Fußball-Feuilleton (Teil 6):
Demokrit sucht eine Lücke

Reykjavík, 21. Juni 2012, 10:45 | von San Andreas

Die morgige Begegnung Deutschland–Griechenland lässt einen freilich unwillkürlich an Monty Pythons Version von 1972 denken, die ja seit Sonntagabend überall wild rumgepostet und verlinkt wird, von uns ja auch: deutsche Version / englische Version.

Damals vor 40 Jahren liefen für Deutschland noch echte Kapazitäten wie Nietzsche, Kant und Schopenhauer auf, während der Kader der Griechen mit Größen wie Plato (im Tor), Epikur und Sophokles ebenso hochkarätig besetzt war.

Der Sketch stellt andere Fußball-Rendezvous der Pythons in den Schatten, selbst das Interview mit Mittelfeldmagier Jimmy Buzzard, dem zu Fragen des »modern existentialist football« der intellektuelle Zugang zu fehlen scheint (Staffel 1, Episode 11 des »Flying Circus«) oder das Halbfinalspiel der Bournemouth Gynaecologists gegen die Watford Long John Silver Impersonators, bei dem die agilen Weißkittel den einbeinigen Piraten eine herbe Niederlage zufügen (Staffel 2, Episode 10).

Gedreht wurde das Philosophen-Match im Grünwalder Stadion in München, das für das Olympiastadion herhielt. Warum München? Der Sketch war als Segment des zweiten »Fliegender Zirkus«-Specials konzipiert, welches Alfred Biolek mit den Pythons für den WDR produzierte. Da außer Cleese und Palin keiner ein schönes Deutsch sprach, wurde die Sendung auf Englisch gefilmt und zur Ausstrahlung synchronisiert (im ersten Special hatten sich die Pythons noch radebrechend abgemüht).

Gut, Redeanteile hat in diesem Spiel niemand außer dem Kommentator, der uns zunächst mit der Aufstellung der Deutschen bekannt macht. Demnach steht – wie immer – Leibniz im Tor, die Hinterreihe bilden Kapitän »Bulle« Hegel, Immanuel Kant, Schopenhauer und Schelling, während Schlegel, Wittgenstein, Nietzsche und Heidegger für den Sturm zuständig sind. Beckenbauer und Jaspers sind im Mittelfeld eingesetzt. Beckenbauer? Richtig, seine Aufstellung »überrascht ein wenig«.

Die Griechen setzen ihre Hoffnungen unter anderem auf Sokrates als Spitze und Aristoteles als Libero, der in dieser Saison einen starken Formanstieg zu verzeichnen hatte, wie man hört. Archimedes ist auch endlich wieder fit, eine gute Nachricht.

Was beim Anpfiff durch Schiedsrichter Konfuzius passiert, ist emblematisch für diese verblüffende, absurde Komik, die dem Oxford Dictionary die Vokabel ›pythonesque‹ bescherte. In der englischen Version des Sketches, die später auf »Monty Python live at the Hollywood Bowl« erschien, ist dieser Moment noch schöner akzentuiert durch Palins emphatisches »And they’re off!«. Schlagartig nämlich verfallen die Spieler in tiefes Sinnieren, schreiten deklamierend übers Feld, streichen sich das Kinn oder starren Löcher in die Luft – während der Kommentator wie gewohnt vom Leder zieht: »Karl Jaspers mit der Nummer sieben auf dem Außenposten. Wittgenstein geht mit. Beckenbauer bietet sich an. Schelling, Heidegger. Laufwunder Schopenhauer.«

Der Ball indes bleibt unberührt.

Auch in der zweiten Halbzeit kommt keine Bewegung ins Spiel, außer dass Nietzsche sich in Sachen Freier Wille mit dem Schiedsrichter anlegt und prompt eine gelbe Karte kassiert. Wenige Minuten vor Schluss macht sich an der Außenlinie ein Spieler warm: Es ist Karl Marx (Terry Jones in seiner Paraderolle). Bundestrainer Martin Luther will ihn gegen Stürmer Wittgenstein – eh kein echter Deutscher – auswechseln. Die Spannung erreicht einen Höhepunkt: Wird Marx die Wende bringen? »Leider nein.« Er holt ein Buch aus der Tasche und fängt an zu lesen.

Kurz darauf, in der 89. Minute, hat Archimedes (John Cleese) einen Einfall: »Heureka!« Er rennt los, kickt den Ball von der Mittellinie und initiiert eine beeindruckende Kombination aus flinkem Abspiel und scharfen Flanken in Richtung deutsches Tor. Sokrates ist zur Stelle, Heraklit unterstützt, die deutsche Abwehr findet nicht statt – Jaspers und Heidegger sind zwar in Tornähe, befinden sich aber gerade im Gespräch. Das Leder landet schließlich per Kopfball im Netz.

Die deutschen Denker sind außer sich, bedrängen Konfuzius und fechten den Treffer an: »Hegel argumentiert ontologisch, dass die Wirklichkeit a priori nur ein Nebenumstand non-naturalistischer Ethiken ist, Kant protestiert mittels des kategorischen Imperativs, das Tor existiere nur in der Imagination, und Marx behauptet, es war Abseits.«

Schlusspfiff. Griechenland siegt. Marx wirft sein Buch in den Dreck.
 

6 Reaktionen zu “Fußball-Feuilleton (Teil 6):
Demokrit sucht eine Lücke”

  1. Gregor Keuschnig

    „Beckenbauers Aufstellung überrascht ein wenig.“

  2. Bonaventura

    Marx hat übrigens Recht: Es war Abseits!

  3. Sir Belvedere

    In welchem Universum ist Karl Marx die „Paraderolle“ von Terry Jones?

  4. Deutschland gegen Griechenland – 0:1

    […] via Umblätterer […]

  5. Mareike Kaa

    In meinem, Sir „Belvedere“ Bedevere.
    Wegen seiner Enttäuschung, die schöne Wohnzimmergarnitur nicht gewonnen zu haben.

  6. San Andreas

    Ganz recht, Mareike :-) Das Kommunistenquiz in der legendären Spam-Folge, sowie später live in Hollywood, unvergessen.

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