Niklas Maak und Werner Spies (und Baudelaire)
Dresden, 10. Dezember 2008, 08:02 | von PacoImmer noch in Dresden. Schon seit Donnerstag (4. 12.), weil es da im Lipsiusbau eine Sternstunde des Feuilletons gab: Niklas Maak unterhielt sich mit Werner Spies, offiziell über dessen 10-bändige Werkausgabe »Auge und Wort«. Vor Ort ging es aber gar nicht um die Bände, stattdessen wurde es ein Anekdotenspektakel, bei dem glücklicherweise Publikum zugelassen war.
Maak kam etwas später, Stau auf der Autobahn, ein Kleinlaster sei umgekippt, offenbar genau der, der die erste Ladung Backsteine für das Berliner Stadtschloss bringen sollte. Vielleicht ist das ganze Schloss-Projekt also doch wieder gefährdet, hehe.
Das Gute an dem Gespräch war, dass es eben nicht um Frage und Antwort ging. Sie hauten sich die Taschen voll, im allerherrlichsten Sinn. Spies hatte von Begegnungen mit Picasso erzählt, als Parallelaktion sprach dann Maak noch einmal über seinen Besuch bei Cy Twombly in dessen Festung aus mehreren zusammengewachsenen Häusern über der Küstenstadt Gaeta. Vor knapp 4 Jahren hatte er dieses Ereignis bereits schriftlich für die FAS rekapituliert (23. 1. 2005), damals allerdings noch in der unpersönlichen »wir«-Form. Die Nacherzählung legendärer Feuilleton-Artikel durch den Autor selbst ist ganz sicher der nächste große Erschließungskomplex im Zuge der aktuellen Blog-/Vlog-Offensive der FAZ.
Was sonst noch geschah:
Spies über Kahnweiler, der ihn immer vor Max Ernst gewarnt hatte.
Spies über den alten Picasso, der mal einen Kreis für ihn malte, als Beweis seiner Zurechnungsfähigkeit.
Spies über Breton & Co. und wie sie Sigmund Freud falsch verstanden.
Spies über Beckett, wie dieser einmal am Hölderlinturm Hölderlin rezitierte (die Köpfe des Publikums legten sich träumerisch schräg).
Spies über das hinter ihm hängende Gursky-Foto, das er mit Altdorfers »Alexanderschlacht« verglich, sicher die bleibendste Aussage an diesem Abend.
Und dann bezeichneten sich beide noch gegenseitig als Lieblingskollegen bei der FAZ, so also ist das.
Ich torkelte mit Millek aus dem steinsichtigen Kellergewölbe, und noch völlig frankophilisiert feierten wir, kitschig wie der rezitierende Beckett am Hölderlinturm, mit völlig unhaltbaren Argumenten verschiedene Baudelaire-Phrasen, bis sie uns zum Halse rauskamen.
Auf einmal wurde uns klar, was für ein schlechter Dichter Baudelaire doch war, zum Beispiel die Idee, Albatrosse als »vastes oiseaux de mer« zu bezeichnen. Was sollen denn »vastes oiseaux« sein? Warum nicht einfach »grands«? Ein missglückter Poetisierungsversuch par excellence. Und so ging es weiter.
Das fiel mir gerade wieder ein, und es war natürlich grober Unsinn, was wir da zum Thema aufgeblasene Lyrik verbrochen haben. Natürlich ersetzt Baudelaire nicht »grands« durch »vastes«, sondern verschiebt das normalerweise auf »mer« bezogene Attribut und bezieht es auf »oiseaux«. Die »mer« ist mächtig »vaste«, ergo sind es auch die Vögel.
Überhaupt ist die französische »mer« im Allgemeinen dergestalt »vaste«, dass der französische Strindberg-Übersetzer es für nötig gehalten hat, den eher schlichten Titel »I Havsbandet« mit »Au bord de la vaste mer« zu übertragen. Es ist schließlich nicht von irgendeiner Pfütze die Rede, sondern von der vâââste mer.
Ob das abgedroschene Bild bei Baudelaire durch die Erkenntnis des selber auch reichlich abgedroschenen Tricks irgend besser wird, keine Ahnung. Wäre vielleicht eine gute Publikumsfrage für Werner Spies gewesen. Stattdessen hatte nämlich ein beschwingter Heimatmensch lieber gefragt: »Herr Spies, wie sehen Sie Dresden heute?«
Usw.