Sowjetkunst in Riga
Riga, 15. August 2008, 14:04 | von PacoZwei Tage in den Outskirts von Panevēža. Ernährung: Alte Mars-Riegel, die laut Aufschrift כשר sind. Heute dann über die Grenze und weiter nach Riga. Direkt in die Ausstellung »The Mythology of Sovietland« (»Мифология Страны Советов«). Das LNMM hat die Keller voll mit Werken des sozialistischen Realismus, die während der sowjetischen Herrschaft geschaffen wurden. Da wird es Zeit, dass sie ein paar davon mal ans Licht holen.
Es sind ausschließlich lettische Künstler zu sehen, die der kunstpolitischen Doktrin ausgesetzt waren und ihr eben mehr oder weniger freiwillig folgten. Ergänzt wird die Schau um ein paar Werke aus Moskau und Leningrad, insg. sind dort dann ca. 120 Gemälde und 50 Skulpturen zu sehen. Dort: im Arsenal, dem 1830 hochgezogenen Packhaus, das mal als Lager für den Zoll diente und heute für Wechselausstellungen genutzt wird.
In der Eingangshalle, rechts am Ticketschalter vorbei, hängt zur Einstimmung ein Gemälde von Jānis Roberts Tillbergs: »Marx und Engels beim Verfassen des Kommunistischen Manifests« (1947). Zwei gutbürgerliche Herren – Engels lehnt am Tisch, in der Hand etwas, das wie ein Kontrollbogen aussieht (»Haben wir alles? Was fehlt noch?«). Marx sitzt und blickt zu seinem Ko-Autor auf, die rechte Faust auf ein paar Papiere gestützt, als besiegele er jetzt mal alles.
Wegen dieses Eröffnungsgemäldes erwähne ich gleich auch mal das Haupt-Textdokument der Ausstellung. Es handelt sich um eine Liste aus dem Jahr 1941 (»File 627 of the Latvian State Archives«), die malbare, der neuen Sowjetmacht genehme Sujets versammelt. Man suchte sich dann als aufstrebender Künstler offenbar einfach was aus, so wie Tillbergs bei seinem Marx-Engels-Bild. Die Liste fängt so an:
Tēma sižets 1) Portrejas: b. Markss
b. Engelss
b. Ļeņins
b. Staļins
Da es nur um lettische Sowjetkunst geht, wird der Kampf zwischen der abstrakten und der figürlichen Richtung, der in den 20er-Jahren tobte, leider nicht in der Ausstellung abgebildet. Das Figürliche galt den Avantgardisten und überhaupt jeder halbwegs modernen Bewegung als überkommener Aristokratenkram, als bürgerlicher Zufriedenheitsschrott. Am Ende siegte diese Richtung aber doch, da Stalin wie viele Dictators lieber Dinge ankuckte, die er gleich verstand. Beendet war dieser Kampf im Jahr 1934 mit dem 1. Kongress des gerade gegründeten Schriftstellerverbandes. Danach galten die Regeln des sozialistischen Realismus.
Immerhin muss es Modernisierungsversuche gegeben haben, in der Ausstellung sieht man das vor allem an einer Stelle, anhand des Gemäldes von Ojārs Ābols: »Lettische Künstler im Jahre 1919«. Das Gemälde stammt von 1968 und ist nur so abstrakt, dass es gerade noch als Realismus durchgeht. Wir sehen drei Künstler, fast frontal, die bei der Planung irgendwelcher Festivitäten mithelfen, laut Infotafel der Feiern zum 1. Mai 1919. Im rot gehaltenen Hintergrund prangt eine Sonne, außerdem defiliert ein Fahnenträger vorbei. Es gibt noch einige andere narrative Linien, deren Interpretation ich hier lieber auslasse.
Mehr Avantgarde gibt es in der Ausstellung nicht zu sehen. Stattdessen massenhaft Tschekisten-, Stalin-, Lenin-, Veteranen-, Funktionärs-, Arbeiter- & Bauern-Porträts. Auch ist auffällig, wie es auf den Bildern nach 1960 keine lettischen Trachten mehr zu sehen gibt. Auf dem »Volksfest«-Gemälde von Džemma Skulme aus dem Jahr 1955 sieht man sie noch fröhlich durch die Luft wirbeln, irgendwann wurde den Sowjets jedoch klar, dass derlei Folklore den Prozess der Russifizierung stören musste.
Ein Hammer noch zum Schluss. Am Beginn des Aufgangs zu den momentan gesperrten höheren Etagen hängt das Bild »Gerettete Madonna« (1984/85) von Mikhail Kornetsky. Wir sehen Raffaels »Sixtinische Madonna« aus der Dresdner Gemäldegalerie, die nach dem Krieg von der Roten Armee in sagen-wir-mal Sicherheit gebracht und erst nach Stalins Tod in der Mitte der 50er-Jahre zurück nach Dresden gegeben wurde.
Der lettische Künstler hat den Raffael als Bild im Bild kopiert, was ihm auch okay gut gelungen ist. Vor dieser Grundierung findet dann das eigentliche Bild statt: Zwei Soldaten bewachen das sichergestellte Großgemälde samt einer Expertin, die mit einer Lupe hantiert. Kornetsky scheint dabei ein paar Probleme mit der Perspektivität zu haben: Die MP des rechten Soldaten (eine PPSch-41) ist recht kühn verzogen, das ist dann fast sozialistischer Unrealismus oder, bei wohlwollender Interpretation, eine Art Reprise des Manierismus.
Wie auch immer, das Gemälde schickt einem den kalten Kunstgrusel über die Augen, für den heutigen Betrachter thematisiert es sehr eindrucksvoll das waghalsige Leben der Bilder.
Dann hinaus in die Sonne. Immer, wenn man in der Rigaer Innenstadt ist, sollte man zum Essen in diese Pelmeni-Kantine in der Kaļķu iela (Kalkstr.) gehen und sich für die nächste halbe Woche sattessen. Vor allem, wenn man sich die 2 Tage davor nur von alten Mars-Riegeln ernährt hat.
(All images courtesy of LNMM. Thanks to Gundega Cēbere!)
Am 30. Oktober 2008 um 06:42 Uhr
Danke für den Bericht!
Ich habe die Ausstellung auch gesehen, und fand sie sehr sehenswert. Aus meiner Sicht erwähnenswert auch, wie unkompliziert das Fotografieren in lettischen Kunstaustellungen geht – wie im Ausstellungssaal Arsenals ist es in vielen Museen erlaubt. Einige Themen dieser Ausstellung sind besser zu verstehen, wenn man sich näher mit der lettischen Geschichte befasst, oder auch mit den (in dieser Ausstellung von Sowjetkunst) befindlichen Künstlern beschäftigt, die teilweise entweder aus bekannten lettischen Künstlerfamilien stammen (auch Sohn, Tochter, Vater oder Mutter malen), oder eben auch heute noch aktiv sind und deren heutige Werke mit denen der Sowjetzeit verglichen werden können.