Lost: 5. Staffel, 14. Folge
Paris, 6. Mai 2009, 22:20 | von PacoAchtung! Spoiler!
Episode Title: »The Variable«
Episode Number: 5.14 (#99)
First Aired: April 29, 2009 (Wednesday)
Deutscher Titel: »Die Variable« (EA 9. 7. 2009)
— Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)
(Vorab: ABC feiert mit dieser Episode offiziell die 100. Folge »Lost«, meint damit aber die 100. produzierte TV-Stunde »Lost«. Wir sind wie viele andere mit unserer Zählung erst bei #99, da wir die zweistündige Folge 1.24, »Exodus, Part 2«, nur einfach zählen. *egal*)
2008
In der vorletzten Folge wurde Desmond von Ben angeschossen, und als diesmaligen Opener erleben wir eine »Emergency Room«-mäßige Krankenhaus-Sequenz mit Desmond auf einer Bahre, die hektisch durch einen Krankenhausgang gerollt wird. Dem verletzten Schotten wird ein Atemgerät aufs Gesicht gepresst, und ein paar Ärzte schreien so klischiert wie möglich irgendwelche Begriffe durch die Gegend.
Dann tritt Eloise Hawking in den Wartesaal, die Frau, die alle Lächerlichkeiten der 5. Staffel so perfekt personifiziert. Wie ein Orakel ihrer selbst verkündet sie Penny nun, dass Daniel Faraday ihr Sohn sei, der wiederum Desmond nach L. A. geschickt habe, um sie zu finden und die Rückkehr der Oceanic Six zu organisieren. Ansonsten sind ihr ähnlich wie Ben mittlerweile die Zügel aus der Hand geglitten: »For the first time in a long time, I don’t know what’s going to happen next.« (Was für eine Wohltat, hoffentlich wird die Alte jetzt erträglicher, hehe.)
Die Szene im Spital funktioniert als Klammer für die gesamte Folge und wird erst am Ende wieder aufgenommen. Dann kreuzt schließlich auch Widmore auf und erkundigt sich so nach dem Neuesten. Dabei kommt heraus, dass Faraday nicht nur der Sohn von Eloise, sondern auch der von Widmore ist. Also ist Faraday der Halbbruder von Penny, der Schwager von Desmond usw. Dazu gibt es noch die Andeutung, dass der Physikus von seiner Mutter geopfert werden musste. Und das wird dann auch der Cliffhanger, doch dazu später.
Faradays Kindheit und Karriere
Diese Faraday-centric episode inszeniert den Zeitreise-Wissenschaftler so ein bisschen als Hanno Buddenbrock für Arme. Seine Mutter unterbricht ihn in ganz jungen Jahren beim glückseligen Pianospiel. Sie fragt ihn, ob er wisse, was destiny sei. Äh, nein, sagt er. Die richtige Antwort lautet: »Destiny means that, if one has a special gift, then it must be nurtured.« Und das wird Faradays Trauma, etwas zaunpfahlartig in diesen vorausdeutenden Dialog gepresst:
FARADAY: But I want to keep playing the piano. I can do both. I can make time.
ELOISE: If only you could.
Später sehen wir ihn an der Uni wieder, nach seinem Abschluss als »youngest doctorate that ever graduated from Oxford«. Er schleppt eine Theresa an, Freundin und Forschungsassistentin, doch seine Mom will lieber mit ihm allein lunchen. Als sie dann beieinander sitzen, macht sie aber gleich die Biege, kurz nachdem sie gehört hat, dass Daniel für seine Forschungen 1,5 Mio. Pfund zur Verfügung gestellt wurden, von einem Industriellen namens – Charles Widmore.
Als nächstes betrachten wir die Spätfolgen des Faraday’schen Traumas: Er ist depressiv, heult die ganze Zeit und hat Erinnerungsprobleme. Irgendwann nach dem Absturz des Oceanic-Fluges 815 sieht er rein zufällig eine Fernsehsendung über die Bergung des (von Widmore gefakten) Oceanic-Flugzeugwracks. In diesem Moment taucht zufällig Widmore selber bei ihm auf, um ihn für die Kommando-Tour auf die Insel zu gewinnen. Widmore lockt ihn damit, dass er von der Insel geheilt werde, Eloise damit, dass es sie mit Stolz erfüllen würde, wenn er Widmore zusage.
1977
MILES: What the hell are you doing back here, Dan? Once you left for Ann Arbor, I figured you’d gotten rich, invented the DVD or something.
Faraday ist seit dem Ende der letzten Folge also in der 1977er Handlung angekommen, nachdem er nach Folge 5.08 zunächst spurlos verschwunden war. Er lässt sich von Miles zu Jack bringen. Dieser darf einige Suggestivfragen beantworten, damit Faraday ihn dann belehrt: Entgegen den Behauptungen seiner Mutter Eloise sei die Rückkehr zur Insel gar kein unausweichliches Schicksal gewesen, ätsch. »I got some bad news for you, Jack. You don’t belong here at all. She was wrong.«
Nach dieser Verkündung macht sich Faraday auf den Weg zur Orchid-Station. Die Szene aus 5.01 wird wiederholt, in der sich Faraday und Dr. Chang in der Nähe des Energiefeldes begegnen. Und dann (aaaaahh!) kommt der Unsatz aller Unsätze, gesprochen von Faraday: »I’m from the future.«
Und Chang lacht sich nicht kaputt darüber, sondern kuckt Faraday weiter ernst an. Dann will der kittelbewehrte Dharma-Wissenschaftler abhauen, doch Faraday bekniet ihn weiter. Um ihn auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen, spoilert er ihn sogar mit der Info voll, dass Miles sein Sohn sei (was ja nun wirklich obvious ist: »A Chinese man named Miles – the same name as your baby – shows up with me from the future. You really think this is all coincidence?«) Miles seinerseits streitet das dann ab, Faraday argumentiert weiter auf verlorenem Posten.
Schauplatz-Wechsel. Endlich ist auch Sawyer, der es sich in den 70ern so schön bequem gemacht hatte, zu der Erkenntnis gelangt, dass es an der Zeit sei, dem Dharma-Dorf den Rücken zu kehren. Ganz weg von der Insel oder bloß rein in den Dschungel, das ist die Frage. Zufällig taucht dann Faraday auf und verklickert allen, dass er die Hostiles finden muss, allen voran seine Mom, denn die sei »the only person on this island who can get us back to where we belong«. Sawyer, der ewige Wortspielheld, erwidert Richtung Faraday: »Your mother is an Other?«
Und wie so oft, wenn es handlungsmäßig voran zu gehen scheint, bilden sich zwei Lager. Das ist ein narratives Kontinuum bei »Lost« und auch eine der Stärken der Serie. Sawyer, Juliet, Miles und Hurley wollen jedenfalls nicht mit zu den Others und entscheiden sich, zurück zum Beach zu ziehen, »right where we started«.
Vor dem großen Aufbruch findet sich noch Zeit für ein kleines Zwischenspiel: Faraday spricht zu einem rotblonden Mädchen auf einer Schaukel. Es ist Charlotte, seine demnächst große Liebe. Er will sie warnen und sie auffordern, samt ihrer Mommy mit dem nächsten U-Boot die Insel zu verlassen. Er widerspricht sich damit selbst, seinem bisher ubiquitären Slogan »whatever happened, happened«. Jetzt heißt die Devise: »I didn’t think I could change things. But maybe I can.« Diese Aussage kommt nicht gerade gut motiviert daher, ein weiteres Indiz für die Beliebigkeit, mit der unserem schönen »Lost« dieses bescheuerte Zeitreise-Thema aufgebürdet wurde.
Aber egal, viel Zeit zum Reflektieren bleibt nicht, denn Radzinsky trifft ein und fragt die Aufbrechenden (Kate, Jack, Faraday), was da los sei. Eine wilde Schießerei setzt ein (endlich mal wieder Action), Faraday wird verwundet. Mit Ach und mit Krach entfliehen die Drei im hellblauen Dharma-Jeep. Radzinsky und seine Mannen ziehen indessen weiter zu LaFleur/Sawyer und entdecken dort den gefesselten und geknebelten Phil. Sieht schlecht aus für Sawyer & Juliet, aber dieser Handlungsstrang bricht hier erst mal ab, to be continued in der nächsten Folge.
Bei einer Rast im Dschungel hält Faraday dann eine Rede, in der er einen gut Teil des magischen Realismus der ersten drei Staffeln auf eine plausible »chain of events« zurückführt: In ein paar Stunden werde man bei der Swan-Station auf ein riesiges Energiefeld (»a massive pocket of energy«) stoßen, und deshalb werde der Hatch gebaut, und deshalb habe der Button gepusht werden müssen. Desmond werde ihn dann eines Tages vergessen zu betätigen, im September 2004, was zum bekannten Flugzeug-Crash führen werde. Und all das »is gonna start happening this afternoon. But – we can change that.«
Weil er von seinen artigen Zuhörern Jack und Kate nicht unterbrochen wird, ereifert sich Faraday immer weiter und ergeht sich dann Paolo-Coelho-haft in einer esoterischen Menschlichkeitssuada: »I forgot about the variables. Do you know what the variables in these equations are, Jack? Us. We’re the variables. People. We think. We reason. We make choices. We have free will. We can change our destiny.« So billig wird also die vormalige Direktive »whatever happened, happened« endgültig widerlegt. Und endlos gähnt das Murmeltier.
Faraday will nun das Energiefeld unter der Swan zerstören, und zwar mit der Jughead-Wasserstoffbombe aus Folge 5.03. Dann werde der Oceanic-Flug 815 auch nicht crashen, sondern vielmehr sanft in Los Angeles landen. Und »Lost« hätte es nie gegeben.
Der Plan wird jedoch erst mal volle Kanne durchkreuzt, denn als sich Faraday im Lager der Hostiles mit Waffengewalt Zugang zu seiner Mutter verschaffen will, wird er hinterrücks angeschossen – von seiner Mutter. Japsend, mit dem Tode ringend, versucht er ein letztes klärendes Gespräch mit ihr:
FARADAY: Eloise. You knew. You always knew. You knew this was gonna happen. You sent me here anyway.
ELOISE: Who are you?
FARADAY: I’m your son.
Bitte was? Das ist doch so ein abgrundtief schlechter Seifenopern-Satz, wenn irgendein neuer Charakter mit dem Presslufthammer ins Drehbuch geschrieben wurde, »I’m your son«. Nach dem vorhin gehörten Unsatz »I’m from the future« ist das dann gleich Faradays zweites Stil-Verbrechen. Mal sehen, was noch kommt, hehe.