Lost: 5. Staffel, 7. Folge
London, 14. März 2009, 19:32 | von DiqueAchtung! Spoiler!
Episode Title: »The Life and Death of Jeremy Bentham«
Episode Number: 5.07 (#92)
First Aired: February 25, 2009 (Wednesday)
Dt. Titel: »Leben und Tod des Jeremy Bentham« (EA 21. 5. 2009)
— Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)
Zeitreisen macht’s möglich, John Locke trifft Caesar! Wir kennen Letzteren schon vom Sehen, aus dem Flieger Nr. 316, der auf Befehl von Eloise Hawking die Oceanic Six zur Insel zurückbringen sollte. Nach den ganzen Physikern und Philosophen bekommen wir nun einen der beliebtesten Diktatoren aller Zeiten vorgesetzt. Und langsam könnte beim Namedropping mal weniger mehr sein.
Diese Folge beginnt sehr dunkel: mit Caesar und Ilana, der anderen Neuen mit Hauptrollenpotenzial, in einer der verlassenen Dharma-Stationen auf der Nebeninsel. Weiter geht es am Strand, wo ein Mensch mit heruntergezogener Kapuze sitzt, umringt von Leuten. Es ist Nacht, im Hintergrund brennt ein Lagerfeuer, und Caesar nähert sich der Szenerie mit dem umringten Kapuziner.
Wieder so ein typischer »Lost«-Moment, wir sehen jemanden von hinten, ein bisschen zu gewollt versteckt, wir wissen noch nicht, wer es ist, ahnen es aber schon. Caesar stellt sich dem Unbekannten vor: »Hello, my name is Caesar, what’s yours?« Und dann gibt die Kamera den Mann unter der Kapuze frei: »My name is John Locke.« Allein dieser Dialog ist so wahnwitzig und gleichzeitig so gut und so schlecht, dass ich ihn noch mal aufschreiben muss:
–Hello, my name is Caesar, what’s yours?
–My name is John Locke.
Der Dialog könnte im selben Wortlaut auch in einer Irrenanstalt stattgefunden haben, hehe.
Aber genug der Späße, Locke lebt, das kommt nicht überraschend. Und mit dem lebendigen John Locke kommt diese Folge fast im klassischen Stil daher, sie widmet sich fast gänzlich einer Figur, in Vergangenheit, Zukunft und/oder Gegenwart. Es gibt noch stärkere Referenzen auf das Old-School-»Lost«, die erneute Bruchlandung auf der Insel, ein Flugzeugwrack am Strand, dieses Mal scheinbar noch fast intakt, die Suche nach Passagierlisten.
Dann wird uns nach und nach erzählt, wie es Locke nach dem Drehen des Glücksrads ergangen ist. Da er nun wieder glücklich auf der Insel angelangt ist, sehen wir ihn zur Einleitung in eine Mango beißen, und es ist nach eigenem Bekunden die beste Mango, die er je hatte. Vor dem Hintergrund, dass John »Lazarus« Locke gerade eine Auferstehung von den Toten hinter sich hat, ist das natürlich nur allzu verständlich, hehe.
Der Inselneuling Ilana will wissen, wer Locke jetzt gleich noch mal ist, da er nicht mit im Flugzeug gewesen sei, aber Locke weiß selber nicht so richtig, wie ihm geschah. Als sie ihn fragt, woran er sich erinnern kann, antwortet er: »You asked what I remembered. I remember dying.« Kurioserweise bricht die Konversation hier ab, Ilana entfernt sich nach dieser Aussage, vielleicht war sie ihr einfach etwas zu theatralisch.
Dann geht’s zurück in die Vergangenheit, wir sehen Locke wieder an dem papieren wirkenden Drehrad und hören noch einmal (schon wieder) den mittlerweile berühmten Dialogfetzen zwischen Locke und dieser Schimäre von Jacks Vater, Christian Shepard. Locke solle doch bitte seinen Sohn grüßen, worauf Locke konsterniert zurückfragt: »Who is your son?«
Und nun beginnt der Erklärungsteil. Locke liegt mit gebrochenem Bein in der Wüste, und auf ihn ist eine kleine Kamera gerichtet. Eine Horrorszene à la Hitchcocks »North by Northwest«, klarer Himmel, Tageslicht, weiter Blick, das Gegenteil einer dunklen, gruseligen Schreckensszenerie, würde da nicht plötzlich ein Flugzeug im Tiefflug Dünger über einem abwerfen, oder wäre da nicht, wie in diesem Falle, diese fiese kleine Kamera auf Locke gerichtet. So schmort er einen ganzen Tag vor sich hin, denn erst im Dunkel der Nacht wird er abgeholt und in einer »ER«-mäßigen Szene wieder zusammengeflickt.
Geweckt wird er von Charles Widmore, der an seinem Bett hockt: »John! John, wake up!« Und er erzählt ihm dann gleich von seinem Kampf gegen Ben. Wieder eine schöne Propagandaszene, denn es ist immer noch nicht klar, wer hier der Gute, wer der Böse ist. Widmore scheint nicht in alle Inselgeheimnisse eingeweiht zu sein, jedenfalls zeigt er sich etwas überrascht, dass John genauso aussieht wie vor etlichen Jahrzehnten, als der damals noch 17-jährige Others-Jüngling Widmore ihm kurz auf der Insel begegnet ist. Für den Zeitreisenden John sind seitdem jedenfalls nur 4 Tage vergangen.
Widmores weitere Ausführungen dienen glücklicherweise zum Handlungsprogress, so wie in der vorhergehenden Folge die ziemlich lächerliche Rede von Eloise Hawking, die, das muss man immer mal wieder erwähnen, ja Faradays Mutter ist, hehe. »That’s the exit«, sagt Widmore über den Ort in der tunesischen Wüste, an dem Locke nach seinem Rendezvous mit dem blinkenden Drehrad wieder aufgetaucht ist. Dieser Ausgang muss in 4.09 auch Bens Ankunftspunkt gewesen sein, bevor er kurz entschlossen zwei Einheimische platt gemacht hat. Damals hatte Widmore aber noch keine Kamera installiert.
John gesteht gegenüber Widmore nicht sofort, dass er die anderen zurück auf die Insel holen will und ist überrascht, als ihm Widmore dafür dann seine uneingeschränkte Hilfe anbietet. Und zwar darum: »Because there’s a war coming, John. And if you’re not back on the Island when that happens, the wrong side is going to win.«
Da Locke ja offiziell gar nicht mehr am Leben ist, überreicht ihm Widmore einen Pass auf den Namen: Jeremy Bentham. Er thematisiert dann zum ersten Mal immanent die ambitionierte Namensgebung der »Lost«-Autoren: »He was a British philosopher. Your parents had a sense of humor when they named you, so why can’t I?« Berechtigte Frage.
Kurz darauf verbricht Widmore ein weiteres schlimm-schönes Zitat: »The island needs you, John. It has for a long time.« Die Warum-Frage wird dann mit einem Zirkelschluss beantwortet: »Because you are.« Der ultimativen Sterbeprognose von Richard Alpert wird von Widmore widersprochen, vielleicht muss Locke also gar nicht sterben, vielleicht war das nur ein Bluff, ein Test.
Nun sucht Locke nacheinander alle entkommenen Losties auf, angefangen bei Sayid, den er beim Dachdecken in der Dominikanischen Republik erwischt, wo er ein ganz passables Spanisch spricht. Für seine Rückholaktionen wurde Locke übrigens ein Assistent zur Verfügung gestellt, Matthew Abaddon, welcher sehr stark an den berühmten Haitian aus »Heroes« erinnert.
Die nächste Station ist New York City, wo Locke auf den mittlerweile baumhoch gewachsenen Walt trifft. Es gibt nur eine kurze Unterhaltung, einen quick catch-up, versetzt mit etwas Esoterik, denn Walt hat ein paar Mal komisch von Locke geträumt. Er fragt noch schnell nach seinem Vater, den er seit 3 Jahren nicht gesehen hat.
Dann zieht es Locke zu seiner Ex-Geliebten, Helen, doch der Haitian präsentiert ihm nach zunächst vagen Aussagen über ihren Verbleib nur noch ihr Grab. Nach einer Diskussion über den Sinn des Lebens blockt der Haitian irgendwann mit einem Zitat aus »Eastern Promises« ab: »I am just your driver!« (allerdings ohne Viggo Mortensens berühmten Nachsatz »I go left, I go right«), und es geht dann auch Eastern-Promises-mäßig weiter, der Haitian wird erschossen, und Locke will im angeschossenen Auto fliehen, kracht irgendwo dagegen und erwacht im Krankenhaus, behandelnder Arzt: Jack.
Dann gibt es in der Irrenanstalt in Santa Rosa noch ein Intermezzo mit Hurley. Er hält Locke zuerst für eine unwirkliche Traumgestalt und will ihm nicht glauben, dass er real ist. Aber dann fragt er ein paar Bystanders: »Am I talking to a dude in a wheelchair right now?« Und in der Tat macht er genau das, schockierend für ihn, und Lust, auf die Insel zurückzukommen, hat er auch nicht. Auch Kate lehnt dankend ab.
Etwas früher in der Folge hat Locke zu seinem Haitian-ähnlichen Gehilfen gesagt: »I only need to convince one. And if I can do that, the rest will come.« Ist das sein Plan mit dem Selbstmord, er springt über die Klinge, um diesen einen zu überzeugen, also Jack, den pragmatischen Leichtgläubigen? Aber ich greife schon wieder etwas vor bzw. zurück, denn wir wissen ja schon, was kommt und kennen den verzweifelten bärtigen Jack vom Ende der 3. Staffel.
In einer langen Szene schreitet John zur Tat, behutsam bereitet er sich vor. Als er seinen Kopf dann endlich in die Schlinge legt, erscheint Ben und verwickelt den Todesmutigen in einen mephistophelischen Dialog. Locke erinnert dabei an den grüblerischen Christus in Scorseses »Last Temptation of Christ« und lässt sich retten. Ben ist aber auch ein rhetorischer Teufelskerl: »John, you have no idea how important you are! Let me help you!«
Doch dann endlich wieder mal ein Knalleffekt à la Ben: Nachdem John den Namen ›Eloise Hawking‹ erwähnt hat, erwürgt Ben den armen Locke in einer ziemlichen Übersprungshandlung mit dem Kabelband. Da ist er wieder, der skrupellose Ben, der sich ohne zu zögern die Hände schmutzig macht, was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag.
Vielleicht räumt er hier auf einer ganz oberflächlichen Ebene einfach den Nebenbuhler aus dem Weg. Aber es ist wohl reiner Pragmatismus und nicht fehlende Zuneigung. Bevor er geht, schickt er seinem Opfer noch einen netten Abschiedsgruß hinterher: »I’m gonna miss you, John. I really will.«
Soweit der Rückblick auf Lockes Werdegang. Im Rahmen der Inselhandlung lässt sich Locke gegenüber Caesar dann ein bisschen über seine Vergangenheit aus, ohne groß Details zu erwähnen. Im Gegenzug erzählt ihm Caesar von den Mysterien an Bord des später abgestürzten Flugzeugs. Der Dicke mit dem Lockenhaar, also Hurley, sei zum Beispiel einfach so verschwunden, als das Flugzeug anfing sich wild zu schütteln.
Der Pilot, also der ehemalige Chopper-Flieger Frank, ist zwar offenbar ordnungsgemäß mit abgestürzt, sei dann aber samt Passagierliste in den Busch gerannt. Und dann erzählt Caesar von den Verletzten, und John will gleich hin, und dort liegt jemand auf einer Liege, eingerollt, wieder der »Lost«-typische Spannungsaufbau, nicht zu sehen, bis ihn dann endlich die Kamera ins Visier nimmt. Es ist Ben, wieder eher in hellerer Inselkleidung, also kein schwarzer Düsterlook mehr, und Caesar fragt Locke: »You know him?« – »Yeah, he’s the man who killed me.«
Die Folge endet also mit einem Paradebeispiel für ein Epimenides-Paradoxon, was nicht so originell und auch ein bisschen lächerlich ist, aber es gibt schlechtere Schlusseffekte.