25 Jahre Coen-Kino (10):
Intolerable Cruelty (2003)

Hamburg, 12. Februar 2010, 07:52 | von San Andreas

Intolerable Cruelty (Icon)

Miles Massey, ein so wohlhabender wie erfolgreicher Scheidungsanwalt, sucht eine neue Herausforderung und findet sie in Form von Marilyn Rexroth, der faszinierenden Frau eines Klienten. Er besiegt sie vor Gericht, doch man trifft sich immer zweimal im Leben. Oder dreimal, oder viermal …

Coen Country. L.A., die Sphäre der Reichen und Schönen. Schon einmal besucht in »The Big Lebowski«, doch diesmal ohne den Gegenpart des einfachen Volkes.

Coen Klüngel. George Clooney (Miles Massey), Billy Bob Thornton (Howard D. Doyle), Richard Jenkins (Freddy Bender), Carter Burwell (Musik), Roger Deakins (Kamera) n Tolliver), Michael Badalucco (Frank), Billy Bob Thornton (Ed Crane), Richard Jenkins (Walter Abundas), Tony Shalhoub (Freddy Riedenschneider), Carter Burwell (Musik), Roger Deakins (Kamera)

Coen Quote. »I guess something inside of me died when I realized that you’d hired a goon to kill me.« (Miles Massey gibt den Nachtragenden)

Coen Gold. Vor Gericht. In den Zeugenstand wird gerufen: Heinz, the Baron Krauss von Nespy. Alles geht gut, bis der Mann zu reden anfängt. Die Szene gehört zum laughing-out-loud-lustigsten, das die Coens je auf Film gebannt haben.

Classic Coen? Was war da los im Coen Camp? Die Brothers schickten sich an, zum ersten Mal eine Geschichte zu verfilmen, die nicht auf ihrem Mist gewachsen war. Auch das Drehbuch schrieben sie nicht allein, offenbar eine romantische Komödie wie Hollywood sie am Fließband produziert. »Intolerable Cruelty« machte den Anschein eines richtigen Rendezvous mit dem Mainstream. Ist der Film dennoch ein echter Coen geworden? Und wenn nicht, ist es wenigstens ein guter Film?

Die Gelehrten streiten sich. Kritikerpapst Ebert sieht den angeblichen Anspruch des Films, eine gute alte Screwball Comedy zu sein, nicht eingelöst und bejammert ein Zuviel an Ironie, ein Zuwenig an Gefühl. Damon Wise (Empire) wiederum geht das Herz auf angesichts dieses (seiner Ansicht nach) zünftigen Coen-Cocktails und gibt die Höchstwertung.

Abgesehen davon, dass es keine Wahrheit gibt: Sie liegt in der Mitte. Der Film ist weder eine astreine Screwball Comedy noch ein waschechter Coen, sondern eine kuriose Mischung, die zunächst beide Erwartungen enttäuschen muss. So schnitt der Film bei Kritikern, vor allem aber bei Fans nicht sonderlich gut ab; viele nahmen den Coens die offensichtliche Anbiederung an den sogenannten Massengeschmack richtiggehend übel.

Weniger kategorische Zeitgenossen, so liest man in den Foren, haben inzwischen allerdings eingestanden, dass der Film so schlecht gar nicht wäre, und vor allem, dass es einer jener Filme zu sein scheint, die mit jedem wiederholten Ansehen gewinnen. Die knackigen Dialoge sind von zeitlosem Esprit, das Schauspiel schlicht makellos, und dazwischen schälen sich doch etliche subversive Elemente heraus, die »Intolerable Cruelty« angenehm vom seichten Rom-Com-Einerlei abheben.

Wie der Film die Unbilden des kalifornischen Scheidungsrechts anpackt, mit mythischen, unknackbaren Eheverträgen spielt und Heiratsschwindel zur Kunstform erhebt, das demonstriert durchaus satirische Treffsicherheit. Bisweilen lässt sich auch die düstere, herrlich überspitzte Ästhetik blicken, die seinerzeit »The Hudsucker Proxy« veredelt hatte: Die Darstellung des auf dem letzten Loch pfeifenden Kanzleichefs ist eine einzige, respektlose Karikatur.

Freilich windet sich manch gestandener Coen-Enthusiast, wenn Massey dann mit einem flammenden Plädoyer für die Liebe eine allzu schablonige Charakterwandlung durchmacht, freut sich aber gleich in der Szene darauf, dass der Star-Advokat unversehens wieder der Gelackmeierte ist und der Schlagabtausch der Geschlechter in die nächste Runde hastet.

Mit dem Auftritt eines tumben, derangierten Killers werden die üblichen Muster der ›Romantic Comedy‹ endgültig unterlaufen, und jener Mann findet auf so schockierend lustige Weise sein Ende, dass die Coen’sche Vaterschaft dieser Figur kaum mehr geleugnet werden kann.

Großes Kapital schlägt der Film aus George Clooneys köstlicher Vorstellung. Eine Miene wie seine, die auch ohne Mimik stark an Ausdruck ist, erreicht durch das kleinste Zwinkern, Rümpfen oder Zucken eine große Wirkung, und Clooney bedient seine Gesichtsmuskulatur mit punktgenauem komödiantischen Gespür.

Ähnlich wie sein Charakter in »O Brother, Where Art Thou?« obsessiv um seine Haarpracht besorgt war, achtet Miles Massey auf seine makellose Zahnlandschaft. Schnell noch die Beißerchen im Silberlöffel kontrollieren, bevor das Date aufkreuzt! Allein dieser kleine Tick haucht dem eigentlich abgebrühten Anwalt mühelos Leben ein, und es ist dies ein typischer Coen-Kniff (Clooneys Rolle in »Burn After Reading« wird sich sehr für Körperertüchtigung und Fußbodenbeläge interessieren).

Clooneys charmante Präsenz wird gerne mit der eines Cary Grant oder eines Clark Gable verglichen, und das ist nicht weit hergeholt. Auch die Chemie mit der bezaubernden Catherine Zeta-Jones lässt das Prickeln der Klassiker mit Hepburn & Co. wieder aufleben. Wie sagt man? Es knistert. Beim Knistern aber lassen es die Coens bewenden, der Film wagt sich nicht in die Gefilde herzerfüllten Liebestaumels.

Das rief jene Kritiker auf den Plan, die den Coens seit »The Hudsucker Proxy« vorhalten, eine gemütsarme (manche sagen: zynische) Distanz zu ihren Charakteren zu kultivieren, die es dem Publikum erschweren würde, sich für diese zu erwärmen. Tatsächlich bleiben die romantischen Wellenlängen in »Intolerable Cruelty« zugunsten ausgedehnten Umeinanderherumtänzelns relativ kurz. Die Wärme, die Screwball-Klassiker von Lubitsch, Hawks oder Wilder trotz aller Hektik erfüllt, weicht bei den Coens oft genug einer ironischen Grundstimmung.

Das mag der intellektuellen, penibel planhaften Herangehensweise der Coens geschuldet sein und eine serienmäßige Unzulänglichkeit darstellen, die sie sich teilweise tatsächlich vorwerfen lassen müssen. Allerdings steht die Coen’sche Kühle einem Film wie »The Man Who Wasn’t There« zum Beispiel gerade gut zu Gesicht, und auch im Fall von »Intolerable Cruelty« ist sie kein so großer Makel. Im Gegenteil, sie rettet den Film vor der Schublade der Rom-Com-Strohfeuer. Er ist so smart wie seine Charaktere, und er kommt sehr gut ohne klebrigen Herzschmerz aus.

Das ließ »Intolerable Cruelty« den Test der Zeit bestehen. Er gilt heute als inspirierter, blitzgescheiter Wildfang von Film, der nur deswegen dem Mainstream nahesteht, um damit Schabernack treiben zu können.

Versetzt man sich aber für einen Moment noch einmal in die heulende Fan-Meute von damals, für die allein das Happy End des Films, das sogar so etwas wie eine lebensbejahende Moral ausstrahlt (einem Konzept, das dem Coenversum bislang gänzlich fremd war), ein Zeichen für den Ausverkauf der Coen-Brothers war, ist ihre Enttäuschung durchaus nachzuvollziehen. Schlimmer konnte es gar nicht kommen.

Well, well. Wie man sich doch manchmal irren kann.

Coen Culture. Der Schauspieler, der den Schauspieler spielt, der neben Billy Bob Thornton in der Arztserie auftaucht, kommt einem nicht von ungefähr bekannt vor. Das ist Bruce Campbell, seit Raimis »Evil Dead«-Trilogie ewiger B-Movie-Star und Mittelpunkt kultiger Verehrung (seiner markanten Kinnpartie wegen bisweilen ehrfürchtig ›His Chin-Ness‹ genannt). Sein Auftritt ist kein Einzelfall; man erlebt ihn auch als Reporter in »The Hudsucker Proxy«, als Seifenopern-Darsteller in »Fargo« und als Tierschutzbeauftragten in »The Ladykillers«.
 

3 Reaktionen zu “25 Jahre Coen-Kino (10):
Intolerable Cruelty (2003)”

  1. erz

    Sehr schön, ich dachte schon, die ewige Wiederkehr des Makels, den die Coens ihrem Stardarsteller angedeihen lassen, würde nicht mehr erwähnt. Davon ist nicht nur Clooney betroffen, auch wenn es bei ihm am Deutlichsten auffällt. Ich habe dank der Coens einen mir völlig unbekannten Tom Hanks hassen und dadurch den bekannten Hanks fast wieder lieben gelernt. Dekonstruktivismus von Stardom. Coen-Gold.

  2. Christian

    Intolerable Cruelty war für mich der Anfang des Niedergangs der Coens (in dessen Mitte mit No Country For Old Men seltsamerweise ihr perfektester Film gelang). Ladykillers und Intolerable… sind sicher die schwächsten Filme im ganzen Coen-Werk, Read After Burning ein netter Witz für eine Nacht und A Serious Man zwar gut, aber eben auch im Ganzen nicht auf früherem Niveau.

  3. Filmcomposer

    ich bin echt traurig, dass niemand wahrnimmt, wir gerade mit „A Serious Man“ die Coen Sprache zu ihrer absolut unerreichbaren Höchstform gekommen ist, soviel subtiler Humor, soviele >greifbare< Philosophie, soviel spielerisch vorgetragener Tiefgang…! Als Filmmusik-Komponist, der in drei Ländern Kino und TV macht, bin ich nur mächtig traurig, dass ich wohl nie so ein Meisterwerk unter die Finger kriegen werde…

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