Reiterstandbild

auf Reisen, 1. Juni 2010, 08:01 | von Dique

Der letzte Tag in Venedig, und wir waren vorher einfach nicht dort vorbeigekommen. Nun hetzen wir zum Campo vor Santi Giovanni e Paolo und klingeln gleich an der ersten Tür. Aber niemand öffnet uns, obwohl wir von drinnen Geräusche gehört haben. An der nächsten Tür haben wir mehr Glück. Wir deuten auf das Bild im »DK Travel Guide«, aber der Herr, der die Tür geöffnet hat, will uns nicht hineinlassen. Er sucht windige Ausreden und Entschuldigungen, und irgendwann ist die Tür zu und uns rennt die Zeit davon.

Auf dem Platz draußen kommt uns ein Australier entgegen, den wir gestern schon irgendwo getroffen haben und der nun anscheinend auch einen Blick abbekommen möchte. Der Typ ist ziemlich bizarr bis creepy, gestern sagte er mir, dass er den Rucksack voller Ölsardinenkonserven und, wenn ich das richtig verstanden habe, immer etwas Gold dabei habe, um für den bevorstehenden Ernstfall gewappnet zu sein, den »total crash of the system«.

Er trägt Blundstones, diese australischen Waldarbeiterschuhe, die wie Chelsea-Boots geschnitten sind, allerdings eine feuerfeste Gummisohle haben, dazu sehr feste Khakis. Im Rucksack hat er auch noch eine Barbourjacke dabei, und mit diesem Survival Kit durchreist er nun die Welt und will sich im entscheidenden Moment für Gold auf einem Bauernhof einkaufen. Den Mogambo Guru kennt er komischerweise nicht.

Wir sagen dem Australier, der zur selben Tür strebt, bei der wir gerade abgewiesen worden sind, dass es keinen Zweck hat, aber er geht trotzdem weiter. San Andreas macht inzwischen ein paar Fotos, und ich laufe um das Denkmal herum und versuche trotz allem einen Blick zu erhaschen, schütze meine Augen mit beiden Händen gegen die Sonne, aber sie blendet einfach zu sehr. Auch sonst würde man von hier unten keinen guten Blick zustande bringen, die Skulptur ist einfach zu hoch oben aufgestellt:

Venedig, Verrocchios Colleoni von unten

Ich wollte das Reiterstandbild des Bartolomeo Colleoni, nach dem Wachsmodell von Verrocchio, unbedingt sehen, die Aussicht darauf war einer der Hauptantriebe, wieder mal nach Venedig zu fahren. Der Colleoni steht hier seit 500 Jahren. Schon Michelangelo und Vasari haben ihn sich zusammen angesehen, bei ihrem Venedigtrip, bei dem sie auch Werke von Tizian betrachtet haben, und vielleicht standen sie sogar direkt hier, als Vasari in Richtung Michelangelo fragte, wie er denn die Bilder von Tizian finde, und Michelangelo sinngemäß erwiderte, dass Tizian ein guter Maler sein könnte, wenn er zeichnen gelernt hätte. Vasari-Seemannsgarn.

Da die Reiterstatue auf diesem sehr hohen Podest steht und man von unten fast nichts sieht, hat die Stadtverwaltung von Venedig mit Gültigkeit vom 1. September 2009 beschlossen, dass willige Anwohner des Campo Santi Giovanni e Paolo gegen eine entsprechende Mietminderung die Besucher auf Anfrage in ihre Wohnung oder auf ihre Dächer lassen, damit sie von dort einen guten Blick haben und ein schönes Foto machen können. Das funktioniert allerdings überhaupt nicht, jedenfalls nicht für uns, trotz der Mietminderungen und trotz der Aussicht auf Trinkgeld.

Wir müssen schnell weiter zum Bahnhof, um rechtzeitig zum Flughafen zu gelangen. Bei einem Blick zurück sehen wir noch den Australier aus dem Haus kommen, in dem wir abgewimmelt worden waren, und ich sehe, wie er grinsend seine Digicam durchblättert. Wir erblicken diese Szene aber nur noch von weitem, als wir gerade die Kanalbrücke in westlicher Richtung überqueren, und mich hätte sehr interessiert, wieso er eingelassen wurde, wir aber nicht. Vielleicht hat es etwas mit seinem Militärrucksack zu tun, in dem sich angeblich Ölsardinen und Gold befinden.

Eine Reaktion zu “Reiterstandbild”

  1. Marcuccio

    Sehr schön, wie dieses neue Tourismus-Dekret einen Hauch von Pompeji-Wächter-Willkür nach Venedig bringt… Sonst steht da bald die Hebebühne? Hüpfburg? …?

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