Salamanca

Leipzig, 14. August 2010, 10:01 | von Hiller

Verworren sein und nicht Schreiben können ist noch kein Surrealismus, hat mein Praktikant gestern gesagt, als ich ihn bat, meinen Reisebe­richt für die DFG auf Tippfehler durchzusehen. Sein Frevel blieb unkom­mentiert, aber ich glaube, er hatte recht.

Man hatte mich zu einem ansprechend klingenden Symposium eingeladen. Im schon von den Comedian Harmonists besungenden, schönen Spanien sollte es abgehalten werden, und man plante etwas sehr Kompliziertes, das man mir schlichtem Geist allerdings als eine Art situationistische Wiederaufführung der Bremer Stadtmusikanten zu verkaufen suchte: Ein Symposium über Singvögel, Makaken, Schimpan­sen und ein paar Menschenvokalisationen. Also Spanien. Sie müssen wissen, dass ich Spanien insgesamt für einen Fehler und eigentlich nicht vermittelbar halte. Zu trocken, zu teuer, und zu gefährlich, um das Standardlehrbuch zum Thema Reiseplanung, den Kracht/Nickel, nur unwesentlich zu paraphrasieren.

Salamanca, Figure 1Der Flughafen Madrid täuschte erfolgreich ein geschlossenes Busshuttlesystem vor, um mich erst einlullend im Kreis zu kut­schieren und mich dann auszusetzen an einem per Matlab-Skript zufällig ermittelten Terminal zwischen 1 und 4. Ein Reisebus der lobend zu erwähnenden, allerdings dem Arbeitskampf sehr zugetanen Firma Avanza bot sich an, mich drei Stunden lang recht unverwandt in das nicht für möglich gehaltene, weil noch langweiligere Landesinnere zu karren, meinem Ziel Salamanca entgegen. Die ebenso schlichte wie zwingende Absicherung des Drahtlos-Netzwerkes gegen Schadnut­zung durch Unbefugte bestand in der Nichtstationarität des Funksig­nals an Bord eines bewegten Reisebusses; Passworte oder gar die üblichen WAP-Quisquilien waren nicht von Nöten.

In Salamanca angelangt, musste ich sofort an den größten Sohn der Stadt denken, Don Quixote: Hatte nicht auch er gegen das Nichts angekämpft, gegen die Windmühlen des Sinnlosen! Alles aus Stein und Staub; selten hat ein Reisender von trauriger Gestalt das satte Grün und die dicken Eichen der deutschen Innerlichkeit mehr vermisst. Ich schnallte mir meine Rüstung um und trabte mit meinen Getreuen quer durch die Ödnis dieser Innenstadt.

Salamanca, Figure 1Kurz vor Erreichen der Herberge, an einer Anhöhe gelegen, wäre es fast noch zu einem sogenann­ten Showdown gekommen mit einem dicken Mann, der sich uns ins den Weg stellte. Ich for­derte freies Geleit, und fragte ihn nach seinem Namen. Breton, gab er mir zu verstehen. Der ganze Platz war nach ihm benannt, und ich dach­te: unglaublich, so schlimm kann es doch um Spa­nien, die Welt, unsere Zeit also nicht bestimmt sein, wenn sie in diesem Dorf eine Statue nach dem Begründer des Surrealismus, der großen Manifest-Maschine André Breton benennen. Hinter Breton staubte es gewaltig, doch bevor mir die Luft knapp und die Zeit zu lang wurde, gelang mir noch einer mei­ner allegorischen Kunstschüsse, für die ich geliebt werde: DER ER­FINDER DES SURREALISMUS SCHAUT AUF DIE TRÜMMER DER POST­MODERNE.

Was bleibt mir zu sagen: Die Performance am nächsten Tag wurde natürlich ein großer Erfolg. Auf dem so schnell wie möglich eingeleite­ten Rückflug (die Firma Avanza arbeite mit allen Angestellten an einem Relaunch der Website, wie man mir versicherte, und stattdessen fuhr ein Künstlerkollege mich zum Flughafen) lernte die Flugbegleiterin hinter meinem Sitz die Sicherheitsansagen auf Spanisch auswendig. Heute morgen begegnete ich dann meinem mir wegen seiner über­steuerten Hispanistik widerlich gewordenen Nachbarn, der mich darauf hinwies, dass Don Quixote de la Mancha ja bekanntlich aus, nun, La Mancha gewesen sei. Bestimmt war er auch der anonyme Schlaumeier, der mich nun bei Wikipedia aufklärt, dass Salamanca allerorten seinem angeblich sehr berühmten Sohn, dem obskuren Komponisten Tomás Bretón huldige. Fahren Sie dort bitte niemals hin.

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