25 Jahre Coen-Kino (7):
The Big Lebowski (1998)

Hamburg, 9. Februar 2010, 07:36 | von San Andreas

The Big Lebowski (Icon)

Der Teppich von Jeffrey »The Dude« Lebowski nimmt Schaden, als er mit einem Millionär gleichen Namens verwechselt wird. Bei dem Versuch, sich das gute Stück wiederzubeschaffen, gerät er prompt in eine bizarre Kidnapping-Geschichte und benötigt die volle Unterstützung seiner Bowling-Kumpels.

Coen Country. Das L.A. der frühen 90er Jahre. Nicht wirklich eine typische Coen-Location, möchte man meinen, aber die Tempel der kleinbürgerlichen Bowling-Subkultur und die Gefilde der Haute-Volée erinnern an »Barton Finks« mal schmuddelig-beengten, mal weitläufig-hellen Schauplätze. Und das war auch L.A.

Coen Klüngel. John Goodman (Walter Sobchak), Steve Buscemi (Donny), John Turturro (Jesus Quintana), Peter Stormare (Uli Kunkel alias Karl Hungus), John Polito (Da Fino), Carter Burwell (Musik), Roger Deakins (Kamera)

Coen Quote. »You’re entering a world of pain.« (Walter lässt beim Bowlen nicht mit sich spaßen)

Coen Gold. Die Traumsequenzen. Die eine scheint direkt einer Choreografie von Tanzveteran Busby Berkeley entsprungen, die andere lässt über L.A. Teppiche fliegen, und eine weitere beinhaltet die wohl einzige Kamerafahrt der Filmgeschichte aus dem Innern einer Bowlingkugel. Womöglich waren es diese Sequenzen, die den Film bei Psychedelia-Enthusiasten so beliebt machten.

Classic Coen? Wer denkt bei »Lebowski« schon an Raymond Chandler? Niemand tut das, und doch liegt diesem durchgeknallten Film eine Story in seinem Geiste zugrunde. Und tatsächlich, durch die Marihuana-Wolken hindurch erkennen wir einen Kriminalfall in aristokratischen Kreisen, wir haben auch perfide Gangster und jede Menge Verwicklungen. Und – wir haben einen Detektiv.

Natürlich wären die Coens nicht die Coens, wenn sie sich für diesen Job nicht den unpassendsten, den am allerwenigsten dafür prädestinierten Zeitgenossen ausgesucht hätten: Jeff Lebowski, einen schlabberigen, schnodderigen Taugenichts in Bademantel und Flip-Flops, längst eine Ikone der Populärkultur. Seinen Einstand gibt er im Supermarkt, an der Milchpackung nippend, mit einem Scheck über 69 Cent bezahlend. Alles klar.

Kurz darauf fängt der Film an, absonderliche Haken zu schlagen, und der Dude, so nennt ihn alle Welt, wurschtelt sich durch einen wunderbar überfrachteten Plot, der am Ende keinen interessiert, der im Grunde auch nicht wichtig ist (Wer hat bitteschön die Zusammenhänge in »The Big Sleep« verstanden? Nicht mal Chandler hat das, nach eigener Aussage …). Der Plot dient nur als Substrat, auf dem aberwitzige Situationen gedeihen, in denen sich unsere Helden bewähren müssen.

Die Coens lassen diesbezüglich sämtliche Bremsklötze sausen, nichts gebietet ihren Passionen Einhalt, das Skurril-O-Meter erreicht den Anschlag. Doch die Exzentrik artet nicht in Beliebigkeit aus. Sie vermittelt bei allem Geigel immer noch kohärente Klasse, sie hält Kontakt zur den Charakteren und ihren Motiven. So kann man als Zuschauer eine Verbindung mit dem Film knüpfen. Und einen Film, dem die Leute sich tief verbunden fühlen, und der dabei einzigartig andersartig ist, nennt man Kult. »The Big Lebowski« ist ein Kultfilm geworden, aber ein richtiger, und niemand war überraschter darüber als Joel und Ethan Coen. Bis heute finden in den Staaten jährliche Lebowski-Festivals statt, selbst im weit entfernten Dresden gibt es eine Lebowski-Bar mit dem Film in Dauerscheife und White Russian satt.

Wie kann ein Film, in dem es um nichts geht, so vielen Menschen so viel bedeuten? Nun, Seinfeld war bekanntermaßen auch eine »show about nothing«; bei »Lebowski« treffen wir auf dasselbe Phänomen: eine grundsympathische Sinnfreiheit. Wobei, nihilistisch ist der Film nicht, auch nicht fatalistisch. Seine Figuren haben immer noch Werte und Eigenschaften, die das Publikum wiedererkennt. Die Weltsicht des Films bringt gewisse, universale Saiten zum Schwingen.

Der Dude ist in seiner gut abgehangenen Art einfach unfasslich cool; im Lexikon müsste unter ›easy-going‹ ein Bild von ihm sein. Niemanden stört es, dass diese Coolness nicht von einer intellektuellen oder psychologischen Überlegenheit herrührt, sondern von grenzenloser Ignoranz und Verantwortungslosigkeit. Sein Verhältnis zu Walter, einem hitzköpfigen Kriegsveteran, gleicht dem eines streitbaren Ehepaares, und irgendwo ist es sehr berührend. Die Dinge werden bis an die Schmerzgrenze zerredet, Phrasen werden gedroschen, dass es eine Freude ist, und das Temperament Walters führt das sonst so gleichgültige Wesen des Dudes ein ums andere Mal an den Siedepunkt. Aber irgendwie verstehen sich die beiden.

Die Diskussionen in der Bowlinghalle sind kolossal banal; hier wird in großem Stil aneinander vorbeigeredet. Dann wieder erwecken Walters Kriegshintergrund und die Referenzen auf den gerade stattfindenden Golfkrieg den Eindruck, hier versteckten sich politische Doppelböden. Mitnichten. Aber die Sprüche kommen uns bekannt vor. Sie klingen echt, die Leute reden so, vielleicht reden wir selbst sogar so. Und das ist so erschreckend wie amüsant.

Wie derlei freidrehende Dialoge, solche farbigen Charaktere und das undurchdringliche Story-Konvolut entstanden sind, mag man sich gar nicht vorstellen; offenkundig wurden Joel und Ethan oft gefragt, was genau sie während der Drehbuchsessions geraucht oder getrunken hätten. Doch wie es Art der Coens ist, wurde auch »The Big Lebowski« am Reißbrett entworfen; die Parts von Steve Buscemi (Donny, dem es kaum vergönnt ist, einen Satz zu vollenden), John Goodman (Walter »Shut the fuck up Donny.« Sobchak) und John Turturro (Jesus Quintana, schmieriger Paradiesvogel) wurden beispielsweise extra für diese Schauspieler geschrieben.

Das Skript aber entwickelt ein Eigenleben. Der Aberwitz der Situationen überlagert schnell ihren Zusammenhang; Logik und Stringenz treten konsequent zurück hinter das Zelebrieren der flüchtigen, merkwürdigen Momente. Niemand wird je wissen, wie das Match von Dude & Co. gegen die Mannschaft von Jesus Quintano ausgegangen ist. Ebenso wenig erfährt der Film ›closure‹, indem der Dude am Ende mit seinem alten Teppich wiedervereint wird (ein Vorschlag des Produzenten, dem die Coens jedoch nicht folgten). Und der altgedienten Raspelstimme Sam Elliot (›The Stranger‹) konnten Joel und Ethan keine wirklich befriedigende Auskunft erteilen, als der fragte, was er in dem Film eigentlich soll.

Seine erdige Erzählerinstanz hat die Story ebenso wenig im Griff wie wir, vermag aber zusammenzufassen, was wir fühlen: »It’s good knowin‘ he’s out there. The Dude. Takin‘ ’er easy for all us sinners.« Das Ende eines Films, dessen bunte und dunkle Elemente sich zu einem einnehmenden Ganzen zusammengefügt haben, wie durch ein Wunder sämtliche Klischees umschiffend, alles getaucht in wunderbare Bowling-Romantik, meisterhaft fotografiert von Roger Deakins (bereits sein vierter Film mit den Coens) und stilecht untermalt mit Feelgood-Stücken von Kenny Rogers, CCR und den Gipsy Kings.

»The Big Lebowski« mag ein Film sein, in dem es um nicht viel geht, aber was wäre das Kino der Neunziger ohne ihn? Er füllt seine eigene Nische, etabliert seine eigene Ästhetik, er hat keine Vorgänger, er hat keine Nachfolger. Heerscharen von Fans ist seine schräge Attitüde profund genug, sie hat etwas Anarchisches, gleichzeitig etwas Sorgloses. Aber wahrscheinlich möchten sie einfach nur sein wie der Dude – und wer möchte das nicht. Jemand, dessen einziges Problem sein kleiner Teppich ist. Denn der hat das Zimmer erst richtig gemütlich gemacht.

Coen Culture. Steve Buscemi feiert hier seinen fünften (und vorerst letzten) Auftritt in einem Coen-Film, und wie Joel und Ethan im Making-of auffällt, haben sie ihn in jeder seiner Rollen sterben lassen (außer in den kleineren Parts in »Barton Fink« und »The Hudsucker Proxy«). Und nicht nur das: Seine Überreste würden kurioserweise mit jedem Film kleiner. In »Miller’s Crossing« endet er als verunstaltete Leiche im Wald, in »Fargo« haben wir ein halbes Bein, in »Lebowski« nur noch Asche.
 

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