1813 — ein Jahr am Rand der Studienzeit
Leipzig, 8. März 2013, 13:47 | von MarcuccioKaufe ich mir 1813 jetzt für 6,60 Euro am Kiosk – oder durchklicke ich es kostenfrei bei Wikipedia? Seit Enzyklopädien immer redseliger werden, liest sich eben auch ein lexikografiertes Jahr erstaunlich süffig, wie ein historischer Newsticker.
Jahre überhaupt als Erzählung – vielleicht ist Florian Illies mit seiner Revue »1913« schon jetzt viel mehr gelungen als ein Bestseller: Er hat das aus dem History-TV bekannte Prinzip der szenischen Rekonstruktion sehr einschlägig ins Genre des erzählenden Sachbuchs transferiert. Vom »Spiegel« bis zu den Regionalzeitungen gab es Anfang 2013 kaum ein Medium, das diese Zeitmaschinenmasche (»Vor genau hundert Jahren«) im journalistischen Kleinformat nicht nachgeahmt hätte. Publizistisches Reenactment mag aus der Branche keiner sagen, weil ja Guido »ZDF-Emeritus« Knopp es miterfunden hat. Doch seit ganze Jahre auf den Histotainment-Laufsteg geschickt werden, dürfen auch 1913 und 1812 mal miteinander flirten.
Elke Heidenreich hausierte letzten Herbst hier und da mit diesem Gag: Sie habe sich auf einer Kreuzfahrt durchs Mittelmeer in »1913« vertieft, und ein jüngerer Mitpassagier an Deck hätte gerade »1812« gelesen, doch gar nicht weiter auf ihre Buchdeckel-Zeichen reagiert … Nicht auszudenken, wenn jetzt auch noch jemand seine Bord-Liege mit »1926« reserviert hätte. Ich selbst stehe inzwischen natürlich auch längst an der imaginären Reling und blättere konspirativ mein »Geo«-Heft »1813«.
»Geo« ganz normal übrigens, nicht »Geo Epoche« oder so, obwohl »1813« explizit als »Schicksalsjahr der Deutschen« tituliert wird und in der Spin-off-Logik von Gruner & Jahr mindestens ein »Geo Thema Epoche Geolino extra Spezial« oder so verdient hätte. Völkerschlachten stehen schließlich für Zäsuren, und da macht auch die Tatsache, dass »Geo« die ganze Titelgeschichte mit Spielszenenfotos der Trachtenvereine illustriert, das Jahr nicht kleiner.
Zur Ausgangsfrage, ob man das Jahr 1813 jetzt am Kiosk kaufen oder lieber bei Wikipedia nachlesen soll, zur Kernfrage also: ob der Journalismus im Jahr 2013 den narrativen Enzyklopädismus der Schwarmintelligenz noch schlägt, kann ich im vorliegenden Fall keine klare Antwort geben. Ich hätte 1813 gern hier wie da ein bisschen feuilletonistischer gehabt, und da kommt mir plötzlich noch Hodler in den Sinn: Ferdinand Hodler hat den »Auszug deutscher Studenten in den Freiheitskrieg 1813« auf monumentale Leinwand gebannt, das Bild hängt in der Aula der Uni Jena: Der Schimmelbesteiger, der Tornisterträger und vor allem der Mantelanzieher sind schon ziemlich kurios ikonisch für das, was uns Reenactment-Vereine, Chefhistoriker und Gedenkjournalismus in den nächsten Monaten noch zuhauf nacherzählen werden: die lange Mobilmachung zur Völkerschlacht.
»Straße des 18. Oktober« heißt eine bekannte Leipziger Studentenheim-Adresse, an der viele als Erstsemester ankamen, und gleich erst mal ein Urlaubssemester nahmen, nehmen mussten! Der Grund waren natürlich die ständigen Partys ganzen Recherchen zu der im Straßenraum stehenden Frage, was es denn mit diesem Datum auf sich habe. Heute sind alle möglichen Linkschleudern auf historische Dauerfeuer programmiert. Damals gab es für schnelle Antworten weder Wikipedia. Noch ein gefälliges »Geo«-Heft namens 1813.