Volker Hages Kehlmann-Artikel vor Gericht
Konstanz, 6. Februar 2009, 17:27 | von MarcuccioLiteraturkritiker kennen sich aus im Gerichtssaal: Sie sind Ankläger und Anwälte der Literatur, fällen Urteile und gelten schon mal als »Dorfrichter Adam der Literaturszene« (Jochen Hörisch über MRR).
Aber wie gut kennen sich Gerichte eigentlich in der Literaturkritik aus? Danach fragt dieser Tage komischerweise keiner. Der Rowohlt-Verlag verklagt den »Spiegel« wegen Missachtung der Sperrfrist bezüglich des neuen Kehlmann-Buchs – eine Vertraulichkeitserklärung hatte alle Empfänger eines Vorabexemplars verpflichtet, keine Besprechung vor dem 16. Januar zu veröffentlichen.
Die Feuilletons berichteten, am scharfsinnigsten vielleicht die »Welt«, die feststellte, dass der Streitwert sicher nicht der vollen Konventionalstrafe (250.000 Euro) entspricht, »weil sich die verhohlene ›Ruhm‹-Rezension als Porträt tarnt. Insofern wird das Gericht sich auch zur Trennschärfe zwischen journalistischen Genres äußern müssen«.
Wohl wahr. Hochrichterlich verhandelt werden wird und muss also, zu welchen Teilen Volker Hage mit seinem Artikel eine Rezension und zu welchen Teilen er ein Porträt verfasst hat. Damit hat das Gericht etwas zu klären, was nicht mal innerhalb der Literaturberichterstattung selbst klar ist, denn die Grenzen zwischen Personality und echter Kritik sind ja seit Jahren eigentlich an vielen Stellen fließend. Auch eine spezifische Genre-Theorie der Literaturberichterstattung existiert bislang nicht, es gibt so gut wie keine Fachliteratur zum Thema.
Das Pikante an der Sache: Ausgerechnet (der symbolisch angeklagte) Volker Hage könnte vom Gericht nun als Sachverständiger, als Gutachter seiner selbst herangezogen werden. Für den August ist bei Suhrkamp nämlich sein Kompendium über »das breite Spektrum journalistischer Beschäftigung mit Literatur« angekündigt.
Und egal wie das Urteil ausfällt, die schriftliche Urteilsbegründung wird ein prima Plädoyer für Hages Buch über Literaturjournalismus sein – die »Tätigkeit, die sich keineswegs nur auf das Rezensieren von Büchern beschränkt, sondern zugleich Textformen wie Porträt, Interview, Glosse, Leitartikel, Debattenbeiträge oder Nachrufe umfaßt. Ein solcher Leitfaden – nicht zuletzt für Studenten und Journalistenschüler – hat bisher gefehlt.« (Kurzbeschreibung)
Wenn sich das Gericht zur Prüfung der täterlichen Genre-Tatsachen jetzt nicht sofort ein Vorabexemplar kommen lässt, dann weiß ich auch nicht.
Und was ist eigentlich mit der FAS? Immerhin erschien der große Kehlmann-Report (in der Nr. 2/2009 vom 11. Januar) ja auch vor dem Erstverkaufstag 16. 1. – was die Frage aufwirft, ob hier entweder eigene Sperrfristen galten oder ob es mit der Institution Erstverkaufstag sowieso nicht so weit her ist, wie Rowohlt behauptet. Das Thema Sperrfrist brodelt also weiter – siehe auch den PT-Essay von Ekkehard Knörer.
Am 8. Februar 2009 um 02:27 Uhr
Feiner Gedanke. Ich (als juristischer Laie) sehe in Hages Werbeschrift allerdings keine getarnte Rezension, sondern ein Gespräch mit dem Autor über das Buch, zu dem es hilfreich war, das Buch gelesen zu haben. Vielleicht hat das Gericht nur zu klären, was der Vertrag so alles abdeckt. Darf man gleich los rennen – oder muss das auch warten? Wäre ich der Richter, und zweifelte, ich würde Kehlmann fragen, was Hage ihm erzählt hat.
Am 8. Februar 2009 um 13:53 Uhr
Oder Hage fragen, was Kehlmann ihm erzählt hat. Ist ein Autor, der sein Buch vor Veröffentlichung ausplaudert, auch ein Sperrfristenbrecher? So oder so: Hage und Kehlmann hatten und haben ihren Spaß, Rowohlt und/oder der Spiegel bezahlen.
Am 8. Februar 2009 um 15:14 Uhr
Ich frage mich, warum Verlage überhaupt die Leseexemplare teilweise Wochen im voraus verschicken? Was hindert den Rezensenten das Buch zusammen mit dem „normalen“ Leser am Ausgabetag im Buchhandel zu erhalten?
Im vergangenen Jahr gab es von Suhrkamp im Sommer ein 200 Seiten-Buch von Uwe Tellkamp mit dem Namen „Der Turm“. Im Buch wurde man aufgeklärt, dass der wahre Umfang rd. 1000 Seiten sei und man sich vormerken lassen könnte für das vollständige Exemplar. Im August erhielt Tellkamp bereits einen Preis für „Der Turm“, obwohl es (wie man mir vom Verlag versicherte) nur dieses „Kurzexemplar“ gab (das „ganze“ Buch erschien dann im September).
Vielleicht hätte man Kehlmanns „Ruhm“ nur vorab einen Preis zuerkennen müssen – dann hätte der Verlag sich nicht mehr beschweren können.
Im Ernst: Geschickte Kampagne des Verlags das Hätschelkind der deutschsprachigen Literatur noch ein bisschen zu promoten.