Post von Dürer

Leipzig, 27. Mai 2010, 22:55 | von Paco

In den ersten Augusttagen des Jahres 1871 erhielt der Wiener Kunsthistoriker Moriz Thausing Post von Albrecht Dürer. Das Kuvert zeigte ein Originalsiegel und war tatsächlich in Nürnberg abgestempelt worden. Dürers Handschrift war klar zu erkennen, ebenso dessen feines Frühneuhochdeutsch.

Thausing war entzückt und glaubte zunächst, ein Freund habe ihm ein neu entdecktes Dürer-Manuskript zukommen lassen. Doch, oh Wunder, Dürer war zwar vor über 350 Jahren gestorben, sein Brief war aber an Thausing höchstpersönlich gerichtet:

Imitat der Dürer-Handschrift, Scherzbrief von Albert von Zahn an Moriz Thausing (1871)

DEM Fürsichtigen
hochachtparn vnd erbern
Hern Morizen Thawsingh

zw Wienn
im Osterreich

inn des Ertzhertzog
Albrecht palast
awff der pastey.


Und so las es sich weiter. Dürer dankt Thausing lang und breit noch mal persönlich dafür, dass er mit zur Entlarvung einiger Dürer-Fälschungen beigetragen hat. Um 1871 hatte nämlich ein Streit um »linkshin gewandte Profilköpfe« seinen Höhepunkt erreicht, die man zunächst Dürer zugeschrieben hatte, die sich aber später, auch dank Thausing, als Fälschungen erwiesen. Dürer schreibt daher weiter:

Imitat der Dürer-Handschrift, Scherzbrief von Albert von Zahn an Moriz Thausing (1871)


Vnd sunderlich danck ich euch, dz ir allso klerlich antzeygung getan habt der awssgeschnitten köpfflin halben, dz ich dy nicht hab contterfett noch abgerissen.


Nach der Lektüre legte Thausing den Brief aus der Hand und grübelte ohne Unterlass: »Wer konnte sich diesen Scherz erlauben?« Er fragte kurz darauf in Nürnberg selbst nach, keiner wusste etwas. Erst einen Monat später, während der berüchtigten Holbeintagung in Dresden Anfang September 1871, fragte ihn ein Kollege beiläufig, ob er Dürer schon geantwortet habe. Bei dem Fragesteller handelte es sich um Albert von Zahn. Thausing berichtet weiter:

»Und nun beichtete er [Zahn] mit Behagen auf mein Verhör, wie er den Brief durch einen Nürnberger Vetter befördert, wie er den Verschluss desselben von dem damals in Dresden ausgestellten Bildnisse des Gisze von Holbein aus der Berliner Galerie abgeguckt und die Schrift aus dem Dürercodex der Dresdener Bibliothek erlernt habe; und er zeigte mir in seinem Notizbuche die eingehenden Vorstudien, durch welche er sich den Ductus von Dürer’s Hand in den zwanziger Jahren ganz regelrecht zu eigen gemacht hatte. Ungeheure Heiterkeit der befreundeten Tischgenossen lohnte dem seltenen Meister.«

Thausing erinnert sich daran im Juli 1873, als er schon den Nachruf auf seinen lustigen Kollegen schreiben muss, der gerade im Alter von 37 Jahren gestorben war. Dieser Nachruf ist zusammen mit einem Faksi­mile des gefakten Dürerbriefes in der letzten Nummer der »Jahrbücher für Kunstwissenschaft« abgedruckt, die von Zahn begründet worden waren und mit seinem Tod eingestellt wurden.

Was auf jeden Fall bleiben wird, ist die beiläufige Frage: »Ähm, haben Sie eigentlich Dürer schon geantwortet?«


(Bildquelle: Wikimedia Commons – Seite 1, Seite 2)

Eine Reaktion zu “Post von Dürer”

  1. erz

    The awesomness. In meinem limbischen Zentrum für elaborierte Scherze kam es kurz zum eppileptischen Anfall. I approve!

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