Die neuen Comic Book Movies (Teil 1/Prolog):
Super Helden für alle
Hamburg, 20. August 2008, 07:05 | von San Andreas
(Agenda: Prolog – Iron Man – The Incredible Hulk – The Dark Knight.)
Zing! Crunch! Kawoom! Nach Hochkultur klingt das nicht. Obwohl. Feuilletonisten werden nicht müde, soziale Metaphern, politische Bezüge und gesellschaftliche Kritik aus dem brodelnden Genre herauszulesen, das uns neben den bunten Superhelden-Klassikern auch unvermutete Kandidaten wie »A History of Violence« oder »Road to Perdition« beschert hat.
Aber grüne Kraftklopse und Spinnenmenschen, dunkle Rächer mit Cape und Maske, die durch die Gegend flattern und die Welt retten? Kaum die erste Wahl für Kinogänger, deren Vorstellung eines Helden bei Oskar Schindler aufhört und die fliegende Menschen nur in Form ostasiatischer Martial-Arts-Kämpfer klaglos hinnehmen.
Letztere ließ Kunstkino-Ikone Ang Lee einst die Gravitation verleugnen (»Crouching Tiger, Hidden Dragon«), doch fand sich der Regisseur vor fünf Jahren ebenso bereit, ganz unvoreingenommen dem Unglaublichen Hulk zu seinem Bogenlampen-Sprung auf die große Leinwand zu verhelfen.
Der Film war kein Flop, gilt aber beileibe nicht als Erfolg, vor allem da er den Erwartungen der eigentlichen Zielgruppe völlig zuwiderlief. Zehn Minuten Selbstfindungs-Dialog im Dunkeln zwischen Dr. Banner und einem schlimm frisierten Nick Nolte? Das irritierte den Comicfan, das war zu viel Blah, zu wenig Peng. Und Liebhabern distinguierten Kopfkinos blieb der Film verborgen, weil Superhelden, Gott bewahre, in ihrer Welt einfach nicht stattfinden.
Sollten sie aber. Lees zerebraler Entwurf zeigte nämlich vor allem eins: dass der Comicfilm tatsächlich jene profunden Dinge in petto hat, die Essayisten und Kulturphilosophen in das Phänomen hineinanalysieren – nur können sie sich bereits im Film manifestieren, nicht erst in der Nachbereitung.
Die fantastischen Prämissen, die den Geschichten der verschiedenen Comic-Universen zugrunde liegen (Superkräfte aufgrund eines Spinnenbisses, einer außerirdischen Heimat, eines besonderen Gencodes, kosmischer Strahlung, eines Gammastrahlen-Experiments …), mögen mitunter infantil und schablonenhaft erscheinen, motivieren aber gleich eines MacGuffin lediglich das Geschehen, machen das Genre ebenso zum Verhandlungsort menschlicher Befindlichkeiten, wie es etwa die Prämissen der Science Fiction oder der Fantasy tun.
Die besten Werke jeder Sparte benutzen Genre-Schablonen nur als Behelf, um Abgründe der Existenz zu erforschen, in die ›herkömmliche‹ Dramen nur schwer vordringen können. Denn diese besitzen in punkto Prämissen kaum Freiheitsgrade, hängen mit ihnen gleichsam in der schnöden Realität fest und kommen damit nur so und so weit. Der Comic postuliert einfach Superkräfte und erschließt sich damit im Handstreich einen Reigen elementarer Bezüge und Bedeutungen, die dann so fantastisch gar nicht mehr sind.
Denn gerade die Ausstattung des Helden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten forciert innere und äußere Konflikte, die Stoff bieten für zutiefst humane Dramen. Mit einer Superkraft, worin auch immer sie begründet liegt, ergibt sich schon einmal eine Verantwortung hinsichtlich ihres bedachten Einsatzes. Selbstlos für die gute Sache zu kämpfen ist sicher ehrenwert, doch gibt es hier bereits einen Haken: Der Held bleibt nicht gefeit davor, vonseiten der Gesellschaft der Selbstjustiz bezichtigt zu werden (»The Dark Knight«).
Ein Pol positiver, altruistischer Macht generiert immer einen Gegenpol; stets gibt es Neider, die einem Supervigilanten das Leben schwer machen. Manch einer davon wird seiner Ideale verlustig gehen und die Seiten wechseln; nicht selten mutieren treue Mitstreiter zu erbitterten Feinden (X-Man Erik Lensherr wird zu Magneto, Norman Osborn zur Spider-Man-Nemesis Green Goblin, Harvey Dent zu Batmans zwiespältigen Gegenspieler Two-Face etc.).
Dieser Kniff ist keineswegs nur dazu gut, eine Instanz des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse zu schaffen; tatsächlich gerät diese altgediente Formel in den neuesten Genre-Beiträgen zunehmend in den Hintergrund. Darüber entfalten sich die wahren Dilemmata, die moralischen Zwickmühlen und Ambivalenzen, angesichts derer sich das Heldendasein neu definiert. Einem mit überlegenen Ressourcen gesegneten Kämpfer wird nicht unbedingt eine Agenda mitgegeben, die den Maßstäben seiner Umwelt standhält – seine Rolle wird in Frage gestellt, nicht zuletzt von ihm selbst.
Mitunter sind es eben nicht übernatürliche Talente, sondern ganz profane Dinge wie unerschöpfliche monetäre Ressourcen (Iron Man), gepaart mit besonderen psychischen Prädispositionen, etwa einem nach Rache schreienden Kindheitstrauma (Batman), die ein großes Potenzial von Macht und Verantwortung schaffen, mit dem umzugehen nicht jedes Helden Sache ist. Die neuen Filme zeigen das; wir werden Zeuge aufschlussreicher Lernprozesse.
Seit jeher wird das Anders-Sein des Superhelden thematisiert, seine Stellung als Sonderling in der Gesellschaft. Er mag gefeiert werden, aber Heroisierung bedeutet immer auch Isolierung. Schwer ertragbar ist dann bisweilen die Einsamkeit des Helden, und viele Einzelkämpfer bleiben in der Öffentlichkeit aus diesem Grunde lieber unerkannt (Paradebeispiel: Superman). Das Doppelleben aber nagt an jeder Existenz, ein innerer Zwist ist vorprogrammiert (»Spider-Man 3«).
Kaum verwunderlich ist es deshalb, dass so mancher Held seine Gabe als Bürde empfindet und sie loszuwerden sucht (»The Incredible Hulk« ersehnt sich ein Gegenmittel) oder zumindest ihre Ursprünge erforscht (Superman reist nach Krypton). Andere akzeptieren ihr Schicksal und finden sich mit ähnlich Begabten zu Superheldenteams zusammen (»Fantastic Four«). Angesichts solch geballter Supermacht reagiert der Rest der Gesellschaft naturgemäß mit Angst, die die Geschichten um einen weiteren Konfliktherd bereichert; in Momenten der Ausgrenzung, der politischen Anfeindung und offenen Bekämpfung versteckt sich viel Gesellschaftskritik (X-Men).
Die Beiträge des diesjährigen Kinosommers bringen außer diesen Resonanzen betont moderne Bezüge unter; ein Thema wie Waffenproduktion und -handel taucht gleich mehrfach auf, daneben sind verwandte Felder wie Terrorismus, Militarismus, industrielle Profitgier und organisierte Kriminalität nicht zu übersehen. Die Szenarien entziehen sich dabei dem Vorwurf der Zeitgeist-Anbiederung von vornherein – sie legen eher Finger in Wunden, als dass sie dem Zuschauer um jeden Preis gefallen wollen, strahlen dabei einen Scharfsinn und eine Ehrlichkeit aus, die auch den intellektuellsten Zweifler entwaffnet.
Hier hilft die gereifte Ästhetik der Filme. Waren Comic-Helden-Welten gestern noch skurril überformt und von allerlei bunten Charakteren bevölkert, residieren die neuen Storys in einer Realität, die praktisch die unsrige ist, die ebenso mit Alltagsproblemen beladen ist und nach den gleichen Regeln funktioniert. Gotham City hebt sich durch einige futuristische Details ab, ist letzten Endes aber genauso trostlos und von ernüchternder Wahrhaftigkeit wie die Wüste Afghanistans (»Iron Man«) oder die Slums Rio de Janeiros (»The Incredible Hulk«).
Ursachen haben ihre Wirkung in den neuen Filmen, die Action ist bretthart, kaum gibt es Überdehnungen und Stilisierungen à la »Matrix«. Dialoge werden genuschelt, es ist dreckig, es herrscht schlechtes Wetter. Romantische Schnörkel sind rar gesät, die Geschichten sind rastlos und dicht, von herber Frische und logischer Konsequenz. Dieser no-nonsense-Ansatz erinnert eher an Paul Greengrass als an Tim Burton.
Man möchte angesichts dieses Trends nicht von Erwachsenwerden reden, auch das abgegriffene Bild der »Frischzellenkur« bemüht man nur ungern, aber es ist doch ein neues Selbstbewusstsein spürbar in diesen Neuauflagen, eine neue Leidenschaft und der redliche Ehrgeiz, den Stoffen neue, tiefere Facetten abzugewinnen und sie an die Welt des Hier und Jetzt zu knüpfen. Das erfrischt, und es befriedigt auch den seinerzeit von Ang Lee so arg frustrierten Comic-Fan erster Stunde – denn da ist immer noch Platz für jede Menge Swoosh!, Arrrgh! und Wham!.
In den nächsten Tagen folgen Einzelbesprechungen zu »Iron Man«, »The Incredible Hulk« und »The Dark Knight«.