In Dostojewskis Banja
St. Petersburg, 29. Januar 2012, 16:15 | von BaumanskiAuf Barclay de Tollys Schultern liegt etwas Schnee, als ich am Samstagmittag an seiner Statue vorbeilaufe. Der dauerbewölkte Himmel und das graue Semifreddo der Kanäle lassen St. Petersburg in diesem lauwarmen Januar etwas düster wirken. Ich treffe mich mit Ivan Borisowitsch in der Stolovaja, und er stochert in seinen Kohlrouladen herum, schwärmt von der Schönheit des sich ausdehnenden Universums und beklagt sich über dies und jenes, bevor er abrupt aufbricht.
Ich bleibe noch etwas sitzen und lese weiter in Wenedikt Jerofejews schönem Säuferroman (oder Poem, wie es der Autor in bester gogolscher Tradition nennt) »Moskau – Petuschki«. Doch schon nach ein paar Seiten holt mich die nicht weniger hochprozentige Realität ein, als der Alkoholiker am Nebentisch, der gerade in nicht mehr als zehn Minuten eine Flasche armenischen Kognak geleert hat, derbe Schimpfwörter ins Telefon zu schreien beginnt. Eine Frau schüttelt immer wieder missbilligend den Kopf, und ich gehe lieber rasch nach draussen.
Ich bin sowieso in der Eremitage verabredet, wohin mich zwei Bekannte, eine Restauratorin und ein äusserst begeisterungsfähiger Kunsthistoriker, zu einer leicht chaotischen Privatführung eingeladen haben. Die beiden diskutieren über Rubens’ unproportionale Pferde und Rembrandts mässig schöne Frau (»Aber er hat sie geliebt«) und viele andere Sachen. Irgendwie kommen wir auf die neue U-Bahn-Station im Zentrum zu sprechen und es steht die Frage im Raum, ob man die scheusslichen Mosaike darin als postmodern bezeichnen könne. Man könne, findet der Kunsthistoriker, denn der russische Postmodernismus sei »бессмысленный и беспощадный«, sinnlos und erbarmungslos.
Am Abend besuche ich mit unserem Freund, dem Opernsänger, die öffentliche Banja, in die angeblich schon der omnipräsente Dostojewski zu gehen pflegte: Dampf, Birkenzweige, kaltes Wasser und vor allem schwitzende Wänste. Straffe und faltige, behaarte und unbehaarte, mehr und weniger aufgedunsene. Eine gute Stunde verbringen wir in der Schwitzanstalt, und danach gibt es Bier.
Gegen Mitternacht sitze ich dann einmal mehr in irgendeiner Gemeinschaftsküche in irgendeinem alten Haus mit irgendwelchen Leuten. Ich kenne zwar nur die Hälfte davon, aber die Diskussion ist lebhaft, es geht schliesslich um kulinarische Fragen. In der Hitze des Gefechts lasse ich mich zu der Behauptung verleiten, dass sich die russische Küche zur französischen verhalte wie die Ikonenmalerei zum Impressionismus, und damit sind natürlich wieder mal nicht alle einverstanden.
Am 30. Januar 2012 um 09:00 Uhr
„dass sich die russische Küche zur französischen verhalte wie die Ikonenmalerei zum Impressionismus, und damit sind natürlich wieder mal nicht alle einverstanden.“
Ich schon.
Denn… gibt’s neben Pelmeni, Gurken, diese dünnen Pfannkuchen (lecker) und Hühnerschenkeln wirklich was gutes dort?