Der Vagina-Katalog
London, 18. Januar 2009, 13:00 | von DiqueVenus ist verheiratet mit Vulkan, doch Mars ist scharf auf die Schöne. Irgendwann geht sie auf das Werben des Kriegsgottes ein, und beide treffen sich zum heimlichen Liebesspiel. Vulkan bleibt das nicht verborgen, und er stellt den beiden eine Falle. Er bringt ein fast unsichtbares Netz an seinem Ehebett an, um sie bei ihrem nächsten Rendezvous darin zu fangen. Der Plan geht auf, und Vulkan rächt sich nun, indem er die beiden im Netz Gefangenen dem Gespött der übrigen Götter aussetzt.
Diese Szene verarbeitete François Boucher, der uns in seinen weichgespülten rosa Rokoko-Farbtönen heute eher kitschig vorkommt, in mehreren Gemälden. In einem davon stellt er den Moment dar, in dem sich Vulkan vorsichtig an die Liebenden anschleicht. Venus liegt lustvoll zurückgeworfen auf dem Bett, während Mars sie umarmt.
Dieses Bild, »Mars and Venus surprised by Vulcan«, entstand um 1754 und hängt heute in der Wallace Collection in London, die eine der besten Boucher-Sammlungen der Welt hält und 2005 auch eine Sonderschau, über den Maler veranstaltete, »Seductive Visions«.
Das nur als Einleitung, als Vorgeschichte, und jetzt sitze ich mit Millek und Sébastien2000 (* Name geändert) im Café der Wallace, das zwar sehr schön ist, aber ein bisschen zu bieder, um zum Kaffeehaus des Monats ausgerufen zu werden. Jedenfalls wird das Museum in 15 Minuten schließen, und wir diskutieren: Welche beiden Bilder müsste man sehen, wenn man nur 10 Minuten Zeit hat, aber einen Eindruck von der Sammlung gewinnen will.
Zumindest das erste Werk liegt klar auf der Hand: »The Swing« von Bouchers Schüler Fragonard. Dieses Bild ist nicht nur eines der prominentesten Werke der Sammlung. Mit seinem frivolen Sujet steht es auch exemplarisch für die Interessen des Sammlers Richard Wallace, der Sinnliches mochte und konsequent heranschaffte. Religiöses oder Schlachtengemälde wird man in der Wallace Collection nicht finden.
Wir begeben uns nach oben in die Galerie, um eben jenem »Swing« die verbleibenden Minuten zu widmen. Auf dem Weg dorthin erzählt uns Sébastien (der sich nach seinen Speed-Führungen im Prado und in den Vatikanischen Museen jetzt in der Wallace Collection betätigen will) jene eingangs erwähnte Geschichte von Venus, Vulkan und Mars. Und obwohl wir wissen, dass das entsprechende Bild von Boucher auch gleich hier hängt, inspizieren wir erst noch einmal den berühmten »Swing«:
Inmitten eines tiefgrünen Parks sitzt eine Dame auf einer Schaukel. Unter ihr, im Buschwerk versteckt, aber für die Dame sichtbar: ein einladend grinsender Mann, ihr Liebhaber, welchem schon der eine Schuh der schaukelnden Frau zufliegt und andeutet, dass sie selbst wohl als nächstes folgen wird. Im Hintergrund, im Schatten, ein weiterer Mann, der die Schaukel anschiebt, wohl ihr Mann, der von einer Affäre nichts weiß. Angeblich wurde das Bild seinerzeit von dem heimlichen Liebhaber in Auftrag gegeben.
Aber kommen wir zurück auf die prominenten Liebenden aus dem Olymp. Wir brauchen uns dazu nur umzudrehen, und Sébastien setzt seine Vorgeschichte nun fort »with a rather juicy bit of information«.
Für das Cover des Katalogs zur damaligen Boucher-Ausstellung war ein Detail aus genau diesem Bild, »Mars and Venus surprised by Vulcan«, ausgewählt worden. Das Detail wurde auch für Werbeposter verwendet und zierte zur Zeit der Ausstellung als riesiges Banner das Hertford House, in dem sich die Wallace Collection befindet. Dieser Ausschnitt ist nur ein kleiner Teil des Bildes: der lustvoll zurückgeworfene Kopf der Venus.
Wie gesagt, die Ausstellung ist lange vorbei, aber das große Banner hat die Kuratorin wohl noch immer irgendwo hängen. Und eines Tages, jetzt, Jahre nach der Ausstellung, fragte sie angeblich jemand, der das Bild, den Ausschnitt, den Kopf der Venus eine Weile studiert hatte, ob ihr denn daran nicht etwas auffalle. Und sie konnte an diesem Ausschnitt, dem Aushängeschild der Ausstellung, das sie so oft gesehen hatte, das so viele Leute so oft gesehen hatten, nichts Neues entdecken.
Und auch wir stehen nun vor dem Bild, dem Original in Öl, hier in der Wallace Collection, und sehen nicht nur den Ausschnitt, sondern starren auf das gesamte Gemälde in all seiner Pracht, aber es fällt uns einfach nichts auf.
»Have a closer look at her ear«, sagt Sébastien, und dann, keiner spricht es aus, keiner muss es aussprechen, es ist ein Moment des Staunens und des Unglaubens (»Und mit Erstaunen und mit Grauen / Sehen’s die Ritter und Edelfrauen«, um den Moment in Kontext zu setzen), und nach einem Moment der Stille, unser aller Münder stehen offen, raune ich ein ungläubiges »Really!?«.
Für diese kunsthistorische Entdeckung, die in der Literatur noch nicht verzeichnet ist, wird es wohl nie eine offizielle Bestätigung geben. Doch in Anbetracht von Bouchers Gesamtwerk und der Deutlichkeit und unser aller Reaktion weist alles darauf hin, dass man 4 Jahre nach der Ausstellung den zugehörigen Katalog als Vagina-Katalog bezeichnen kann.
Am 18. Januar 2009 um 14:20 Uhr
An den Fehlerteufel:
Danke für den Link auf „Prado in 10 Minuten“. Mir ist noch ganz schwindlig…
Am 18. Januar 2009 um 15:13 Uhr
Natürlich! Danke, Benjamin, hab’s korrigiert, mir ist auch noch ganz schwindlig.
Am 18. Januar 2009 um 20:58 Uhr
Verstehe ich das richtig: das Ohr ist geformt wie ein Vagina? Oder es ist eine angedeutete Vagina? Und es wurde von den Verantwortlichen einer Ausstellung nicht bemerkt? Oder wie oder was?
Wie hoch ist eigentlich der Reissack-Faktor dieser Information? :(
Am 18. Januar 2009 um 21:30 Uhr
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Am 19. Januar 2009 um 16:40 Uhr
Und ach ja, @Markus, großes Missverständnis, das hier ist kein what-so-ever Medienblog, hier gibt es überhaupt keine »Information«.
Am 20. Januar 2009 um 09:39 Uhr
Interessante Story, da muss erst mal wer drauf kommen. Aber sehr gut geschildert und dank der verlinkten Bilder kann jeder sich selbst sein Urteil bilden. Danke für den Hinweis und das Aufmerksammachen.