Nachruf auf die »Datenautobahn«
Konstanz, 20. Mai 2010, 21:05 | von MarcuccioDer Tod der Datenautobahn, das sehe ich erst jetzt, wo ich nochmal über den Rezensionsfriedhof einer Alt-FAZ gehe, wurde am 14. April auf der Rückseite des Jauer’schen Blogger-Dossiers annonciert. Viele Umblätterer waren an dem Tag eh verwirrt, weil die Rezensionsseite der FAZ (sonst Seite 2) erst Feuilletonseite 4 war, und so konnte man den Artikel mit der Überschrift »Wellenreiten auf den Lehrplan!« schon mal übersehen.
Oliver Jungen bespricht darin die »Metapher Internet«, also das gleichnamige Buch von Matthias Bickenbach und Harun Maye. Und er spricht sehr schön von den »Katachresen« unserer Digitalkultur, also Begriffen wie »Surfen«, »Navigation« oder »Netz«, die gar nicht mehr als Metaphern wahrgenommen werden:
»Erstaunlich ist, wie resolut die Auffassung des Internet der bereits in der Antike geprägten Verbindung von Wassermetaphorik und Informationsverarbeitung folgt. Schon die Kybernetik greift ja in ihrem Namen den Steuermann auf, und auch sonst hat sich das Begriffsfeld des ›Datenmeeres‹ und der ›Informationsflut‹ weitgehend durchgesetzt. Dagegen scheiterte der in den neunziger Jahren kurzzeitig populäre Begriff der ›Datenautobahn‹: Die darin enthaltene Zielorientierung scheint dem totalen Möglichkeitsraum Internet nicht angemessen, auch wenn sie über das Fließen des Verkehrs immer noch an das Bildfeld des Liquiden anschließbar ist.«
Genau mit solchen kleinen Nebenauskünften macht Feuilleton im Grunde immer den größten Spaß. Und es stimmt wirklich: Ein kurzer Klick zum Beispiel ins »Spiegel«-Archiv zeigt die Frequenz, mit der das Schlagwort »Datenautobahn(en)« in den einzelnen Jahrgängen vorkam:
1995 der absolute Peak, um 2000 noch mal ein kleines Comeback, dann nach dem Platzen der Dotcom-Blase praktisch over and out. Erstgebrauch des Wortes war übrigens 1993 in einem »Spiegel«-Gespräch mit Bill Gates. Überschrift: »Wir bauen die Datenautobahn«.
Diagramm erstellt mit Create A Graph.
Datenerhebung über http://www.spiegel.de/suche/.
Am 21. Mai 2010 um 10:08 Uhr
Wie ist denn die Historie von „rechtsfreier Raum“? Sind wir da auch schon über den Gipfel?
Am 21. Mai 2010 um 10:51 Uhr
Schöner Hinweis. Überhaupt, Kandidaten für solche Untersuchungen gibt es viele. Ganz aktuell wieder beeindruckend, wie das „Märchen“ – seit 2006 auf Tournee durch allen großen Sportarten – gerade beim Eishockey Stopp macht.
Am 21. Mai 2010 um 13:02 Uhr
Wunderbar. Da gäbe es noch reichlich andere Floskeln zum Aufspießen. Zum Beispiel das seit etwa zwei Jahren arg beliebte „spannend“ —> jeder langweilige Pups wird in der Presse gedankenlos mit dem Adjektiv „spannend“ beschrieben.
Am 21. Mai 2010 um 13:11 Uhr
@klaus: stimmt, genau dafür gibt es hier schon die rubrik »regionalzeitung«.
Am 21. Mai 2010 um 15:06 Uhr
Sehr hübsch, danke. Ich habe mich neulich noch über SPON aufgeregt, weil das aktuelle Lieblingswort offenbar „Chaos“ in irgendeiner Kombination zu sein scheint (Flugchaos, Schneechaos, Aschewolkenchaos, etc.). Chaotische Zustände in der Redaktion?
Am 21. Mai 2010 um 15:48 Uhr
Wenn hier ein Spiegelmensch mitliest, bitte ich darum, in der frühen Zukunft irgendwo irgendwie das schöne Wort „Datenautobahn“ einzubauen. Nur, damit wir uns freuen. Bitte. Danke.
Am 21. Mai 2010 um 16:55 Uhr
Wunderbar. Das ist mal eine Statistik, die es verdient, veröffentlicht zu werden. Klingt ironisch – meine ich aber ernst. Ich hoffe, es gibt noch irgendwo Statistiken zu weitern Stichwörtern. Vor einigen Wochen ist mir das auch schon durch den Kopf gegangen. Dabei geht es aber um eine andere Spiegel-typische Worthäufung.
Am 21. Mai 2010 um 18:21 Uhr
@eggbert:
Den Höhepunkt hatte der „rechtsfreie Raum“ im Internet 2008, seither geht es leicht zurück. Aber auch 2005 hatte er eine Spitze.
Klickst du hier
Am 24. Mai 2010 um 03:34 Uhr
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Am 22. Juni 2010 um 12:04 Uhr
Wenn man Spiegel Online mit dem Google News Archive untersucht, ergibt sich allerdings ein ganz anderes Bild: Da ist die Tendenz nämlich steigend! Wie erklären sie sich das? Wenn beide Ergebnisse richtig sind, dann sagt die Differenz ja vielleicht mehr über den Unterschied von Print- und Online-Berichterstattung als über die Metapher an sich aus…
Und darf man bei der Gelegenheit erfahren, wie genau die Grafik entstanden ist? Haben sie nur die digitalisierten Text der Printausgabe zugrunde gelegt und die Ergebnisse einzeln ausgezählt und sie dann in die Tabelle übertragen oder gibt es da eine komfortable Option im Spon Archiv, die ich noch nicht entdeckt habe? Danke!
Am 22. Juni 2010 um 12:32 Uhr
Lieber stromgeist, steht doch alles da: »Datenerhebung über http://www.spiegel.de/suche/«, gesucht wurde mit Wildcards, um alle Wortformen zu erwischen, die Zählung und Tabellenerzeugung hat dann ein Skript übernommen. Dass online anders über Onlinethemen berichtet wird, liegt irgendwie auf der Hand, insofern hast du sicher Recht mit deiner Vermutung, wäre mal ein schönes Thema für eine Hausarbeit.
Am 8. Dezember 2016 um 09:09 Uhr
[…] User, geh online, mit E-Mail triffst Du mich.“ Als weiteres Synonym kam der Cyberspace hinzu. Der Höhepunkt des Datenautobahnverkehrs lag in den Jahren 1995 und 1996 mit 40 bzw. 36 Nennungen im […]