Die FAS vom 23. 11. 2008:
»Das Eigenheim Ich, Es, Über-Ich«
Leipzig, 25. November 2008, 09:08 | von Paco
San Andi hat angeblich die ultimative Coen-Brothers-Film-Monografie »so gut wie« fertig, um sie hier als simplen Eintrag im Umblätterer der Blogosphäre zu übergeben. Bis es soweit ist, habe ich schnell mal noch die vorgestrige FA-Sonntagszeitung gelesen.
Darin ein sehr herrlicher literaturhistorisch-sozialgeschichtlicher Doppelschlag:
Eberhard Rathgeb über Alfred Döblin und seinen Riesenroman »November 1918« (Titel: »Das Leben radikal anders denken«, S. 30)
Henning Ritter über André Gide und seine Tagebucheintragungen zum Kriegsbeginn 1914 (Titel: »Die abgeschnittenen Hände«, S. 31)
Das Duo Rathgeb/Ritter verzichtet gänzlich auf den manchmaligen Illustriertenton, für den wir die FAS ja auch lieben. Bei den beiden aber nichts davon, fast fühlt man sich wie in der »Zeit«, und zwar im aller-aller-positivsten Sinne.
E. R. erklärt Döblins Schreibe so:
»Die kunstvolle Mischung verschiedener Welten, die weit über das Eigenheim Ich, Es, Über-Ich hinausreichen, hebt die Revolution aus ihren theoretischen, die Politik aus ihren pragmatischen und die Möglichkeit eines fest gefügten, auf das Vergessen des Krieges gegründeten Daseins aus ihren existentiellen Angeln.«
Bla bla bla, höre ich euch sagen, aber allein die »Eigenheim«-Formulierung ist Gold wert, pures Gold.
Dann H. R. zu Gide und der in den ersten Tagen des Grande Guerre einsetzenden Greuelpropaganda:
»[Es] läuft das Gerücht um, sie [die Deutschen] töteten auf dem Schlachtfeld ihre eigenen Verwundeten. Und auch bei Evakuierungen, heißt es, töteten sie ihre eigenen Verwundeten, ließen aber die der Franzosen am Leben. ›Erklär das, wer kann‹, schreibt Gide.«
Das Fehlen eines einleuchtenden Grundes für dieses Vorgehen bewirkt eine inkommensurable Unheimlichkeit, und gerade weil es sich offenbar um eine propagandistische Fiktion handelt, würde ich sehr gern vom Fiktionsverantwortlichen einmal die Gründe der Deutschen für ihr unverständliches Tun erfahren.
So, und dann hat Tobias Rüther noch das neue Guns N‘ Roses-Album »Chinese Democracy« Song by Song untersucht (Titel: »Vom Axl des Bösen«, S. 28). Sehr gut der wiederkehrende Satz: »Ist das jetzt der Refrain?« Und so hat auf diese mise-en-abyme-hafte Weise auch Rüthers Rezension einen schönen Refrain bekommen.
Usw.