Sonne und Kino — Ein Wochenende in 3D

London, 9. Mai 2011, 18:07 | von Dique

Ich gehe am liebsten am frühen Nachmittag ins Kino, da ist es immer so schön ruhig. Wenn der Film dann vorbei ist, bin ich stets angenehm erfreut, dass ich noch den ganzen Abend vor mir und scheinbar schon so viel erlebt habe.

Werner Herzog: »Cave of Forgotten Dreams«

Am Samstag sind wir zur Nachmittagsvorstellung ins Gate Cinema in Notting Hill gegangen, um uns »Cave of Forgotten Dreams« anzusehen, den neuen Hit von Werner Herzog. Es wird ein dreifacher Abstieg an diesem sonnigen Tag, in die Dunkelheit des Kinos, in die Tiefe der Höhle und in die plastische 3D-Welt. Als vierte Dimension sollte ich vielleicht noch die eigenartig einzigartige Welt erwähnen, die das sonore Englisch erzeugt, in dem Werner Herzog seine Filme kommentiert.

An der Kasse fragt man uns, ob wir unsere eigenen 3D-Brillen dabeihaben oder für zusätzliche 70 pence welche kaufen werden. Die Frage kommt mit einer Selbstverständlichkeit daher, dass ich mich beinahe schäme, jetzt hier eine der 3D-Brillen erwerben zu müssen, statt gleich mein eigenes cooles Teil aus der Tasche ziehen zu können. Wegen des billigen Preises halte ich den Obolus zuerst für eine Miete, aber die Brillen gehen tatsächlich in unseren Besitz über. Beim nächsten Mal werde ich also lässig nicken können, wenn jemand mein 3D-Brillen-Besitztum abfragt.

Im Film selbst gibt es dann neben der irren Landschaft im Tal der Ardèche die über 30.000 Jahre alten Kunstwerke zu sehen. Sie haben die vergangenen Jahrtausende in der zugeschütteten Chauvet-Höhle überlebt und sind erst vor ein paar Jahren wieder entdeckt worden, und Besucher haben normalerweise keinen Zutritt. Als ich die ersten Bilder an den Wänden erblicke, klar und scharf und in 3D, denke ich sofort an einen Fake, einen Hoax, einen Scherz, denn Qualität und Zustand der uralten Malereien sind atemberaubend.

Im Film wird deshalb auch gleich erklärt, dass die Echtheit in wissenschaftlich redlicher Weise eindeutig nachgewiesen worden ist, dank der Mineralschichten, die über den Zeichnungen gewachsen sind. An einer Wand hat einer der Künstler seine Handabdrücke hinterlassen, die müssten jetzt nur noch mit der Fingerprint-Datei des FBI abgeglichen werden, um vollkommene Sicherheit zu erlangen.

Ansonsten sieht man meist Pferde, Höhlenbären und Bisons, manche haben ganz futuristisch acht Beine, um Bewegung zu suggerieren, ganz so wie das später auch Giacomo Balla mit seinem vielbeinigen Hund versucht hat. Neben der Kunst an den Wänden gibt es in den Höhlengängen weiteres perfektes 3D-Material. Zugestaubte Totenschädel von Höhlenbären liegen auf dem Boden herum, und Tropfsteine bilden bezaubernde Formationen. Dazu dudelt die im positiven Sinne einlullende Stimme von Werner Herzog.

Nach dem Film begeben wir uns aus der Quasihöhle in Notting Hill wieder an die Sonne. Es ist noch nicht zu spät für einen Kurzbesuch im wie üblich vollkommen unaufgeräumten »Lisboa« in der Goldborne Road. Trotz intensiven Sonnenscheins lastet noch die Höhlenerfahrung auf meiner Seele, und gedankenversunken suche ich in den Zuckerformationen meines frischen Palmiers nach den Skelettresten von Höhlenbären.

Wim Wenders: »Pina«

Begeistert vom 3D-Erlebnis am Samstag und angefixt von der Kinowerbung müssen wir am Sonntag gleich in den nächsten 3D-Film gehen. Auch dieser stammt von einem »alten deutschen Regiehelden«, wie San Andreas später in einer E-Mail an mich schreiben wird, aber um ehrlich zu sein hat mir außer dem »Untergang« kein Film von Wim Wenders jemals gefallen, hehe.

Auch die Worte Pina Bausch und Tanz erzeugen bei mir eigentlich ignorantes Schulterzucken und die Erinnerung an einen bestimmten Typ Frau. Der Kinotrailer für »Pina«, der tags zuvor vor dem Werner-Herzog-Film gelaufen ist, hat mich allerdings sofort überzeugt. Dieses Mal gehen wir ins Curzon Chelsea und haben unsere neuen 3D-Brillen dabei, die eigentlich sogar ziemlich schick aussehen, wie Wayfarers, aber eben aus sehr billigem schwarzen Plastik gemacht sind. Zuerst hatten wir sie vergessen, ich bin extra noch mal nach Hause gerannt, sie zu holen.

Nun kaufe ich die Eintrittskarten, und gleich werde ich sagen können, dass ich natürlich meine eigene Brille dabei habe. Allerdings wird die entsprechende Frage gar nicht gestellt, und ich muss erfahren, dass wir im Kino ein spezielles Modell bekommen werden. Man habe eine eigene Technologie, jeder Zuschauer bekomme dafür eine Leihbrille, denn die 70-pence-Teile funktionieren hier wohl nicht.

Die Curzon-Brillen sind schwer und klobig und sehen aus wie Schweißerbrillen. Sie lohnen sich von der ersten Minute an. Zunächst werden reichlich Ausschnitte aus einer »Sacre du Printemps«-Choreografie von Pina Bausch gezeigt. Eine Bühne wird mit Erde vollgeschüttet, man sieht das im Zeitraffer, durch den 3D-Effekt spürt man das Gewicht der Erde und ist gleich ganz tief drin, und dann beginnen Musik und Tanz, erst langsam, aber bald schon tobt auf dem frisch bestellten Acker das organisierte Chaos.

Ich habe ungeheure Lust, jetzt einfach dieses eine Stück komplett sehen zu wollen, aber irgendwann wird dann zum nächsten Stück gejumpcuttet, dann zur nächsten Choreografie usw. Dazwischen O-Töne der Tänzer des Ensembles über Pina. Der ganze Film ist ein ziemlicher Rausch, wie tags zuvor der Höhlenbesuch mit Werner Herzog.

Als der Film zu Ende ist und wir das Kino verlassen, scheint noch immer die Sonne. Wir sind noch benommen von der Vorstellung, und es wird geschwiegen. Da unsere 70-pence-3D-Brillen abgedunkelt sind, benutzen wir sie nun einfach als Sonnenbrillen und schlendern die Kings Road hinunter, und ich freue mich, dass wir noch den ganzen Abend vor uns, aber schon so viel erlebt haben.
 

Eine Reaktion zu “Sonne und Kino — Ein Wochenende in 3D”

  1. Hanne Krenz

    > um ehrlich zu sein hat mir außer dem »Untergang« kein
    > Film von Wim Wenders jemals gefallen, hehe.

    Und was ist mit ‚Paris, Texas‘ oder ‚Himmel über Berlin‘?! Das sind doch ganz wunderbare Filme!

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