100-Seiten-Bücher – Teil 51
Eduard Mörike: »Mozart auf der Reise nach Prag« (1855)

Berlin, 28. März 2013, 15:53 | von Josik

Diese gewitzte und raffiniert gebaute Novelle gehört zu Mörikes Knüllern. Wer den originellen Wolfgang Amadeus Mozart und seine bezaubernde Gattin Constanze noch nicht ins Herz geschlossen hat, wird dies spätestens nach der Lektüre dieses herzerfrischenden Werkes tun. Was man einem Schwaben wie Mörike vielleicht nicht vorwerfen kann, was man ihm letztlich dann aber vielleicht doch vorwerfen muss, ist allerdings, dass er Wolfgangs bzw. Constanzes Dialekt nicht authentisch wiedergegeben hat, sondern eben nur so, wie ein Schwabe sich vorstellt, dass Österreicher reden.

Da ist dann statt von einem ›Backhendl‹ absurderweise von einem »Backhähnl« (S. 11) die Rede, später in anderem Zusammenhang noch von einem »Wäldel« (S. 13), und man sagt sogar: »Ja, gelten S‘, Freundin«. In diesem niedlichen Tonfall geht es immer weiter. Mit einem Wort: Mörike lässt die Mozarts wie Volldeppen klingen. Zum Beispiel das Personal bei Ludwig Ganghofer drückt sich ganz ähnlich aus: »Ja, Fräuln! Aber den Vater muß ich verentschuldigen, daß er heut nix anders hat als bloß a Bröserl Butter und a Töpferl Milli. Morgen bring ich schon werden was. Gelten S‘, ich därf morgen wiederkommen?«

Saukomisch aber ist es dann, wie Mörike im Text das Liedchen »Giovinette, che fatte all’amore« zitiert und in einer Fußnote die Stelle »La la la!« wie folgt ins Deutsche übersetzt: »Tra la la!« (S. 53) Als Vea Kaiser übrigens neulich ihren Roman »Blasmusikpop« publiziert hat, ist es auch Sigrid Löffler sauer aufgestoßen, dass der dort dargebotene »Kunst-Dialekt […] für Kenner des Österreichischen […] eher nach Wiener Unterschicht-Jargon als nach alpenländischer Mundart klingt«, und Frau Löffler verweist auch noch mal eindringlich auf das Faktum, dass man in Österreich nicht ›Hackfleisch‹ sagt, sondern ›Faschiertes‹.

Länge des Buches: ca. 128.000 Zeichen. – Ausgaben:

Eduard Mörike: Mozart auf der Reise nach Prag. Eine Novelle. Mit Illustrationen von Hugo Steiner-Prag und einem Nachwort von Traude Dienel. Frankfurt/M.: Insel Verlag 1979. S. 7–107 (= 101 Textseiten).

Eduard Mörike: Mozart auf der Reise nach Prag. Novelle. Mit 12 Illustrationen von Karin Rauhut. Rudolstadt: Greifenverlag, 4. Auflage 1984. S. 3–88 (= 86 Textseiten).

Eduard Mörike: Mozart auf der Reise nach Prag. Novelle. Stuttgart: Reclam 1987. S. 1–75 (= 75 Textseiten).

Eduard Mörike: Mozart auf der Reise nach Prag. [Originalfassung Stuttgart und Augsburg 1856 in der Reihe »Bibliothek der Erstausgaben«.] Hrsg. von Joseph Kiermeier-Debre. München: dtv 1997. S. 5–88 (= 84 Textseiten).

Eduard Mörike: Mozart auf der Reise nach Prag. Mit einem Nachwort von Hugo Rokyta. Prag: Vitalis Verlag, 2. Auflage 2003. S. 5–101 (= 97 Textseiten).

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

6 Reaktionen zu “100-Seiten-Bücher – Teil 51
Eduard Mörike: »Mozart auf der Reise nach Prag« (1855)”

  1. Marcuccio

    „Faschieren“ ist doch wunderbar nah dran an „Kaschieren“ (dass Pferd drin ist). Nicht umsonst heißt Hackbraten ja auch landschaftlich „falscher Hase“.

    Und was das Backhähnl betrifft. Schwaben machen gerne „Fähler“, bevorzugt mit -ä-.

  2. Thomas Reschke

    Danke für den Link auf Sigrid Löfflers Kritik. So kann man nachlesen, daß sie sich gar nicht darüber beschwert, daß Vea Kaiser aus „Faschiertem“ Hackfleisch macht, sondern daß der Verlag sich offenbar verhört hat und „Verschiertes“ schreibt. Vielleicht hat die Autorin ihren Roman ja telefonisch nach Köln durchgegeben…

  3. Niwoabyl

    Was die Mundart betrifft, wäre doch zu vermerken, dass ein schwäbelnder Mozart gar nicht so absurd ist. Vater Leopold war ja aus Augsburg, wenigstens von ihm war kein reiner salzburger Dialekt zu erwarten. Nur wenn man die „Muttersprache“ wirklich wörtlich versteht, liegt Mörike so arg daneben.

    (Und was die bezaubernde Ehefrau angeht: sie stammte aus der Kurpfalz…)

  4. Pablo

    Mörike wäre also halbwegs gerettet (puh), aber was ist mit Vea Kaiser ? Der obige Kommentar von Reschke Thomas zeugt ja eher von dessen Unfähigkeit zum Lesen und bietet keine Antwort auf diese dringende Frage.

  5. Thomas Reschke

    Danke, „Pablo“! „Unfähigkeit zum Lesen“ hat mir in über 50 Jahren als Leser noch niemand unterstellt. Machen Sie weiter so!

  6. Pablo

    Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, lieber Herr Reschke (habe Sie eben gegoogelt…). Meine Ausführung bezog sich darauf, daß in dem Umblätterer-Text gar nicht steht, daß Sigrid Löffler sich „darüber beschwert, daß Vea Kaiser aus “Faschiertem” Hackfleisch macht“, sondern nur, daß sie nochmal eindringlich darauf hinweist, daß man so sagt und nicht anders. Was Ihre Vermutung mit dem Telefondiktat angeht, bin ich ganz bei Ihnen. Anders kann ich mir das auch nicht erklären, wie es zu so einem Verschreiber kommen kann. Deswegen meine Frage, ob Vea Kaiser noch zu retten ist !

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