100-Seiten-Bücher – Teil 17
Adolph Müllner: »Der Kaliber« (1828)
Leipzig, 19. Oktober 2011, 13:52 | von Paco
Spätherbstliche Witterung, Abenddämmerung, die ersten Schneeflocken. Herr von L. sitzt noch an seinem Arbeitstisch. Da sucht ihn der Reisende Ferdinand Albus auf und berichtet vom Mord an seinem Bruder Heinrich, geschehen soeben im finsteren Scheidewald, der sowieso von Räubern heimgesucht wird und dem Herrn von L. ein Dorn im Auge ist.
Der Beamte ist also fast glücklich über den Mord, denn nun hat er endlich eine Handhabe, nun muss trotz »permanenter Exerzierzeit« endlich das Militär ausrücken und die Räuber einsammeln. Darum geht es im Verlauf der Geschichte aber gar nicht so sehr, sondern um den Fall Albus, der dann noch mehrere überraschende Wendungen nimmt.
Der Hundertseiter ist in 24 Kurzkapitel aufgeteilt, die Lektüre verschnellert sich auf diese Weise noch mal, trotz der behutsamen spätromantischen Diktion mit Sätzen wie diesen:
»Ich legte in meinem Zimmer einige Actenhefte zurecht, die in meiner Abwesenheit gebraucht werden konnten, und meine Schwester kramte in meinen Commodenfächern, um die einzelnen Stücke meiner selten gebrauchten Ballkleidung zusammen zu suchen. Die Tritte des Pferdes vor der Hausthür zogen sie ans Fenster.« (11. Kapitel)
Damit leitet sich genau in der Mitte der Novelle eine erste fundamentale Wendung ein. Der Kriminalbeamte Herr von L. ist als Erzähler übrigens ein (allerdings ungenialer) Vorläufer der späteren Meisterdetektive von Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle und Agatha Christie. Damit war Müllner seiner Zeit also ein bisschen voraus.
Adolph Müllner: Der Kaliber. Aus den Papieren eines Criminalbeamten. Leipzig: Focke 1829. S. 1–216. (= 216 Textseiten) (online)
A. Müllner: Der Kaliber. Aus den Papieren eines Criminalbeamten. Leipzig: Reclam (ca.) 1868. S. 0–84. (= 85 Textseiten) (online)
Adolf Müllner: Der Kaliber. Aus den Papieren eines Kriminalbeamten. Lahr: Schauenburg (ca.) 1908. S. 1–83. (= 83 Textseiten) (online)
Adolph Müllner: Der Kaliber. Aus den Papieren eines Criminalbeamten. Waging am See: Liliom Verlag 2002. S. 3–106. (= 104 Textseiten)
(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)