Der »Neon«-Leser als Theaterkritiker

Konstanz, 17. August 2010, 01:09 | von Marcuccio

Neulich hat Gerhard Stadelmaier, liebste Hassfigur des Théâtre alle­mand, eine Kritikertypologie vorgelegt. Jetzt scheint es so, als gäbe es noch einen Nachrückkandidaten: den »Neon«-Leser, der Theater­kritiker bei der Regionalzeitung wurde.

Hier mal das Schema (Formatvorlage und Abwandlung) an zwei historischen Beispielen:

Film-Hermeneutik
in der NEON
vs. Theater-Hermeneutik
im SÜDKURIER
»Lara Croft: The Cradle of Life« (Regie: Ang Lee) Thema »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« (Regie: Samuel Schwarz)
»Worum geht’s?
Die schlagkräftige Action-Archäologin muss sich diesmal den Weg zu einem Unterwas­sertempel freikämpfen, um einen (wie immer sagenum­wobenen) Schatz gegen (wie immer fiese) Schurken zu verteidigen. Einer davon ist Ex-Lindensträßler Til Schweiger.«
Hermeneu-
tischer
Akt I
»Darum geht’s:
Am Fleischmarkt von Chicago herrschen desolate Arbeitsbedin­gungen. Den Fleisch-Großhändlern geht es prima, sie sprechen sich ab, es gibt Insider-Tipps und Intrigen. Die Heils­armee um Titelheldin Johanna Dark will die Verhältnisse ändern – und muss am Ende erkennen, dass das nur mit Gewalt geht.«
»Worum geht es wirklich?
Diese Lippen, diese Titten! Angelina Jolie spielt nicht nur eine Comicfigur, sie ist auch wirklich eine.«
Hermeneu-
tischer
Akt II
»Darum geht’s wirklich:
Um die Fragen, wie viel erträgt der Mensch, ehe er revoltiert, und mit welchen Mitteln wird der Aufstand von den Machthabern unterbunden. In der Hauptrolle hierbei: Die Medien- und Unterhal­tungsindustrie, die, so der Tenor, alte Machtstruk­turen nur reproduziert.«
NEON Nr. 1 (!) vom Juli 2003, S. 167 (online) Zitatnachweis (Erstbelege) SÜDKURIER vom 22. Januar 2010, Ressort »Konstanzer Kulturleben«

 
Wenn man also eine Traditionslinie von »Tempo« (1986–1996) zu »jetzt« (1993–2002) und »Neon« (2003 ff.) ziehen will, dann sind die Reste des Copyshop-Feelings also heuer im Lokaljournalismus angekommen.
 

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