mit der U-Bahn bis zur äußersten Station und von dort mit dem Bus weiter nach Ciampino. 5 Minuten dauert das normalerweise und kostet nur eineinhalb Euro oder so. So waren wir vor ein paar Wochen morgens angekommen, und das ging ganz prima.
Als wir aber gerade eben in Anagnina ankamen, war alles anders. Wo am Morgen unserer Ankunft Trubel herrschte und Händler von der Pferdedecke bis zum Bügeleisen so ziemlich alles feilboten, war jetzt gähnende Leere und kaum eine Menschenseele zu sehen. Die Ausschilderung war immer noch miserabel, aber irgendwie fanden wir doch den richtigen Busstand.
Ich wollte eigentlich das 12-seitige China-Spezial der FAS lesen, wurde aber langsam nervös, weil ewig kein Bus kam. Ging heute überhaupt noch einer? Paco machte in einer dunklen Ecke eine Art Information ausfindig und bekam die beruhigende Antwort, dass schon noch Busse verkehrten und wir nur eine Weile warten müssten, da wir den vorigen gerade verpasst hatten.
Einen FAS-Text später war immer noch kein Bus da. Jürgen Kesting schreibt über das neue Buch von Jonathan Carr über den Wagner-Clan (S. 30). Das umfangreiche Werk deckt 150 Jahre deutscher Geschichte ab und macht auf jeden Fall neugierig.
Schon am Samstag hatte die FAZ deutsche Historie empfohlen. Tilmann Lahme besprach die Hörbuchausgabe von Golo Manns »Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts«, ungekürzt, 37 CDs, 41 Stunden. Ein tollkühnes Projekt, nur die CD-Einlegerei verdirbt mir den Geschmack. Gibt’s das nicht als MP3 auf einer einzigen DVD? Oder gleich im Paket mit dem Wagnerbuch, als Popcorn-Edition für ein verlängertes Wochenende.
Irgendwann kam dann übrigens der Bus. Weil es aber spät am Abend war, fuhr er nicht direkt zum Flughafen, sondern über ein paar Vororte, um noch Leute einzusammeln. Langsam wurde die Zeit etwas knapp (wie damals in Madrid). Außerdem waren wir so ziemlich allein im Bus und eingesammelt wurde auch niemand so richtig. Der Bus gurkte nur durch viele angekaffte Dörfer. In einem hielt der Fahrer dann an, machte den Motor aus, nahm seine Tasche und Jacke und verließ den Bus.
Er machte sich eine Zigarette an, und es kamen zwei andere Typen, und zu dritt quatschten und rauchten sie vor sich hin. Irgendwann stellten wir fest, dass zumindest einer von denen unser neuer Busfahrer sein musste, Fahrerwechsel also. Wir versuchten ein bisschen Druck zu machen, aber der wurde nur freundlich abgetan, »wann fliegt ihr, in einer Stunde, ach, kein Problem«.
Der Neue stieg dann endlich ein, legte die Jacke ab und öffnete seine Tasche. Er wühlte eine Weile darin und holte ein Glas hervor. Es sah aus wie ein Honigglas, und das gab er dann unserem Ex-Fahrer. Der sah es sich an, bedankte sich und redete weiter. Der neue Fahrer ging dann noch mal raus zu ihm, kam dann aber nach kurzer Diskussion und Blicken auf das Honigglas wieder in den Bus und wühlte in seiner Busfahrertasche.
Er holte eine Zeitung heraus, überraschenderweise den »Corriere della Sera«, und schlug damit das Honigglas ein. Der Beschenkte war es zufrieden, und nach einem herzlichen Abschied fuhren wir endlich zum Flughafen.
Dann kam es doch noch zu einem gemütlichen Check-in, und auf ging’s nach London. Ich hatte dann endlich Zeit für das China-Spezial, stand aber nichts Neues drin.