Die Blinky-Palermo-Ausstellung in Münster

Münster, 30. März 2011, 15:15 | von Paco

»Coffee, Coffee muss ich haben«, heißt es ja in Bachs Kaffeekantate, und so sitze ich nach dem Essen mit ein paar Leuten von der Research Unit 3 im »fyal«. Es geht immer noch um dieselben Dinge wie vorhin am Tagungsvormittag, ich höre nur halb hin, und dann klingelt mein Handy. Ich entschuldige mich nach draußen, aber das Telefonat ist dann eigentlich auch gleich beendet.

Ich bin beim Sprechen ein bisschen Richtung Dom gelaufen und schaue jetzt nach links. Da wird am Landesmuseum für die Blinky-Palermo-Ausstellung geworben. Ach ja, genau, ich hab darüber mindestens drei Teasertexte gelesen (ZEIT/dpa, SP*N, …), aber leider heute wegen der Tagung keine Zeit. Wobei. Ich hole mir einfach mal ein Ticket und gehe die Treppe hoch ins 2. Obergeschoss.

Palermo ist ja ein ziemlicher White-Cube-Fetischist gewesen, auch die acht Ausstellungsräume hier wirken schön leer und übersichtlich. Über der Eingangstür von Raum 1 prangt gleich diese berühmte, berüch­tigte, bezirzende Ad-hoc-Wandmalerei, das leuchtende »Blaue Drei­eck« von 1969, das hier von einem Mitarbeiter des Landesmuseums hingemalt wurde, unter Benutzung der von Palermo angefertigten Schablone.

SVG-Nachbildung des Blauen Dreiecks, aus dem Gedächtnis

Schon von Palermos rahmenlosen Bildobjekten wird ja generell be­hauptet, dass sie durch ihre Rahmenlosigkeit die gesamte Umgebung mit in sich aufnähmen. Der Titel der Ausstellung ist dahingehend auch programmatisch: »Who knows the beginning and who knows the end«, benannt nach zwei Werken, die in Raum 6 an der Wand pappen.

Vom »Blauen Dreieck«, das, wie gesagt, mesmerisierend in den Saal hinausstrahlt, wird im Erläuterungsheft sogar behauptet: »Zum Werk gehören der Türrahmen, die Wände, der Durchgang und letztlich das ganze Gebäude.« Wahnsinn, das ganze Gebäude, und ich lese es noch mal, und es steht tatsächlich so da.

Auch noch im Raum 1 hängt »Blau auf Grün« (Öl auf Nessel über Holz, 1965), eine satte Ladung ausgekipptes Blau, das aber unvollständig vermalt wurde und so die wiesengrüne Grundierung durchscheinen lässt. Das alles findet auf einer an den Ecken (außer unten rechts) abgerundeten Holztafel statt, es könnte sich um das Logo eines hippen TV-Senders handeln, aber ich bin schon weiter gegangen und mittlerweile in Raum 3 angelangt, da hängen die frühen Aquarelle, die auch zum ersten Mal mit dem mafiösen Künstlernamen signiert sind.

Denn mit seinem arg bürgerlichen Namen ›Peter Heisterkamp‹ könne er nichts werden, soll ihm Beuys gesagt haben, und heute erinnert der Name ja genau auch an Berthold »Ernie« Heisterkamp, den Körperschweiß-Nerd aus dem »Stromberg«-Büro. Und so steht jetzt also auf dem karierten Heftpapier unter ein paar Aquarellstrichen mit Bleistift geschrieben: »Palermo 1965«, und das ruft auch sofort eine Stimmung hervor, Palermo, Sizilien, Mafia, Sechzigerjahre, auch wenn ein anderes Aquarell qua Titel eher nach »Zeebrügge« führt.

Im selben Raum höre ich auch mal wieder den Museumsklassiker, Abteilung Moderne Kunst, hier heute gesprochen in schönstem Erasmus-Englisch: »What’s so special about these paintings, my dog could paint that!« Die skeptische Museumsbesucherin gibt das sehr laut bekannt, und es ist sehr faszinierend zuzuhören, wie ihr (deutscher?) Freund beschwichtigt und gegenredet und ihr die Blinky-Palermo-Kunst nahezubringen versucht, aber ich muss ja weiter, so langsam sollte ich auch mal wieder zurück ins »fyal«, also schnell durch Raum 4 durch und zu den Grafiken in Raum 5. Die klar gegen den weißen Grund abgegrenzten Flächen gleißen wieder intensiv, die Siebdrucke aus der Mappe »4 Prototypen« (1976) sehen aus wie eine rätselhafte iPhone-App.

Raum 6 hab ich ja schon erwähnt, hier hängen Werke aus Palermos letzten Monaten, 1976/77, der Farbauftrag ist meist sehr flüchtig, als ob ihm die Farbe ausgegangen wäre. In der Jonathan-Meese-Doku »Die Ameise der Kunst« war mal zu sehen, wie sich der Zottelkünstler im Malerbedarf tonnenweise mit wahllos zusammengesuchten Farbeimern eindeckt (hier ab Min. 7:20). Ein einziger Meese-Einkauf hätte Palermo wahrscheinlich für sein ganzes Lebenswerk gereicht.

In Raum 7 dann ein weiteres intensives Farberlebnis, vier hell leuchtende Acrylmalereien auf Alu-Tafeln. Die haben wieder etwas Logohaftes, könnten Desktop-Icons sein, und überhaupt eignete sich Palermos Werk wahrscheinlich auch sehr gut für Slideshows auf Smartphones, ganz im Gegensatz etwa zu hingeprunkter Barock- oder Renaissancemalerei (zu kleinteilig).

Im Durchgang zu Raum 8 liegt in einer Vitrine die Original-Schablone für das »Blaue Dreieck«, und zwar samt Anleitung: »Malen Sie mit Hilfe der Schablone ein / blaues Dreieck über eine Tür. Ver- / schenken Sie dann das Original Blatt. / Palermo / August 1969«.

Im abschließenden Raum selbst hängen noch ein paar schöne Lithografien und Siebdrucke, aber ich schaue schon gar nicht mehr richtig hin und verlasse dann recht bald das Museum. So eine halbe Stunde wird das jetzt gedauert haben, schätze ich, und als ich mich im »fyal« wieder an unseren Tisch setze, fragt mich der neuseeländische Doktorand: »Everything alright?« Und er meint eventuell das Telefonat, wegen dem ich ursprünglich den Tisch verlassen habe, aber ich bewerte subtextuell gleich auch noch die Ausstellung mit: »Yeah, very much so.«

Das oben zu sehende blaue Dreieck ist eine Nachbildung aus dem Gedächtnis in Form einer SVG mit folgenden Werten:
<polygon points="50,10 10,50 90,50" fill="#0000ff" />
 

Eine Reaktion zu “Die Blinky-Palermo-Ausstellung in Münster”

  1. Srifo

    Man sollte öfters ein Telefonat als Essay nutzen. Danke Paco! An alle anderen: schaut euch den Paco an, der lässt sich nicht veräppeln, sozusagen, no gender trouble here. „Die Anwednung“, that is, „the application“, „… einE App dafür.“ Naja, sic transit gloria mundi. usw.

Einen Kommentar schreiben