Alte Fälle der Feuilleton-Kriminalistik:
Luciana Glaser

Krakau, 17. August 2012, 14:10 | von Marcuccio

Hauptsache, man ist überhaupt irgendwie. Sichtbar und greifbar. Deswegen erinnert die Enthüllung von Per Johansson ein bisschen an den Fall Luciana Glaser, der aber in sich noch mal ganz anders gelagert war, auch weil der Verlag (Zsolnay) damals nicht mitspielte, sondern mit reingelegt wurde. Aber der Reihe nach, denn auch diese Autorin kam scheinbar aus dem Nichts:

»Nirgends hatte sie vorgelesen, nie hatte sie Stipendien beantragt oder Literaturpreise empfangen, nicht einmal im Rundfunk an irgendwelchen Diskussionsrunden zum traurigen Stand der Gegenwartsliteratur teilgenommen.«

Schreibt Willi Winkler im »Spiegel« 27/1990. Interessant, wie sehr die in die Jahre gekommene Bemerkung auch darüber Auskunft gibt, wie extrem literarische Identität damals noch an klassische Zugangswege gekoppelt war. Unvorstellbar ein Airen, der einfach mal so als Blogger da ist, entdeckt, plagiiert, berühmt wird.

Wer also war Luciana Glaser?

Ein Pseudonym. Eine Fake-Person. Aber zuallererst mal war sie eine angeblich 1952 geborene Südtiroler Autorin, die für ihre im Februar 1990 erschienene Erzählung »Winterende« gelobt wurde – in den höchsten Tönen: »Den Kritikern fielen nur erlauchte Namen ein, um vergleichsweise der vollkommen unbekannten Größe Glasers gerecht zu werden: Thomas Bernhard und Rilke und Hölderlin mußten es schon sein«, berichtet Winkler rückblickend in bewährt-süffiger »Spiegel«-Häme. Ansonsten gab es nur »eine biographische Notiz, nach der Luciana Glaser aus Rovereto stamme, Tochter eines österreichischen Vaters und einer italienischen Mutter sei und in Wien studiert habe. Mit dem Verlag verkehrte sie zeitweilig über eine c/o-Adresse in Innsbruck.«

Und ein Foto der 38-jährigen, das gab es auch nicht, offizielle Begründung: Sie lebe »in solcher Zurückgezogenheit, daß keine Photographie zur Verfügung steht«. Und überhaupt: Sie »habe eine Zeitlang in einem Verlag gearbeitet und dort lernen können, was es für einen Autor und mehr noch für eine Autorin bedeutet, sich auf diesen Markt der Körper zu begeben«. Hui. »Ich bin nicht in der psychischen Verfassung, mir das zuzutrauen«, verlautete, acht Jahre vor Erfindung des literarischen Fräuleinwunders, der O-Ton von Luciana Glaser im »Spiegel«.

Das ließ die feuilletonistische Kriminalistik nicht ungerührt, aber sie musste vor der Erfindung von Google noch richtig reisen. Noch mal Willi Winkler:

»Vor allem die österreichischen Literaturkritiker verwandelten sich über Nacht in nichtlizenzierte Detektive und forschten im Geburtenregister der Stadt Rovereto (eine Familie Glaser gibt es dort nicht), blätterten im Immatrikulationsverzeichnis der Universität Wien (unter diesem Namen hat niemand studiert). Es gab sie offenbar nicht. Das Rätsel verlieh der Erzählung eine Bedeutung, die sie gar nicht hatte.«

Und damit sind wir beim Thema, das Gregor Keuschnig angeschnitten hat. Die Bereitschaft, Texte ohne Paratexte, sprich: Literatur von Autoren ohne Herkunft, ohne Foto, ohne Identität zu akzeptieren, ist gering. Ob sie in der professionellen Kritik jemals stärker vorhanden war als heute, sei aber dahingestellt. Beim aktuellen Fall Johansson/Steinfeld war sie freilich nie einzufordern, denn ein Verlag, der Blurbs, Fake-Foto und Fake-Biografien so opulent arrangiert wie S. Fischer für Per Johansson, der will ja gerade einen außerliterarischen Referenzrahmen schaffen.
 

2 Reaktionen zu “Alte Fälle der Feuilleton-Kriminalistik:
Luciana Glaser”

  1. Inspector

    Wie begann damals (vor meiner Lesezeit) die Rezeption von Thomas Pynchon? War er von Anfang an unsichtbar?

  2. Marcuccio

    Bin kein Experte der Pynchon-Rezeption. Aber meines Wissens wurde seine Unsichtbarkeit erst ab den Neunziger Jahren zum Thema, bis hin zu den Simpsons. Ob das berühmte eine frühe Foto, das ihn „als zwanzigjährigen Navy- Soldaten mit Crew-Cut und Hasenzähnen“ zeigt, tatsächlich seine ersten Bücher zierte, müssten Besitzer der früheren Ausgaben verifizieren oder dementieren. Mir erscheint es unwahrscheinlich. Eher scheint die Literaturkritiker-Detektivabteilung dieses Foto später und anderweitig rekrutiert zu haben.

    Und nach der Mysterisierung gab es zuletzt sowieso den Trend, die ganze Unsichtbarkeit wieder tiefer zu hängen, nach dem Motto Nr. 11 von Tobias Rapp: „Machen Sie sich nicht zuviele Gedanken um Thomas Pynchon“:
    http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/12/07/a0173

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