25 Jahre Coen-Kino (4):
Barton Fink (1991)
Hamburg, 6. Februar 2010, 08:10 | von San Andreas
Coen Country. Die Geschichte spielt 1941 in Hollywood. Die Schauplätze verbreiten typisch amerikanische Schmuddel-Tristesse auf der einen, elitäre Dekadenz auf der anderen Seite: eine Ausstattungsspielwiese für die Coens.
Coen Klüngel. John Goodman (Charlie Meadows), John Polito (Lou Breeze), Steve Buscemi (Chet!), John Turturro (Barton), Tony Shalhoub (Ben Geisler), John Mahoney (W.P. Mayhew), Carter Burwell (Musik), Roger Deakins (Kamera)
Coen Quote. »I’ll show you the life of the mind!« (Charlies Frust entlädt sich in einer wahren Apokalypse)
Coen Gold. Die Rezeptionsglocke. Barton kommt in L.A. an, betritt die riesige Lobby des Earle Hotels. Niemand ist an der Rezeption, er betätigt die Glocke, »Rinnnng!«, und schaut sich um. Bald hört man ein Rumpeln, hinter der Theke öffnet sich eine Bodenklappe, und der Hotelangestellte erscheint. Das erste, was er macht: Er führt seinen ausgestreckten Zeigefinger an die Glocke und lässt den Ton verstummen, dessen man sich – nach exakt achtunddreißig Sekunden – schon gar nicht mehr bewusst war.
Classic Coen? Die Tatsache, dass Joel und Ethan das Skript zu »Barton Fink« während einer Art Schreibblockade bei den »Miller’s Crossing«-Sessions verfassten, wirft ein interessantes Licht auf den Film. Es erklärt zum einen, dass die Story sich um einen schreibblockierten Filmautor dreht, und zum anderen, dass der Film – ganz im Gegensatz zu »Miller’s Crossing« – keinen Genre-Regeln gehorcht, sondern völlig losgelöst in einer freien, kreativen, und vor allem: coenesken Form aufgeht.
Es ist der erste Film, der einen unverstellten Blick auf die Essenz des Coen-Kinos erlaubt. Weder stützt er sich auf klassische Stoffe der Literatur (Dashiell Hammett im Falle von »Miller’s Crossing«) noch baut er auf Genre-Prototypen auf (»Blood Simple.« als Neo Noir). Er verfolgt auch nicht die Slapstick-Marschrichtung, die »Raising Arizona« eingeschlagen hatte. Das Talent der Coens schlägt sich nicht in Lachern nieder. Ihr Metier ist die Irritation. »Barton Fink« ist ein irritierender Film, ein Unikum, ein absonderliches, faszinierendes Stück Kino.
Seine Wirkung entfaltet sich unterschwellig. Subtile Abweichungen von der Norm verleihen Szenen und Einstellungen einen Ausdruck, von dem man nicht genau weiß, ob er komisch sein soll oder unheimlich. Der Page nennt seinen Namen eben nicht ein- sondern zweimal, schiebt sogar noch ein Kärtchen über die Theke (»CHET!«), auf dem das Ausrufungszeichen allein äußerst befremdlich ist. Der Fahrstuhlwärter wartet zwei beunruhigende Sekunden, bevor seine halbtote Stimme knarrt: »Next Stop. Six.« Und oben wieder: »This Stop. Six.«
Barton betritt das Zimmer, legt seinen Koffer auf das Bett. Für diese vermeintliche Lappalie reservieren die Coens eine eigene Einstellung, die nur den Koffer zeigt. Er sinkt tief in die Auflagen ein – entweder ist das Bett sehr, sehr weich oder der Koffer sehr, sehr schwer. Worauf es ankommt, ist, dass die Regie uns dieses Detail bewusst wahrnehmen lässt. Und es ist diese Sorgfalt im Detail, die den Charme eines Coen-Films ausmacht. Bei Joel und Ethan zählt jede Einstellung.
Durch den Filter einer Coen-Inszenierung erreicht uns das, was Barton Fink dämonisch und alptraumhaft vorkommen muss, als skurril und eigenwillig, sicher auch als ein wenig beklemmend, aber unbedingt als originell, weil wir es mit anderen Filmerfahrungen abgleichen. Wir spüren das Augenzwinkern, den spielerischen Wink der Macher in Richtung Publikum, nehmen den Film aber gleichzeitig als integre Story wahr, als durchaus grüblerische Auseinandersetzung mit gleich einer Reihe von Themen. Es geht um soziale Kluften, es geht um Geltungsbedürfnis und fehlgeschlagene Kommunikation, es geht um das Geheimnis des kreativen Prozesses, um falschen Idealismus, um Entzauberung und Reinwerdung. Die dargestellten Absurditäten im Hollywoodbetrieb, zum Beispiel dessen herrliche Obsession mit ›Wrestling Pictures‹, sind satirisches Zubrot.
So existentialistisch manche dieser Themen auch anmuten: Sie zielen nach innen. »Barton Fink« ist kein Moralstück, kein Lehrwerk mit Zeigefinger; seine Substanz überlagert die Handlung nicht in Metaebenen und Symbolen, sondern ist tief darin verflochten, liegt in der Natur der Sache; der Zuschauer mag sie herausziselieren oder nicht. So kommt es, dass »Barton Fink« wie viele andere Coen-Filme eine angenehme Zurückgenommenheit ausstrahlt und weder schreit »Ich bin Film!« noch »Ich bin Kunst!«
Dass er dennoch beides ist, ist zweifellos ein Glücksfall fürs Kino. Der Nimbus des Films ist nicht der eines Meisterwerks, aber was sonst ist ein Film, in dem alles stimmt? Sämtliche Elemente greifen reibungslos ineinander: die superben Dialoge, die morbide Ästhetik der Bilder (Roger Deakins, wer sonst), die spukhaften Akzente des Sounddesigns (der Luftzug beim Schließen von Bartons Tür), die melancholischen Musikfetzen, das gemessene Timing der Montage, die authentische Ausstattung (der Film spielt fünfzig Jahre in der Vergangenheit), nicht zuletzt das göttliche Schauspiel von Goodman und Turturro.
Trotzdem ist der Film nicht jedermanns Sache. Joel sagte selbst: »People might be put off by it if they think they’re going to see a straight comedy.« Der Film startete in den USA auf nur elf Leinwänden, spielte seine Kosten niemals ein. Amerika war nicht reif für einen echten Coen. Anders sah es in Europa aus: Der Film holte 1991 postwendend die Goldene Palme. Ohne Gegenstimme. Ebenso die Preise für den besten Schauspieler und die beste Regie.
Jury-Vorsitzender war Roman Polanski, mit dessen klaustrophobischen Werken »The Tenant« und »Repulsion« der Film der Coens interessanterweise das Person-in-einem-Raum-Thema gemein hat. In Interviews gaben sich die Coens gewohnt zurückhaltend und unpräzise. Ihr Film hätte keinen tieferen Sinn, die zweideutigen Dinge aufzuklären würde keine Punkte bringen, hehre Botschaften und gesellschaftliche Relevanz, das wären ihre Interessen nicht.
Welch köstliche Ironie, dass es genau diese Motive sind, die ihren Charakter Barton Fink antreiben. Er zieht aus, um kreativ für die Gemeinschaft tätig zu sein, begibt sich aus freien Stücken in die Hölle, erweist sich aber als vollkommen unfähig, sich in die Welt des kleinen Mannes einzufühlen. Der kleine Mann, er kommt in Gestalt eines ziemlich großen Mannes daher (John Goodman in einer maßgeschneiderten Rolle), und der ist es auch, der Barton am Ende die Quittung für seine Heuchelei ausstellt.
Da wird der Film zum Malstrom ungeheuerlicher Ereignisse, der Zuschauer schwimmt wie in Trance mit. Wir erleben Barton Finks privaten kleinen Weltuntergang, und als das Inferno abebbt, bleibt er am Strand zurück, irgendwie geheilt und geläutert. Die Welt ist kaputt, der Mensch ist schwach, doch was weiß er schon; es ist einfach ein zu weites Feld. Aber ist es nicht schön, hier am Strand?
Coen Culture. In Preston Sturges‘ Film »Sullivan’s Travels« (1941) verfolgt Starregisseur Sullivan ähnlich idealistische Pläne wie Barton Fink: Einen erdverbundenen, sozialkritischen Film will er drehen, angesiedelt in den Niederungen des Fußvolks. Anders als Barton erkennt der prätentiöse Regisseur aber, dass er keinen Draht zu den Problemen des Mannes auf der Straße hat und besser doch die Auftragswerke seiner Bosse akzeptiert, die dem Volk offenbar so viel bedeuten. Der Titel seines ungedrehten Films: »O Brother, Where Art Thou?«
Am 1. März 2015 um 14:00 Uhr
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