Was haben die Basterds uns gebracht?

Hamburg, 9. November 2009, 08:00 | von San Andreas

»Inglourious Basterds« gab uns auf jeden Fall die Gelegenheit, wieder einmal David Bowies »Cat People« zu hören. Und das ist schön. Etwas unvermittelt bricht der Glamrock zwar ein in die späten Kriegsjahre, aber auf derlei sorglosen Eklektizismus muss man bei Tarantino ja gefasst sein. Seine Filme wähnt man an der Speerspitze moderner Filmkultur, stets erwartet man Neues, Großes. Doch was von den »Basterds« bleibt – zumindest für eine kleine Ewigkeit – tatsächlich hängen im kollektiven Filmgedächtnis?

Seit elf Wochen läuft der Film jetzt, über zwei Millionen Bürger wollten ihn sehen, allerorten war er der talk of the town. Wieland aus Dresden brachte es mit einem Hinweis auf die außerordentliche Beliebtheit der Basterds in Deutschland zum letter of the month in der (englischen) »Empire«. Und irgendjemand meinte, der Film wäre der beste des Jahres, neben »Frost/Nixon«. Really.

Nun sind die zahlreichen Vorschusslorbeeren gegessen, der Hype ist abgeflaut, die Sensation verblasst. Was übrig bleibt, ist der Film. Und bei Lichte besehen offenbart er doch die eine oder andere Schwäche.

Zum Beispiel die flatterhafte Ästhetik, ist die jetzt gut oder schlecht? Wir erleben ein Stelldichein der Genres, ein wildes Haschmich der Versatzstücke: Der Italo-Western geht auf im Zweiten Weltkrieg, »The Wild Bunch« trifft Grimms Märchen, Leone und Lubitsch geben sich die Klinke in die Hand, das Dreckige Dutzend erscheint im Smoking und macht auf witzig.

Anderen Regisseuren hätte man vorgehalten, sie wüssten zum Geier nicht, welchen Film sie denn nun drehen wollten, Tarantino hingegen wird postwendend ein genialer Stilmix bescheinigt. Na klar, er ist ein Profi, er hat so viel auf der Pfanne, er wird doch wissen, was er tut? Seeßlen schreibt stante pede ein ganzes Buch über den Film, erklärt das Durcheinander zur neuen Ordnung und pamphletisiert über einen neuen Antifaschismus. Gut, Kunst ist auch, was man draus macht. Schaut man sich aber die stilistische und narrative Geschlossenheit früherer Werke an, muss man sich schon wundern. Ziellos wirkt das, unausgegoren, beliebig.

Ein Glück, dass die Episoden in sich oft funktionieren, und siehe da: Ein paar davon gerinnen tatsächlich zu Kleinoden großer Filmkunst. Da gibt es unverschämt lange, meisterlich choreographierte Dialogpassagen, Kammerspiele, die ihre Kraft aus sich selbst heraus entwickeln, die in ihrer klaren Intuition einfach funktionieren, ohne Brimborium und Beiwerk. Sie sind unbestritten die Stärke des Films.

Und dann gibt es da noch das Brimborium und das Beiwerk. Als müsse Tarantino seinem Avantgarde-Ruf Genüge tun, verteilt er neckische Gimmicks im Film, die dessen ohnehin heterogenes Gerüst weiter fragmentieren; sie tauchen zu sporadisch auf, als dass sie ästhetisch Sinn ergeben würden. Da durchbrechen unversehens fremde Erzähler den Fluss, da blitzen Rollennamen in Exploitation-Gelb über Standbildern, da geben hibbelige Montagen überflüssige Hintergrundinformationen.

Den Einschub über das brennbare Filmmaterial zum Beispiel leistet sich Tarantino doch offenbar nur, um einen kleinen Hitchcock-Schnipsel unterbringen zu können. Ansonsten hatte der Dialog bereits klargestellt: Das Zeug brennt. Und wenn eine Rückblende das Publikum noch mit der Nase drauf stößt, dass es sich bei dieser jungen Frau eben um genau jenes Mädchen vom Anfang des Films handelt, spricht Tarantino dem Zuschauer wieder die Intelligenz ab, die er ihm während der ausufernden, ausgefeilten Dialogszenen unterstellt.

Selbige reißen selbstverständlich viel raus. Unvergessen bleiben wird der dräuende Wahnsinn der Auftaktszene im französischen Landhaus, der geniale Dialog, die schlichte Präzision. Selten war Tarantino ernsthafter, nie war seine Inszenierung profunder, feinfühliger, einnehmender. Der Zuschauer merkt sofort: Hier geht es um was. Das ist nicht der verspielte Tarantino, das sind keine coolen Ganoven, die »Seinfeld«-Dialoge zum Besten geben.

Hier versammelt sich die Essenz dessen, was »Inglourious Basterds« hätte sein können: eine feine Beobachtung des menschlichen Naturells, eine frische Analyse verkrusteter Rollenmuster. Die Eloquenz des Scheusals, die perfide Rhetorik des Bösen, die ewige Gefahr elitären Kalküls. Die Hybris seziert in Verbalpracht Marke Tarantino.

Aber ach, wie schnöde dann schon die nächste Episode, ihre stilistische Unvereinbarkeit kaschiert mit Schwarzblende und Zwischentitel. Die Basterds, dieses A-Team des Widerstands, werden vorgestellt, und der Film verfällt in tarantineskes Hommage-Potpourri, komplett mit markigen Dirty-Dozen-Sprüchen, Spaghetti-Musik und einer original Peckinpah-Zeitlupe.

Da sind auch drastische Bilder nicht weit. In Großaufnahme wird da skalpiert, ein Baseballschläger todbringend zweckentfremdet, Stirnpartien mit dem Dolch verziert. Dass eine komplette Szene ihre Spannung daraus bezieht, dass alsbald ein Schädel zerdroschen werden wird, ist nicht nur grundsätzlich fragwürdig, es ist auch nicht eben subtil. Unwillkürlich beschleicht einen das Gefühl, hier nicht der grausamen Realität des Krieges ausgesetzt zu sein, sondern den Ausgeburten des kranken Hirns des Regisseurs.

Warum der Mann seine Filme permanent mit ordinären Splatter-Effekten glaubt würzen zu müssen, ist anybody’s guess. Unablässig jubelt er dem Publikum Widerwärtigkeiten unter – stilvoll umgesetzt zwar, obszön nichtsdestoweniger. Statt effektivem Entsetzen bemüht Tarantino affektive Abscheu, und das ist immer die schlechtere Wahl. Das mag manch einem zwar gefallen, aber gefallen tut der Film an diesen Stellen in erster Linie sich selbst.

Und nebenbei – der riesige Aufwand, mit dem die Figur des Sgt. Donny »Bear Jew« Donowitz (Eli Roth, Großmeister des Torture Porn) eingeführt wird, rechtfertigt sein Nebenröllchen im Rest des Films in keiner Weise. Überhaupt besteht die komplette Mannschaft der Basterds aus uninteressanten Schergen-Schablonen; man fragt sich, wieso der Film nach ihnen benannt ist. Selbst ihr Anführer, Brad Pitt als Lt. Aldo Raine, gerät zur Kentucky-Karikatur, die Untertitel vermissen lässt und irgendwann auf die Nerven geht.

Tarantinos Augenmerk liegt vielmehr – kaum eine Überraschung – auf der Psychologie der Bösewichte. Allerdings interessiert er sich nicht für die seelischen Abgründe des Nazifaschisten im Speziellen; er spielt lieber mit der Idee des gewandten Gentleman-Gangsters, dessen einnehmendem, doch bösartigen Wesen. In dieser Rolle geht Christoph Waltz allerdings vollständig auf; seinen Hans Landa in einwandfreiem Französisch süffisant parlieren zu erleben ist allein das Eintrittsgeld wert.

Überhaupt ist Tarantinos Entscheidung, sämtliche Charaktere in ihren jeweiligen Mutter- und Fremdsprachen reden zu lassen, unbedingt zu begrüßen; sie sollte Schule machen. Dieser Kniff verleiht dem Film eine weltläufigen Charakter und gerade das Quäntchen Authentizität, das den meisten Tarantinos zuvor naturgemäß abging.

Bei allem Gerede über Tarantinos Beitrag zum Zweiten Weltkrieg muss man aber bedenken: Nicht die Weltgeschichte gab Tarantino dieses Sujet, sondern die Filmgeschichte. Den Titel von einer drittklassigen Ballerklamotte entliehen, ist es aber nicht einmal der Fundus der Kriegsfilme, bei dem er sich am meisten bedient; daher stammen nur die Uniformen und die groben Zusammenhänge. Der Rest fügt sich keinen Konventionen: Von Western bis Screwball kann alles passieren.

Es gelten nicht die Regeln des Krieges, sondern die Launen des Tarantino. Ihn interessieren keine Kampfhandlungen, die Front lässt er aus (sie kommt nur als Film im Film vor, eine feine Idee). Auch beklemmende Aspekte blendet er aus, die Opfer, die Lager, die Gräber. Trotzdem kommen natürlich Leute ums Leben. Doch sie werden nicht getötet; sie werden ermordet (wir erinnern uns an Lee Marvin in »The Big Red One«, der das Umgekehrte predigte). List und Tücke braucht es dazu, vieles ist Schauspiel, vieles ist Schein, es wird verkleidet, es wird enttarnt. Der Krieg als Spiel.

Wenn man denn will, kann man den Szenen schon einiges entnehmen, sagen wir Gedanken zu Rassismus und seiner Legitimation, zu Widerstand und Idealismus, zu Heldentum und Propaganda. Dennoch muss man konstatieren, dass es sich hier nicht um einen Kriegsfilm mit Tarantino-Touch handelt, sondern um einen Tarantino-Film im Kriegsgewand. So sucht sich auch des Regisseurs unbändige Liebe zum Kino gerade diesen Film aus, um unverblümter als sonst zutage zu treten; praktisch alle Beteiligten unterhalten sich über Filmkunst, eine Schauspielerin (hölzern: Diane Krüger) bildet die Schnittstelle zwischen Besatzern und Befreiern, und am Ende opfert Tarantino gar ein komplettes Lichtspieltheater für den guten Zweck.

Tarantinos Stilmittel ergeben im dennoch quasi-historischen Umfeld ungeahnte, durchaus erfrischende Effekte, vor allem da die geläufigen Rollenmuster bereits ungefragt einen Bedeutungsvorrat in den Film mitbringen. So birgt die Konstellation aus einer Jüdin, einem Nazi-Offizier und zwei Portionen Apfelstrudel mit Sahne automatisch ein hohes dramatisches Potenzial.

Das beutet Tarantino weidlich aus. Die Unwucht im besetzten Land entfacht Wut und Verzweiflung auf der einen, ein Gefühl der Überlegenheit auf der anderen Seite. Und so entladen sich scheinbare Alltagssituationen – es wird geplänkelt und gespielt, gegessen und getrunken, man geht ins Kino – nach einem Suspense-Anlauf regelmäßig in Salven von Gewalt. Ein effektives, wenn auch zu oft bemühtes Rezept.

Als das Blatt sich wendet, erweist sich die eisenharte Ideologie des Berufszynikers Landa auch nur als ein Ideenkorsett, das man abstreifen kann, wenn die Situation es gebietet. Das ist nur zu menschlich, schließlich ist jedem Individuum von Natur aus ein gewisser Eigennutz mitgegeben. Landa erhält trotzdem seine Strafe, genauso wie die komplette Führerriege. Das Attentat gelingt, das Gemetzel des großen Showdowns reißt Hitler und Kollegen mit in den Tod, Stauffenberg hätte seine Freude gehabt.

Viel bewundert wurde Tarantinos Chuzpe, dem tatsächlichen Verlauf der Geschichte keinen Respekt zu zollen. Nun ist es nicht so, als würden wir Zeuge der epochalen Loslösung vom Diktat der Historie. Jede alternate history bringt bessere Einsichten als dieser utopische Schlenker (Stephen Fry beispielsweise macht in »Making History« Hitlers Geburt ungeschehen, mit erstaunlichen Konsequenzen). Das Besondere liegt in der Art und Weise, wie Tarantino den Führer abtreten lässt. Den Film über auch kaum mehr als eine geifernde Fratze, gönnt er ihm keinen großen, seiner historischen Bedeutung gebührenden Abgang. Hitler geht am Ende einfach mit drauf, fertig.

Und dafür haben wir Tarantino gern. Er hat immer noch eine Überraschung im Ärmel, und seine sichere inszenatorische Hand hebelt so manche kleinliche Krittelei aus. »Inglourious Basterds« wäre sein bester Film seit »Pulp Fiction«, stand zu lesen. Mag sein. Mit Sicherheit der interessanteste. Sein Name steht für inspiriertes Spartenkino, für perfekt gemachten Trash, für explizite, aber ästhetisierte Gewalt. Er erhob das Filmzitat zur Kunstform, betrieb Genrelifting in großem Stil und gab dem Kino so manchen revitalisierenden Impuls.

Freilich trägt er die Narrenfreiheit, die er genießt, bisweilen vor sich her, und so trübt die »Basterds« eine gewisse Selbstgefälligkeit. Tarantino pflegt seinen Ruf als Filmbesessener, bauchpinselt die Kritik mit Referenzen auf teutonische Filmkunst, wobei die Hälfte der Zuschauer mit Jannings, Pabst und Piz Palü wohl kaum noch etwas anzufangen weiß. Das ist trotzdem ganz neckisch; ärgerlicher ist die sprunghafte Ästhetik des Films, er changiert entschlusslos zwischen Drama und Schenkelklopfer, und die willenlos verteilten Avantgarde-Streusel stören eher als dass sie helfen.

Aber. Das historische Setting lässt Teile des Films eine Resonanz entwickeln, die man bislang selten bei Tarantino fand (ob diese Resonanz nun gewollt ist oder nicht). Sein Sinn für astreinen Dialog und punktgenaue Figurenzeichnung sowie das exzellente Spiel besonders der deutschen Kollegen verhelfen einigen Konfrontationen, die in unkonventioneller, fast theatralischer Breite angelegt sind, zu einer Qualität, die den Selbstzweck anderer Passagen zu überstrahlen vermag. Eine richtige Balance stellt sich aber nicht ein (wie sie z. B. Peckinpahs »Cross of Iron« – ebenfalls um Deutsche, ebenfalls teilweise übersteigert – noch erreicht).

Letztenendes mag der Film nicht mehr sein als die Summe seiner Teile, doch bleibt er einer der lohnenderen und unterhaltsamsten des Sommers. Erleuchtung und Erlösung darf man nicht erwarten, und auch das große Kriegsabenteuer, das der reißerische Trailer augenzwin­kernd versprochen hatte, fand nicht statt – was gut ist. Die Scharte der »Death Proof«-Fingerübung haben die »Basterds« indes ausgewetzt, denn zwischen heiterem Filmrecycling und traditionellen Gewaltausbrüchen rutscht Tarantino hier tatsächlich auch großes Kino raus.

3 Reaktionen zu “Was haben die Basterds uns gebracht?”

  1. Cobalt

    Ich hab den Film leider erst ein mal gesehen und das ist auch schon wieder über 2 Monate her, von daher wage ich mir keine Kritik zu IB. Ich glaube das Traurige an Tarantinos Filmen ist, daß man sie als Laie (als den ich mich wohl bezeichnen muß) nie wirklich voll versteht. Zu viele filmhistorische Reminiszenzen sind dort „versteckt“, die, wenn man sie versteht, sicher nochmal ein ganz anderes Filmerlebnis vermitteln. So muß ich sagen, daß der Film auf jeden Fall eine Wohltat im Filmeinerlei darstellt. Ihn als besten Tarantino-Film seit Pulp Fiction zu bezeichnen würde aber m. E. Kill Bill unrecht tun. Btw: Wenn Christoph Waltz nicht den Nebenrollen-Oscar bekommt, wäre das glatt ein Skandal.

  2. Lomexx

    Tja, Sa Andreas, „Was haben die Basterds uns gebracht?“ – das ist wahrhaftig eine gute Frage. Leider bleibt der Beitrag die Antwort aber schuldig: Lohnend und unterhaltsam ja, aber auch stilistisches Stückwerk und überhaupt, die einen sagen so, die anderen so, mag sein, vielleicht, wer weiß… Ähnlich wie IB mit dem Stempel „Weltkriegsepos“ eher nicht gedient ist, sollte ein Beitrag wie dieser nicht gleich anmaßend als Definition dessen deklariert werden, wie dereinst die Filmhistoriker urteilen werden. Das führt dann notwendig zu enttäuschten Lesern. Leider verhoben – Thema verfehlt.

  3. San Andreas

    @ Cobalt: Ohne Waltz könnte der Film tatsächlich einpacken. Auch ungewöhnlich, dass ein Tarantino so sehr von einer Einzelleistung zehrt…
    @ Lomexx: Ach naja. Niemand hat die Deutungshoheit. Weder dieser Beitrag, noch Fans, noch Filmhistoriker dereinst. Den Nimbus »Meisterwerk«, wenn es so was denn gibt, verdient sich ein Film konsensmäßig im Diskurs: er wird geliebt und geschätzt. Nun wird alles, was geliebt wird, auch *über*schätzt. Was nicht schlimm ist, denn was ist Kino ohne Begeisterung und Schwärmerei. Ein halbwegs nüchterner Blick (wenn man sich als Rezensent die schier überbordende Begeisterung kurz mal verkneift) ergibt indes keine runde Beurteilung, denn der Film ist nicht rund. Hat Stärken und Schwächen, Tarantino hin oder her. Das ist alles.

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