Who Watches the Watchmen?
Hamburg, 15. Oktober 2008, 12:22 | von San AndreasDie Verfilmung des epochalen Comic-Romans von Alan Moore
Epochal? Sagt wer? Nun ja, alle. Es stimmt zwar, hierzulande fiel »Watchmen«, diese meisterliche Fortentwicklung des Superhelden-Genres, nicht eben auf fruchtbaren Boden, als der Carlsen-Verlag sie 1989 veröffentlichte. Da erschloss gerade mal Tim Burtons erster »Batman«-Film breitere Fankreise; von einer tief wurzelnden Comic- und Superheldenkultur, wie sie in den Staaten seit Jahrzehnten schon existierte, konnte keine Rede sein.
Aber was revisionistische Neo-Western für das ebenfalls uramerikanische Western-Genre waren, verkörperte »Watchmen« für die ausreichend strapazierten Helden der Comic-Welt: eine ernüchternd realistische, vielschichtige Relativierung, die in ihrer retrospektiven Sicht viel über die Essenz des Genres verriet und nebenbei eine beeindruckende Relevanz als gesellschaftskritische Studie der Zeit des Kalten Krieges entwickelte.
Der Zwölfteiler war praktisch die erste der nun so populären ›graphic novels‹, wurde mit dem renommierten Hugo Award ausgezeichnet und taucht als einziges Comic überhaupt in der »Time Magazine«-Liste der 100 besten Romane aller Zeiten auf. Der Klappentext zitiert bescheiden »Lost«-Chefautor Damon Lindelof, der da meint, »Watchmen« wäre »the greatest piece of popular fiction ever produced.«
Da spricht ein Fan, na klar, aber das Werk steht tatsächlich ziemlich einzigartig da. Seine dicht betexteten Panels vermitteln eine eigentümlich reizvolle ›alternate history‹: In diesem Amerika sind Comic-Superhelden Geschichte, und ebenso verschwunden sind die maskierten Aushilfs-Helden, die es sich nach dem Vorbild der gezeichneten Weltenretter zum Ziel gesetzt hatten, in einer verwahrlosten Gesellschaft für Recht und Ordnung zu sorgen.
Weite Kreise hatte die Bewegung gezogen, bis sie in den Siebzigern per Gesetz verboten wurde. Diverse Erzählebenen verschaffen Einblicke in zwei Generationen dieser ›masked adventurers‹, von denen nur einer – Dr. Manhattan – tatsächlich über Superkräfte verfügt.
Seine bloße Existenz beeinflusst das Weltgeschehen, verkörpert Dr. Manhattans unumschränkte Macht über jegliche Materie doch eine Art ultimative Superwaffe. Jeder Aggressor muss mit verheerenden Gegenmaßnahmen rechnen, handelt er gegen den Behüter dieser Waffe – und der heißt USA (unter Führung eines von Watergate verschont gebliebenen Nixon). So verschärft sich der schwelende Konflikt der Supermächte, die sich nervös gegenüberstehen, Abschreckungspotenziale abwägend, wettrüstend, den Finger am Abzug.
Eine Eskalation scheint unvermeidlich, und die Gewißheit um einen nuklearen Krieg läßt die Menschen resignieren. Es ist ein trostloses, heruntergekommenes New York, in dem wir die ehemaligen Helden treffen: dunkle Gassen, triste Wohnsilos, dazwischen Atomschutzbunker und verdreckte Bürgersteige. Auf einem davon haucht unsanft der Comedian sein Leben aus, und auch andere Minutemen – ein Zusammenschluss einiger Selbstjustizler – werden plötzlich Opfer mysteriöser Attacken. Zu allem Überfluss verlässt Dr. Manhattan nach einer Rufmordkampagne kurzerhand den Planeten – was die entsprechenden militärpolitischen Folgen hat. Während im Osten schon die Panzer rollen, führen die Nachforschungen der maskierten Helden auf die Spur einer weitreichenden Verschwörung.
Welch heilsame Therapie die Watchmen-Geschichte für das Helden-Genre darstellte, lässt sich kaum überschätzen. Dekonstruktion und Revitalisierung zugleich, eröffnete sie eine »Was wäre wenn«-Perspektive, die geläufige Archetypen und Plotmuster negierte und dadurch erst bewusst machte. Heldentaten waren hier nur mehr wehmütige Erinnerungen, wie an Jugendsünden, und die alternden Protagonisten, von denen keiner die Sympathie des Lesers wirklich verdiente, streiften nur widerwillig ihre alten Kostüme über, um das Ableben ihres Kollegen zu untersuchen.
Und dabei mochte den nie jemand leiden. Ein Rüpel war das, ein Zyniker und ein Prolet. Nahtlos eingebaute Rückblenden erzählen Episoden aus seiner und anderer Figuren Vorgeschichte; auf diesem Wege erschließen sich ihre Charaktere. Der Comic erreicht dabei einen psychologischen Realismus, der bis dato in diesen Gefilden unbekannt war. Seine Dramaturgie kommt nachgerade filmisch daher, gibt ein Gefühl von Kamerabewegung und diffiziler Montage.
Lautmalereien, Denkblasen und Bewegungslinien sucht man vergeblich, stattdessen findet man klare, tiefenscharfe Panels voller Querverweise und Symbole (der blutbefleckte Smiley, die tickende Doomsday Clock), liest profunde, teils parallel montierte Dialoge, bedeutungsschwangere Schlagzeilen auf umherliegenden Zeitungen und Graffiti auf beschmierten Häuserwänden (eins davon, »Who watches the Watchmen?«, ein Zitat aus Juvenals »Satiren«, gibt dem Werk seinen Titel).
Postmoderne Zwischenböden bereichern den Text, zunächst in Form einer ›story within a story‹ – eine existenzialistische Seefahrergeschichte, die ein Comicfan an einem Zeitungsstand Tag für Tag liest (und die wir so Stück für Stück mitverfolgen), spiegelt Elemente der Watchmen-Handlung. Des Weiteren finden sich zwischen den Kapiteln Protokolle, Briefwechsel, Zeitungsartikel, Ausschnitte aus Memoiren – fiktive Zeitzeugen, die eine glaubbare, komplexe Welt aufspannen.
Ihr Schöpfer, Alan Moore, erfüllt die Ikonografie des Genies: wirres Einstein-Haar, wallender Rasputin-Bart, düsterer Beethoven-Blick. Er gilt als Gallionsfigur der modernen Comic-Szene, an seinem Input entzündeten sich Strömungen, die nicht zuletzt dem Superheldengenre zu einer lang anhaltenden Renaissance verholfen haben.
Bis heute findet das Genre neue Bezüge, die es auszuloten lohnt, und es sind gerade die Wechselwirkungen mit unserer schnöden Wirklichkeit, die, wie vor zwanzig Jahren in »Watchmen«, die anregendsten Beiträge liefern. Der Realismus in »The Dark Knight«, die Selbstironie von »Hancock«, das Undercover-Heldentum in »Heroes«, sie alle sind ohne den Einfluss von Moore nicht vorstellbar.
I’m never going to watch this fucking thing.
So lauten die Worte, die der Meister für die anstehende Verfilmung von »Watchmen« übrig hat. Warum so verbittert? Sein »V für Vendetta« hat in den Händen der Wachowskis doch eine kongeniale Filmadaption ergeben. Gut, »From Hell« war weniger gelungen, und von »The League of Extraordinary Gentlemen« wollen wir gar nicht reden. Moore hat jedoch generell kein Interesse an den Verfilmungen seiner Werke, er möchte nicht damit belästigt werden, und er will auch keinen Cent damit verdienen.
Sein gutes Recht, wiewohl gerade im Falle »Watchmen« sein Rat von großer Hilfe sein könnte. Seit vielen Jahren schon wurde eine Verfilmung angestrebt, und verschiedene Regisseure haben sich an dem Stoff die Zähne ausgebissen. Terry Gilliam arbeitete bereits 1989 verschiedene Treatments aus, um dann die Waffen zu strecken: zu komplex der Stoff, zwei Stunden reichen nicht aus, gebt mir fünf, und ich mach’s.
Nachdem Darren Aronofsky Interesse gezeigt hatte, jedoch wegen zu hoher Budgetforderungen eine Abfuhr erteilt bekam, gedieh das Projekt 2004 in den Händen von Paul Greengrass relativ weit. Schauspieler wie Tom Cruise und Jude Law begannen sich um die Rollen zu streiten, zum fertigen Skript wurden bereits Designstudien angefertigt, als Paramount plötzlich den Stecker zog. Zu riskant, zu teuer, die Zielgruppe zu klein.
Und so scheint der Film, der es nun in die Postproduktion geschafft hat und im März 2009 starten soll, ein paar Nummern kleiner auszufallen. Was überhaupt nicht schlecht sein muss. Allzu bekannte Gesichter in den Heldenrollen wären der Watchmen-Prämisse abträglich, die ja dadurch besticht, dass die Figuren dem Leser oder Zuschauer als Jedermänner ohne jeglichen Ballast begegnen, bar jeden Vorlebens in Dutzenden Comic-Episoden. Und Tom Cruise als Ozymandias? Muss nicht sein.
Manchem »Watchmen«-Liebhaber treten jedoch Schweißperlen auf die Stirn, wenn er den Namen des Regisseurs erfährt, der den Job übernommen hat. Zack Snyder ist das nämlich – und seine Referenzen belegen nicht gerade ein untrügliches Gespür für feinsinnige Sozialkritik und politische Metaebenen. Aber er verehrt die Vorlage abgöttisch, wie man hört, und wir wollen ihm gerne eine Chance geben. Der Trailer schaut schon mal ganz gut aus.
A propos Trailer: In jenem zu »300« hatte Snyder die erste »Watchmen«-Testeinstellung versteckt und mit seiner Frau gewettet: Die war sich nämlich sicher, niemand würde das Bild registrieren, während Zack glaubte, es würde praktisch sofort entdeckt werden. Zack gewann die Wette.