Anlässlich der FAS vom 2. Dezember 2012:
Die extrem tolle deutsche Zeitungslandschaft
Chemnitz, 3. Dezember 2012, 00:16 | von Paco
Gegen 15 Uhr erwachte ich endlich aus tiefem Schlaf und hatte sofort extreme Lust darauf, die FAS zu lesen. Eine Stunde später saß ich im Michaelis und tat genau das. Das heutige Feuilleton war wieder mal gehobenste Spitzenklasse. Das fängt schon bei den Kolumnen an. Tobias Rüther (in Absprache mit Angus T. Jones) über »Two and a Half Men«: »Die Show ist wirklich der letzte Dreck.« Und Johanna Adorján mit einer erfahrungsgesättigten These zu Fahrradhelmen: »Beim Anblick von Fahrradfahrern, die einen Helm aufhaben, ergreift mich mittlerweile die nackte Angst. Sie ist nicht angeboren, sondern in zahlreichen Zweikampfsituationen qualvoll erlernt. Wer, sagen wir, älter als zwölf Jahre ist und sich zum Fahrradfahren einen Helm aufsetzt, fährt nämlich unfassbar schlecht Fahrrad. Ist so.«
Dabei dachte ich zunächst, ich hätte die falsche Zeitung und das falsche Jahrzehnt erwischt, denn in der Fußzeile der Feuilleton-Frontpage stand etwas von »Call of Duty 2«, das ja aber schon zu Weihnachten 2005 erschienen war. Es handelte sich aber eindeutig um die heutige Ausgabe, 2. Dezember 2012, also dachte ich als nächstes: ein Retro-Review? Warum nicht! Warum nicht einfach mal Bücher, Filme, Ego-Shooter besprechen, die schon vor sieben Jahren erschienen sind: sehr gute Idee! Dann ging es aber im Artikel selber natürlich um »CoD: Black Ops 2«, was der Beauftragte für die Gestaltung der Ankündigungsfußzeilen vergessen hatte zu erwähnen.
Die Rezension von Gregor Quack ist jedenfalls hervorragend, und zwar weil er gleichzeitig die momentane Unmöglichkeit mitkommuniziert, über einen so bombastisch inszenierten Ego-Shooter überhaupt urteilen zu können. Die Videospielbranche bräuchte genau jetzt einen IT-Lessing, der analog zur »Hamburgischen Dramaturgie« erst mal rausfindet, wie man über so eine ästhetische Revolution überhaupt angemessen schreiben kann: »Es gehört eigentlich zu den Aufgaben der Kulturkritik, hierfür das passende ästhetische Besteck zu schmieden. Und wir fangen auch damit an. Versprochen.«
Dann schreibt noch Volker Weidermann über 70 Jahre Peter Handke. Erst mal vermerkt er seine Freude darüber, dass Handkes »Jugoslawien-Phase« vorbei sei und er nun wieder leise, filigrane Bücher wie den »Versuch über den Stillen Ort« schreibe. (Wobei sich ja mit wachsendem zeitlichen Abstand komischerweise irgendwie der Eindruck verstärkt, dass Handke das Scharmützel gegen die Jugoslawien- und Serbienfeinde damals haushoch gewonnen hat.) Anhand des frisch erschienenen Briefwechsels zwischen Handke und Unseld macht Weidermann übrigens die interessante Beobachtung, dass sich Unseld bei der Korrespondenz mit seinen Autoren (Koeppen, Frisch, Bernhard usw.) so lange runterputzen lässt, »bis es ihm irgendwann einmal reicht. Und zwar, so mein Eindruck – reichte es Unseld bei jedem seiner Autoren, die allesamt ihm gegenüber das Sozialverhalten von ungefähr Fünfjährigen an den Tag legten – genau einmal. Einmal im Leben schimpft er zurück.« Diese seltenen Unseld’schen Rückschimpfbriefe sollten unbedingt in einer bibliophilen Einzeledition erscheinen!
Im Medienressort ist noch ein Interview von Harald Staun mit Christoph Amend und Timm Klotzek zu lesen. Es geht da um die jeweils nächste Ausgabe des »Zeit«- und des »SZ«-Magazins, die nämlich beide das Titelthema »Konkurrenz« haben werden, und warum auch nicht.
Als ich fertig war mit Minztee, Stachelbeerbaiser und FAS, traf ich mich noch mit ein paar Leuten auf dem Weihnachtsmarkt. Irgendjemand berichtete, dass er nun endlich das Thielemann-Interview in der »Zeit« von neulich gelesen habe. Sofort zitierten alle ihre Lieblingsstellen, denn dieses Interview ist wohl das Feuilletonereignis des Jahres gewesen, so so geil, es ist wirklich immer noch nicht zu fassen, dass dieser Text gewordene Feuilletontraum tatsächlich gedruckt in einer Zeitung gestanden hat.
Als ich später nach Hause schlenderte, fiel mir ein, wie extrem toll es doch derzeit um die deutsche Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft bestellt ist, und als ich dann zu Hause war, rief Dique an und fragte, ob ich den genialen »Spiegel« von morgen schon gelesen habe. Hatte ich da noch nicht, habe ich inzwischen aber nachgeholt: wunderbar!
Am 3. Dezember 2012 um 08:59 Uhr
Stimmt, die FAS ist wirklich gerade fanastisch. Ich mag auch die Texte von Gregor Quack. Ist ja sowas wie der neue Peter Richter. Hat auch, finde ich, schon sehr gut den Richter-Style drauf. Der Richter-Style hat viele Vorteile. Er ist sehr subjektiv, sehr inspirierend, sehr sprachkreativ. Manchmal ist er mir aber auch ein bisschen ZU subjektiv. Ist zwar ziemlich clever, bei einer Games-Rezension zu behaupten, man hätte noch nicht das richtige Vokabular, Games zu beschreiben. Aber ehrlich gesagt: das ist doch Quatsch. Das kann man sehr wohl. Das Problem ist halt nur: Man hat wenig Lust, schon wieder über die „Sorge um die Köpfe“ oder die „Sind Videospiel Kunst“ Debatten zu lesen. Langweilig, klar. Und ausgelutscht. Trotzdem kein Grund zu sagen, Leute, lasst mal warten, bis sich die „Kopfschmerzen“ (das ewige sinnlose Heruminterpretieren) gelegt haben, um mal zum Kern der Sache (was immer das sein könnte) vorzudringen. Selbst als Ironie ist mir das zu wenig. Wenn einem wirklich das Vokabular fehlt, warum nicht mal bei einem Hardcore-Gamer eine 2/3 Seite bestellen, entsprechend auf Verständlichkeit redigieren und dann mit einer Drittelseite (von Gregor Quack) ergänzen, die die spannenden Aspekte Kopfschmerzen und Ludologie ein wenig ausbaut…
Am 3. Dezember 2012 um 09:39 Uhr
Mit Verlaub, das ist völliger Unsinn, Herr Lüber. Ein Gamer Text Call of Duty würde ungefähr sogehen: „Boah, geil Mann, boooom booooooom, harharharhar, jessssas, fuck abgeschossen. :-(“ Und nun: bitte redigieren Sie!
Es geht doch um vokabular zur Beschreibung der ästhetischen Dimension. Das findet man übrigens auch in Computerspielezeitschriften nicht, obwohl es die schon seit den 80ern gibt.
Am 3. Dezember 2012 um 10:01 Uhr
Wäre halt die Aufgabe, einen „Gamer“ zu finden, der ein bisschen mehr schreiben kann, als Boah, geil usw. … ;-) Halt ein Experiment, das ich der FAS zutrauen würde (wie die Fußnoten im Bericht über Sloterdijks „Gelehrtenrepublik Karlsruhe“…). Würde zum Beispiel mal hier in den Kommentaren anfangen zu suchen: http://www.spiegel.de/netzwelt/games/kritik-spec-ops-the-line-wahnsinn-in-der-wueste-a-843322.html#spCommentsBoxPager
Die ästhetische Dimension von Spielen haben die Brüder Moorstedt schon oft ganz schön in diversen SZ-Rezensionen beschrieben.
Abgesehen davon: Ich will gar nicht weiter auf dem Text rumhacken, ist schon ein super Job, den die FAS da macht. War eher gedacht als Vorschlag, auf möglichst interessante Art weiterzudenken…
Am 3. Dezember 2012 um 10:12 Uhr
Womit endgültig bewiesen ist, dass Weidermann über Handke rein gar nichts weiss.
Am 6. Dezember 2012 um 19:53 Uhr
Bitte Rainald Goetz x Black Ops 2 – gut, gut, gut.
Am 7. Dezember 2012 um 10:34 Uhr
(…) und als ich dann zu Hause war, rief Dique an und fragte, ob ich den genialen »Spiegel« von morgen schon gelesen habe. Hatte ich da noch nicht, habe ich inzwischen aber nachgeholt: wunderbar!
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ebenso. wunderbar.
Am 10. Dezember 2012 um 13:43 Uhr
Stattdessen bekommen wir im SPIEGEL Georg Diez x Videospiele, nein, nein, SCHLECHT.
Am 10. Dezember 2012 um 23:42 Uhr
Finde ich unschön dass jetzt auch noch in der FAZ die Beweisführung mit einem rotzigen „isso“ abgeschlossen wird, bzw. einem ungelenk verschriftlichten „Ist so”. Die Floskel kannte man dazumal nur von Leuten, die sich auf RTL 2 anpöbeln … Das Problem an diesem Q.E.D. für Nicht-Akademiker scheint mir, dass es eigentlich immer nur die Funktion hat, eine Faktizität zu behaupten wo doch nur eine Meinung ist. Absolute Hassphrase!
Am 13. Dezember 2012 um 14:35 Uhr
[…] Nun gestehe ich gerne ein, dass das Feuilleton für mich eine fremde Welt ist, ich dessen Distinktionsrituale weder verstehe noch beherrsche, wie man wahrscheinlich gut an den vorangegangenen Absätzen erkennt. Trotzdem beobachte ich das Treiben dort mit einem interessierten ethnologischen Blick. Und dabei stiess ich unlängst auf ein Interview, das eine längere Betrachtung verdient. Auf “Der Umblätterer” wurde es als “Feuilletonereignis des Jahres” bezeichnet: […]
Am 5. März 2014 um 10:55 Uhr
[…] Es gibt immer wieder positive Beispiele, wo es einem Medium gelingt, einen ganz eigenen Zugang zum Thema zu finden. Dem Feuilleton der FAZ zum Beispiel. Das hat schon mehrfach Besprechungen von Egoshootern gebracht. 2012 über Call of Duty: Black Ops 2. Der Autor Gregor Quack schrieb nicht einfach eine Spiel-Beschreibung mit den wichtigsten Features, sondern beschäftigte sich mit der aus seiner Sicht gefühlten Schwierigkeit, über einen derart bombastisch inszenierten Ego-Shooter zu urteilen. Es fehle schlicht das passende ästhetische Besteck, Das müsse die Kulturkritik erst mal schmieden. Leider findet sich dieser Artikel nicht mehr online, hier immerhin eine ganz kurze Zusammenfassung. […]