Süddeutsche Zeitung:
Action-Feuilleton in Sachen Michelangelo
Paris, 5. März 2010, 06:56 | von Paco
Danke, Kia Vahland! Letztes Jahr gab es eine feuilletonistische Actionszene, die wir hier noch nicht erwähnt haben. Sie spielte sich im Frankfurter Städel ab und wurde glücklicherweise für die SZ eingefangen:
Kia Vahland: Ein Feuer, das nicht sein durfte. Das Frankfurter Städel zeigt fragwürdige Michelangelo-Zeichnungen, um ein eigenes Blatt dem Meister zuzuordnen. In: Süddeutsche Zeitung, 21. 4. 2009.
(And don’t ask me why, der Artikel ist im Moment nur noch als PDF auf der Website der, hä?, Frankfurter Rundschau zugänglich.)
Und zwar hatte das Städel von März bis Juni die Schau »Michelangelo. Zeichnungen und Zuschreibungen« veranstaltet. In deren Mittelpunkt stand ein Blatt mit Skizzen von mehreren grotesken Köpfen, das nun offenbar endlich offiziell dem Meister persönlich zugeschrieben werden sollte, nachdem britische Kunsthistoriker sich schon positiv dazu geäußert hatten.
Vahland beschreibt ein bisschen die Kontroversen, aber schon der Teasertext des Artikels zeigt, dass sie eher zu einer reduktionistischen Sicht neigt, was Michelangelo-Zuschreibungen angeht. Ihr Kronzeuge dabei ist Alexander Perrig, der sich auch eines Tages in das Museum begeben haben muss. Vor Ort glaubt er dann auch sofort, in der zur Disposition stehenden Zeichnung eine Arbeit des Michelangelo-Schülers Antonio Mini zu erkennen. Eine derart apodiktische Aussage würde natürlich den Frankfurtern komplett die Show stehlen. Aber da wird Perrig vom zuständigen Kurator Martin Sonnabend gesichtet, der rasch herbeigeeilt kommt.
Normalerweise, wenn nicht gerade die Mona Lisa oder ein paar Munch-Gemälde eingesackt werden, geschieht in Museen nicht sehr viel. Menschen stehen herum, schauen, gehen weiter, bis sie irgendwann den Ausgang oder den Museumsshop erreicht haben. Alles nicht der Rede wert. Aber hier treffen mitten auf dem Terrain der Kurator und der schärfste Kritiker direkt aufeinander, tourismusfreundliche Großzügigkeit bei der Zuschreibung trifft auf den radikalen Glauben an die Schmalheit des überlieferten Werks.
Und Kia Vahland war dabei und berichtet uns davon. Auf einmal ist Action im Feuilleton, jeder Bericht über eine Podiumsdiskussion ist dagegen toter Text. Das Streitgespräch will ich hier nicht komplett zitieren, siehe Link oben, viertletzter Absatz. (Die schönste Stelle darin ist Perrigs Frage: »Haben Sie selbst nie gezeichnet?«)
Am 5. März 2010 um 23:07 Uhr
Der Perrig ist großartig. Er war mal zwei Semester bei uns als Vertretungsprof und hat die Geschichte der Landschaftsmalerei aufgerollt, wie ich sie noch nie aufgerollt gesehen habe. Keine frühneuzeitliche Theorie über die Entstehung der Gebirge war ihm zu abwegig, dabei kann der Mann erzählen, daß man bis zur letzten Minute ausharrt, in so einem sanften schweizerischen Tonfall, der manchmal abrupt ins leicht Ironische kippt.
Aber was ich eigentlich anmerken wollte: Auf der Website der Rundschau ist der Artikel vielleicht deshalb zugänglich, weil der Kurator der Michelangelo-Schau dortselbst geantwortet hat:
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/kunst/1728554_Perrigs-Vorwuerfe-gegen-das-Staedel-Zentraler-Irrtum.html
Am 6. März 2010 um 08:58 Uhr
Ach so, den SZ-Artikel haben sie dann sozusagen als Dokumentation mit bereit gestellt, ok (das sollte die FR mit allen SZ-Print-Artikeln machen, hehe).
Die Szene reiht sich übrigens ein in andere Schilderungen »Sonderbarer Museumsbesuche«, hab eine Schwäche dafür.
Von Perrig selber gibt es wohl keine weitere Erwiderung…
Am 7. März 2010 um 17:17 Uhr
Echt schade, dass niemand von uns den Artikel früher bemerkt hat. Vielleicht hätte er bei der Maulwurfverleihung die Ehre der S-Zeitung retten können, hehe.
Am 7. März 2010 um 17:31 Uhr
Wäre ja nicht die erste apokryphe Schrift hier.