Die sizilianischen Caravaggios

auf Reisen, 18. September 2011, 09:18 | von Dique

Ich stehe vor dem La Residenza in Messina. Ich habe vorher Bescheid gegeben, wann ich ungefähr eintreffe, denn die Rezeption ist nicht durchgehend besetzt, und man kann nicht einfach so ins Foyer gehen, man benötigt die Hotel-Chipkarte, die auch das Zimmer öffnet, oder es muss eben jemand da sein, der öffnen kann, so wie jetzt eine junge Dame, bei der ich mich dann anmelde, bevor ich mich auf mein Zimmer begebe.

Der gut geschützte Eingangsbereich wundert mich etwas und meine Verwunderung nimmt zu, als ich eine laminierte Karte auf dem Tisch finde. Hier wird auf Italienisch und Englisch unmissverständlich dazu aufgefordert, die Tür stets verschlossen zu halten.

Im letzten Abschnitt der langen Hinweisliste heißt es: »As an extra precaution: When leaving the room, even briefly, please be sure to check that your door has been closed and properly locked.« Mich beunruhigt besonders das »even briefly«, als ob schon gleich jemand im Flur auf eine günstige Gelegenheit wartet, in die offenen Zimmer einzudringen.

Neugierig geworden suche ich im Netz nach ›Sicherheit‹ und ›Messina‹ und muss bei EssentialTravel.co.uk Folgendes lesen:

»The biggest problem facing visitors to Sicily are the hoards of pickpockets and purse snatchers who lurk in the main cities. Messina is one of the worst, so be alert when you travel around this town. (…) The most dangerous time to be out is after dark. Any woman wandering around the streets of a Sicilian city late at night runs the risk of being raped or abducted. Men are more likely to be mugged or beaten.«

Ich traue mich dann trotzdem aus dem Haus, auch wenn es schon Abend ist, und überlebe Abendessen und Spaziergang unter den hier heimischen Strauchdieben und Halsabschneidern ohne Zwischenfälle. Den Hafen sehe ich mir ehrlicherweise nur aus der Ferne an.

Nach Sizilien bin ich gekommen, um mir die hiesigen Caravaggio-Gemälde anzusehen, und die Rahmenbedingungen hier in Messina könnten kaum besser sein. Das plötzliche Gefühl, dass diese harmlos scheinende Hafenstadt gegenüber der kalabrischen Küste tatsächlich so gefährlich sein könnte wie zu Zeiten des weltberühmten Malers und Mörders Michelangelo Merisi aus Caravaggio, hat meinem Aufenthalt eine ganz neue Qualität gegeben, für mindestens eine gefühlte halbe Stunde.

Am nächsten Tag, auf dem Weg zum Museo Regionale, bei feinstem Sonnenschein, sind dann aber alle Gedanken an mögliche Gefahren verflogen. Im Museum bin ich der einzige Besucher, außer dem Personal ist sonst niemand zu sehen. Die Atmosphäre ist staubig und morbide und im Garten verteilte antike Artefakte erscheinen sehr willkürlich platziert.

Die ausgestellten Gemälde im Innern des Hauses wurden fast alle von Lokalgrößen angefertigt, einschließlich des feinen Polyptychon des Heiligen Gregor von Antonello da Messina. Für etwa ein Jahr war auch Caravaggio eine Art sizilianische Lokalgröße, verbrachte diese Zeit zwar nicht exklusiv in Messina, schuf hier aber zwei seiner Spätwerke, die noch heute vor Ort sind, in eben diesem staubigen Museo Regionale.

Die vier Museumsangestellten sind freundlich und lassen mich weitgehend unbehelligt durch die Räume spazieren. In Raum 10 ist es dann soweit. In aller Glorie hängen hier die beiden Caravaggios, die Anbetung der Hirten und die Auferweckung des Lazarus.

Über die Hälfte des Lazarus-Bildes ist einfach nur braun-grau mit einigen architektonischen Schatten, und die monochromen Figuren strahlen aus dieser Dunkelheit heraus. Bei der »Anbetung« gibt es neben den Personen auch noch einige Kleinodien in Vorder- und Hintergrund zu sehen, einen Korb, eine Hacke und Stroh, einen Esel und eine Kuh.

Vor Messina bin ich in der Johann-Gottfried-Seume-Stadt Syrakus gewesen, wo ich bereits Caravaggios Grablege der Heiligen Lucia gesehen habe, nicht im Museum, sondern in der Kirche Santa Lucia al Sepolcro. Eine eigentümliche Kirche, innen weiß und minimalistisch und am Kopfende hängt das wunderschöne Bild, man kommt leider nicht sehr nah heran. Wie beim »Lazarus« in Messina beschränkt sich das Bild fast ausschließlich auf die Figurengruppe mit den beiden schaufelnden Giganten in der Front und den Klagenden im Hintergrund.

Nach der Kirche habe ich mir in einem kleinen Zeitungsladen auf der Via Roma noch die FAZ vom Vortag gekauft und bin auf Kaffee und Cannolo ins um die Ecke gelegene Antico Caffè Centrale di Siracusa gegangen.

Inzwischen bin ich wieder in Palermo. Auch in Palermo gab es mal einen Caravaggio, der wurde aber leider 1969 gestohlen und tauchte nie wieder auf.
 

2 Reaktionen zu “Die sizilianischen Caravaggios”

  1. lesbarkeit

    Ich mag zwar, wegen des Grusel-Inkarnates, Caravaggio nicht gern ansehen, aber der blogbeitrag ist wunderbar, und ich wagte es sogar, die Bilder anzugucken; Hotelzimmerrealität, Kaffee und Cannolo „entgruseln“ gewissermaßen – super Kulturvermittlung sozusagen (falls Sie das nciht als Beleidigung empfinden, klingt altmütterlich). Und überhaupt ist das Umblättererstyling göttlich! Vielen Dank und bitte mehr davon!

  2. Bienenfreund

    Die Caravagii sind fantastisch, das Caffe antico centrale am Piazza Archimede 22, Siracusa ist leider nicht zu empfehlen (Betrugsversuch!), geht lieber zu den Cafés auf dem Domplatz.

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