Die Welt als Schopenhauer und Überschrift
Konstanz, 25. August 2010, 18:44 | von MarcuccioGabriel ist mir im Traum erschienen, der hier schon öfters erwähnte Überschriftenerfinder. Und zwar in Form von Christoph Poschenrieder, der Überschriften gefischt hat. Überschriften aus dem großen Meer der Anspielungen, mit denen Journalisten und namentlich Feuilletonisten gern Buchtitel, Filmtitel, Songtitel usw. umsegeln. Klassisch hierzu natürlich schon der ewige MRR:
- »Jenseits der Literatur« = Überschrift seines Verrisses zu Martin Walsers »Jenseits der Liebe« (1976)
- »Die Angst des Dichters beim Erzählen« = Überschrift zu Peter Handke (1972)
Es gibt gewisse ungeschriebene Gesetze der Branche: Wenn z. B. Franka Potente neulich einen Erzählband vorlegt, dann kann die Überschrift natürlich nur wie lauten? Genau:
- »Lola schreibt« (Tagesanzeiger, 5. August, und WELT, 7. August)
Witzig ist es dann eben auch mal, Langzeitprofile anzulegen. Christoph Poschenrieder hat genau das getan und eine Liste gesammelter Verballhornungen vorgelegt, die auf Schopenhauers »Die Welt als Wille und Vorstellung« anspielen:
- »Die Welt als Willy und Vorstellung« (Tagesspiegel, Artikel über die SPD)
- »Die Welt als William und Vorstellung« (ZEIT, Artikel über Shakespeare am Berliner Ensemble)
- »Die Welt als Wille und Wechselstrom« (FAZ)
- »Die Welt als Pille und Vorstellung« (SZ-Magazin)
- »Die Welt als Wille und Vorurteil« (Der Standard)
Diese und weitere Findungen sind nachzulesen im aktuellen Diogenes-Magazin (Nr. 4, Sommer 2010, S. 22).
Wieso sammelt Poschenrieder Schopenhauer-Überschriften? Weil er einen Schopenhauer-Roman vorgelegt hat: »Die Welt ist im Kopf«. Das Buch liest sich schnurstracks weg. Ein bisschen so als hätte Daniel Kehlmann über Schopenhauer & Lord Byron statt über Humboldt & Gauß geschrieben.
Am 26. August 2010 um 12:24 Uhr
… und die komplette wenn auch niemals vollständige „Die Welt als…-Liste“ ist auf http://www.poschenrieder.de/2010/02/16/die-welt-als-irgendwiealles/
zu finden.
Am 26. August 2010 um 13:32 Uhr
„Die Welt als Hölle und Verstellung“
Überschrift zur Rezension des Romans „Abtrünnig“ von Reinhard Jirgl in (glaub ich) der ZEIT. Wird dem Pudelknuddler gerecht, wie ich finde.
Am 26. August 2010 um 15:43 Uhr
Klicke etwas gedankenlos ‚rum, und schon:
„Die Welt als Vorstellung und Selbstreferenz“
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=246
Warum nur zieht es so viele an, daraus Titel zu schmieden? Weil’s so einfach ist? Oder weil man glaubt eine gewisse Fallhöhe schaffen zu können, indem die ganze, weite Welt, die ja alles umfasst, was da so rum-, an- und verwest, indem die dann lediglich als X und Y angesehen wird – wodurch dann X und Y gewissermaßen verballhornt werden können?
(Komisch und kreativ nicht wirklich, aber vielleicht eine Erklärung?)