Kulinarische Literaturkritik
Konstanz, 1. März 2010, 08:15 | von MarcuccioAuch schon vor Jürgen Dollase gab es sensationelle Geschmackserlebnisse im Feuilleton. Darauf weist Michaela Köhler hin, in ihrer jetzt nicht neuen, aber immer noch einzigartigen Arbeit zur Sprache der Literaturkritik. Ihr Thema u. a.: die »Tradition der Synästhesien von Geschmacksempfindung und Literatur«, also die »Anwendung des Begriffs Geschmack nicht nur auf die Wahrnehmung von Essen und Trinken, sondern auch von ästhetischen Objekten«.
Hier mal für zwischendurch einige Gaumen-Hits des Literaturjahres 1988. Cocktails, Longdrinks, Feinschmeckersuppen. Festmähler, Braten und Pralinen:
- »Der Roman-Cocktail, mit Krimi- und Gesellschaftssatire-Sätzen aufgepeppt, mundet nicht (…)« (Walter Klier über Karin Scholten, in: Die Zeit, 25. 3. 1988)
- »Gegen dieses von Gerd-Peter Eigner vor drei Jahren ausgeschenkte hochprozentige Sprachelixier ist das Nachfolgeprodukt, ist ›Mitten entzwei‹ wohl eher ein Longdrink.« (Ulrich Horstmann über Gerd-Peter Eigner, in: Die Zeit, 19. 8. 1988)
- »Mir schmeckt diese Suppe. In den Gebräuchen des ästhetischen Nihilismus ein braves Eintopfgericht. Ihr gleichwohl unleugbarer Mangel an literarischer Delikatesse (…).« (Karl Heinz Kramberg über Werner Kofler, in: SZ, 10. 2. 1988)
- »Der ›Anhang‹: Ein Meisterstück. Ein Festmahl des Geistes mit immergrünen ewigfrischen Zutaten. Biß für Biß ein Genuß.« (Andreas Kilb über Ulla Hahn, in: Die Zeit, 25. 3. 1988)
- »›Barbarswila‹ ist ein epischer Brocken, wie er nicht alle Tage auf den Tisch kommt, ein deftiges, dampfendes Stück Literatur« (Jürgen Jacobs über Gerold Späth, in: FAZ, 10. 9. 1988)
- »eine schweizerische Prosapraline erster Wahl« (Friedhelm Rathjen über Jürg Laederach, in: SZ, 15. 11. 1988)
(nach Michaela Köhler: Wertung in der Literaturkritik. Bewertungskriterien und sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten des Bewertens in journalistischen Rezensionen zeitgenössischer Literatur. Würzburg. Diss. 1999, S. 125–129.)
Am 1. März 2010 um 09:27 Uhr
Danke für diese liste. Bemerkenswert finde ich die Namen der rezensierten Autoren. Ulla Hohn okay. Aber wer sind Karin Scholten, Gerd-Peter Eigner, Werner Kofler, Gerold Spät, und Jürg Laederach?
Ich habe bei wikipedia nachgeschlagen, es gibt sie alle wirklich :-)) aber der Zahn der Zeit ist über sie hinweggegangen?
Am 1. März 2010 um 11:01 Uhr
Tja, Autoren vergehen, Rezensionsleckerbissen bleiben… Ganz ähnliche Menüs könnte man wahrscheinlich auch heute zusammenstellen – ohne Frischegarantie für die besprochenen Autoren.