Fußnoten

Berlin, 31. Mai 2012, 07:25 | von Josik

Nicht nur Lena Meyer-Landrut hat einen berühmten Diplomatengroß­vater, nämlich Andreas Meyer-Landrut – nein, auch Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg hatte einen berühmten Diplomatengroßvater, nämlich Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg. Dass dieser im Jahr 1971 im Stuttgart-Degerlocher Verlag Dr. Heinrich Seewald ein Werk mit dem Titel »Fußnoten« veröffentlichte (10. Auflage 1974), war ja in den Feuilletons gelegentlich erwähnt worden, und mit eineinvierteljähriger Verspätung kam ich nun endlich dazu, es zu lesen.

Das Werk ist in drei Teile gegliedert: Der erste und mit Abstand längste Teil enthält tagebuchähnliche Aufzeichnungen, beginnend im »Sommer 1934« und endend im »Frühjahr 1971«. Diese Aufzeichnungen sind mit Dutzenden, wenn nicht sogar Hunderten von Aphorismen garniert, die allesamt in dem typisch mitreißenden, an Joachim Gauck gemahnen­den Sound das Thema Freiheit behandeln.

Der zweite Teil enthält Auszüge aus zwei Briefwechseln Guttenbergs, mit Ernst-Wolfgang Böckenförde und mit Alexander Mitscherlich. Guttenberg fragt Mitscherlich, warum der ihn als »Todfeind« bezeichnet habe, nämlich in einem Gespräch mit Guttenbergs Schwager. Mitscherlich antwortet dann, das sei doch schon über ein Jahr her, und außerdem habe er, wie er sich zu erinnern glaube, ihn nicht als »Todfeind«, sondern nur als »Erzfeind« bezeichnet.

Insgesamt liest sich dieses harmlose Buch mit seinen entzückenden Episoden sehr gut weg, deshalb fand ich es umso frappierender, wie gehässig Guttenberg von seinem Verlag behandelt wurde, und zwar gleich dreifach: Friedrich Torberg, berühmt geworden mit seiner Tante Jolesch, hat dem Buch ein Geleitwort gewidmet und darf dort über Guttenbergs Tagebuchaufzeichnungen allen Ernstes schreiben: »Es gibt Schilderungen von Natur- und Kunsterlebnissen, deren Reiz gerade darin besteht, daß sie keinen ›fachmännischen‹ Ehrgeiz haben.« (S. 11) – In der Bauchbinde setzten die Verlagsmenschen bei dem folgenden Satz ausgerechnet das Wort ›erlebt‹ in höhnische Anführungszeichen: »Wir lernen den Dreizehnjährigen kennen, der erstmals den Nationalsozialismus ›erlebt‹, als die Gestapo seinen Vater nachts aus dem Bett holt.« – Und auf der letzten Seite, mitten in der Anzeige für ein weiteres Guttenberg-Buch, wird der Reklamezweck völlig sabotiert, denn Golo Mann wird dort mit diesen Worten über Guttenberg zitiert: »Seine Demagogie hält sich in Grenzen.«

Unzweifelhaft fachmännischen Ehrgeiz scheint Guttenberg in der Beschreibung bestimmter anatomischer Merkmale entwickelt zu haben. Im »Winter 1952/53« notiert er folgende lustige Szene:

»Seit geraumer Zeit warte ich auf einem kalten, zugigen Gang vor der Röntgenabteilung. Endlich öffnet sich die Tür. Jemand mit weißem Mantel und dunkler Brille steuert mich an: ›Sind Sie die Gallenblase?‹ ›Nein‹, sage ich, ›ich bin der Dünndarm Guttenberg.‹« (S. 44)

Aus politliterarischer Sicht sehr aufschlussreich ist auch die folgende anatomische Bemerkung aus dem »Frühjahr 1971«:

»[S]chon bei der Lektüre der vom Schriftsteller Grass verfaßten ›Blechtrommel‹ hatte ich auf langen Seiten den penetranten Geruch eines Bahnhofpissoirs in der Nase. Jemand, dem ich diesen Eindruck mitteilte, äußerte die Vermutung, daß dies auch mit der Eigenart meiner Nase zusammenhängen könne. Ich habe ihm nicht widersprochen. Über Nasen kann man nicht diskutieren.« (S. 181)

Die Zähne beißt Guttenberg sich nur am Namen Chruschtschow (13 Buchstaben) aus, allem Anschein nach weiß er nicht, wie man den korrekt ausspricht: Mal schreibt er »Chruschtchow« (12 Buchstaben; S. 67), mal schreibt er »Chruschtschtow« (14 Buchstaben; S. 71).

Wen Guttenberg gar nicht ausstehen kann, ist Walter Scheel. Seine Antipathie verpackt er aber in diese äußerst hintersinnige Formulie­rung, die von einer sehr guten literarischen Bildung zeugt: »Nicht auszudenken, was Karl Kraus über Walter Scheel geschrieben hätte.« (S. 169)

Der dritte Teil der »Fußnoten« enthält dann noch die Tischreden, die Guttenberg anlässlich der Hochzeiten seiner Kinder Hasi (S. 208), Michaela und Enoch hielt; Hasis Bräutigam Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg wird von Guttenberg während der Tischrede mit Luffel angesprochen (S. 208). Praxedis (S. 59–61) heiratete erst später.
 

2 Reaktionen zu “Fußnoten”

  1. Micro

    „Praxedis heiratete erst später.“

    klingt genau wie

    „Kein Geistlicher hat ihn begleitet.“

    nicht schlecht

  2. Gregor Keuschnig

    Als glühender Anhänger von Brandts Ostpolitik empfand ich Guttenbergs Vorgehen um die im Wikipedia-Artikel skizzierte Abstimmung von 1972 im Rollstuhl als geradezu exemplarisch für dessen Starrsinn und Unbelehrbarkeit.

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